Im Salzburger Festspieltalk bei Ioan Holender bricht Teodor Currentzis nun sein Schweigen. Mit seinen Aussagen bleibt er vage.

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Eisernes Schweigen – viel mehr war von Stardirigent Teodor Currentzis zum Angriffskrieg seiner Wahlheimat Russland gegen die Ukraine bisher nicht zu vernehmen. Zwar leitete der gebürtige Grieche, der just im Jahr 2014 nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim die russische Staatsbürgerschaft per Dekret Wladimir Putins erhielt, ein Konzert mit ukrainischer Musik, und er hätte im Wiener Konzerthaus ein Benefiz gegeben, das letztlich aufgrund diplomatischer Verstimmungen abgesagt wurde; doch eine Aussage zum Krieg, eine klare Verurteilung, gab es nicht.

Der 50-Jährige wolle mit seiner Schweigehaltung die russischen und ukrainischen Mitglieder seines in Sankt Petersburg ansässigen MusicAeterna-Orchesters vor Verfolgung schützen, war eine häufig ventilierte Erklärung von Currentzis-Kennern, etwa dem Salzburger Festspielintendanten Markus Hinterhäuser. In Salzburg wurde Currentzis denn auch in diesem Jahr der rote Teppich bereitet, seine Auftritte bejubelt. Das Privileg, mit ihm sprechen zu können, erhielt nun Ex-Staatsoperndirektor Ioan Holender, der ihn für Servus TVbefragte.

Der Salzburger Festspieltalk, aufgezeichnet ohne Publikum auf Schloss Leopoldskron, wird heute, Donnerstag, um 23.05 Uhr ausgestrahlt. DER STANDARD konnte die Sendung vorab sehen. In dem halbstündigen Gespräch bleibt Currentzis bei seiner Haltung, sich nicht direkt zum Krieg – auf dessen bloße Nennung beim Namen in Russland mittlerweile Gefängnis steht – zu äußern. Zumindest indirekte Bezüge kann man aber heraushören.

Holenders Nichtfragen

Generell entsteht bei dem Gespräch der Eindruck, der Dirigent hätte gerne mehr über das Thema gesagt, nur, gefragt wurde er von Holender nicht. Der 87-Jährige vermied peinlichst genau, an dem Thema auch nur anzustreifen, wogegen er das andere disruptive Weltereignis, die Pandemie, sehr wohl ansprach. Wissen muss man: Der frühere Staatsoperndirektor, als gebürtiger Rumäne einst vor dem Sowjetkommunismus geflüchtet, war schon in der Frage der Krim-Annexion ausdrücklich auf russischer Linie. 2018 berichtete er für Servus TV von der Krim und bekannte in den Salzburger Nachrichten, die Halbinsel sei "russischer als russisch".

Holender wollte das Gespräch also aufs Künstlerische beschränken. Zum Beispiel darauf, dass Currentzis die 13. Symphonie von Dmitri Schostakowitsch aufführte. Der Stalin-kritische Komponist verarbeitete darin die NS-Massaker an Jüdinnen und Juden im ukrainischen Babyn Jar – ein Werk, das Interpretationsspielraum für beide Seiten des aktuellen Krieges bietet: Während Putin-Treue mit ihrer Erzählung von der "Entnazifizierung" anknüpfen können, werden Ukrainer die einstigen NS-Okkupateure in den russischen Truppen wiedererkennen. Aber dazu freilich kein Wort im Gespräch, ebenso wenig dazu, dass die Gedenkstätte Babyn Jar in Kiew vor wenigen Monaten durch russischen Raketenbeschuss in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Neues Orchester in Planung

Es blieb Currentzis selbst vorbehalten, für Zwischentöne zum aktuellen Zeitgeschehen zu sorgen. Als Vehikel dafür diente ihm sein Vorhaben, ein neues Orchester mit dem Namen Utopia zu gründen. Es solle international ausgerichtet sein und die besten Köpfe der Klassik in einer Art Supergroup vereinigen. Man könne die Welt nicht in kleine Würfel teilen, sie müsse vernetzt sein, sagte er, um dann so abzuschweifen, dass man es als Statement zum Krieg verstehen konnte: Es sei "sehr dumm, dass wir seit vielen Tausend Jahren nichts aus der Geschichte gelernt haben und immer wieder dieselben Fehler machen". Die einzige Hoffnung für die Welt sei gute Kunst. "Dinge, die der Menschheit Hoffnung und Liebe bringen. Wenn wir so weitermachen wie jetzt und auch die Kunst in diese Falle stecken, dann sind wir erledigt."

Er, Currentzis, sei "vor allem Europäer und Grieche. Griechenland hat die Demokratie hervorgebracht. Das Wort bedeutet mir viel. Es bedeutet, dass jeder Mensch über sich selbst entscheiden kann. Nur wenn wir so denken, kommen wir voran und können die Welt verbessern. Wenn wir das nicht tun, landen wir in einem anderen System. Und wir kennen dieses System sehr gut aus der Vergangenheit."

Das klingt nun doch nach jemandem, der Haltung zeigen will. Dass Holender es sich nicht nehmen ließ, sich mit einem russischen "Spasiba" zu bedanken? Geschenkt. (Stefan Weiss, 4.8.2022)