Als Newt Gingrich, so wie heute Nancy Pelosi damals Sprecher des US-Repräsentantenhauses, 1997 nach Taiwan reiste, konnte der damalige Präsident Bill Clinton das noch als zwischenparteiliche Querelen abtun: Gingrich war Republikaner, Clinton Demokrat. Wenn Pelosi nun Taipeh besucht, fällt es US-Präsident Joe Biden schon viel schwerer, sich vom Schritt seiner Parteikollegin zu distanzieren. Aus Pekings Sicht waren seine Beschwichtigungen, er halte den Besuch für keine gute Idee, nicht überzeugend.

China verfolgt das US-amerikanische Engagement für Taiwan mit Adleraugen. Denn die Insel gehört nach Pekings Verständnis zu China und muss früher oder später wieder ans Festland angegliedert werden, zur Not auch mit Gewalt. Dass China bisher davor zurückscheut, liegt vor allem an Washingtons Unterstützung für Taipeh.

Pelosis Besuch in Taiwan sorgt für Aufregung.
Foto: AP/Chiang Ying-ying

Die USA verfolgen gegenüber Taiwan wiederum eine Politik der sogenannten strategischen Ambiguität: Sie stehen grundsätzlich hinter der Ein-China-Politik, unterstützen aber auch die Verteidigung Taiwans. Ob sie nun selbst aktiv Taiwan verteidigen würden, sollte denn China angreifen – das lässt Washington offen. Immer wieder machen hochrangige US-Vertreter dazu unterschiedliche und widersprüchliche Aussagen. Als Biden vergangenen Herbst in der Frage weiter ging als bisher, ruderte seine Sprecherin kurz darauf zurück. Ob auch jene "Hoppalas" zur gewollten Doppeldeutigkeit der USA gehören, bleibt offen.

Rote Linie

Aus Pekinger Sicht gab es in den vergangenen Jahren genug Anlass zur Sorge, dass die USA ihre Strategie ändern könnten. Pelosis Besuch ist kein isolierter Vorfall. Da war die aggressive Anti-China-Politik Donald Trumps, da war sein Taiwan Travel Act, der bilaterale Besuche hochrangiger Vertreter beider Staaten explizit erlaubte – in Taiwan häuften sich die Gäste aus den USA. Ex-US-Außenminister Mike Pompeo sagte bei seinem Besuch im März gar, man müsse die Ein-China-Politik überdenken. Das ist eine klare rote Linie für Peking, die alle Player kennen. Pelosi und auch Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen betonten am Mittwoch schnell, dass sich "nichts am Status quo" ändern soll.

Ähnlich hatte auch Biden gegenüber Chinas Präsident Xi Jinping vergangene Woche beschwichtigt. Seine Message: Es gibt nichts zu befürchten. In der Sache passt Pelosis Reise aber zu Bidens Strategie stärker auftretender USA im Indopazifik. Der Abzug aus Afghanistan und der Ukraine-Krieg haben diese zwar ausgebremst. Wenn Biden aber militärische Kooperationen mit Indien, Japan oder Australien stärkt, dann sollen diese immer ein Gegengewicht zu China darstellen.

Pelosis Besuch auf der umstrittenen Insel passt also durchaus zur US-Agenda. Dass der Zeitpunkt vielleicht nicht in Bidens Sinn war, mag sein. Eine Eskalation in Taiwan streben die USA zweifelsohne nicht an.

Doch diese gilt trotz allem als unwahrscheinlich. Und gerade inmitten all der Doppeldeutigkeiten ist Pelosis Besuch in Taiwan ein erfrischend klares Zeichen. Die 82-jährige Demokratin steht am Ende einer Karriere, in der sie China schon oft die Stirn geboten hat. Explizit erinnerte Pelosi im Zuge ihres Besuchs an die Menschenrechtsverletzungen in Hongkong, in Tibet und Xinjiang.

Und falls China tatsächlich darüber nachdenkt, im Sog der Ukraine-Krise Taiwan "wiedereinzugliedern", dann zeigen die USA nun deutlicher als zuvor: Auch Washington schaut sehr genau hin. (Anna Sawerthal, 3.8.2022)