Wien – Die Ausmaße der Energiekrise werden immer weitreichender, vor allem die Kosten scheinen völlig ungebremst in den Himmel zu schießen. Am Mittwoch gab die Energieallianz Austria (EAA) bekannt, ab 1. September die Preise für Strom und Gas in Wien und Niederösterreich zu erhöhen. Betroffen sind davon Kundinnen und Kunden von Wien Energie sowie EVN. Die Preisanpassung soll durch Angebote und Rabatte abgefedert werden. DER STANDARD hat sich angesehen, welche Entwicklungen bevorstehen und wie sich diese auf die Bevölkerung auswirken.

Frage: Was haben die Energieversorger eigentlich beschlossen?

Antwort: Jedes Jahr am 1. Jänner findet – ganz regulär – eine Indexanpassung statt. Das bedeutet, Strom- und Gaspreise für Endkunden werden an Großhandelspreise angepasst. Diese Großhandelspreise sind massiv gestiegen: Der Österreichische Strompreisindex (ÖSPI) ist binnen eines Jahres um 247 Prozent nach oben geklettert, der Österreichische Gaspreisindex (ÖGPI) um 323 Prozent. Die Energieversorger Wien Energie und EVN haben deswegen beschlossen, die Indexanpassung von 1. Jänner 2023 auf 1. September vorzuziehen. Im Burgenland wird erst im Jänner erhöht – obwohl die Energieversorger Wiens, Niederösterreichs und des Burgenlandes im Rahmen der Energieallianz ihre Schritte normalerweise koordinieren. Wien Energie und EVN rechtfertigen die Indexanpassung mit den international "dramatischen Preisanstiegen".

Frage: Warum ist das Burgenland nicht dabei?

Antwort: Das bleibt offen; Branchenkenner munkeln über politische Beweggründe. Anfang Oktober stehen im Burgenland Gemeinderatswahlen an. Tatsache ist, dass es für die Burgenland Energie ein Stück weit auch ein Risiko bringt, dass sie nicht mitzieht. Denn möglicherweise fällt die Preiserhöhung im Jänner dann noch deutlich höher aus. In Wien und Niederösterreich hingegen bleiben die Preise nach der Erhöhung zumindest bis 1. April fixiert; darauf hat man sich im Rahmen der Energieallianz geeinigt.

In Ostösterreich müssen sich Menschen ab September auf deutlich höhere Energierechnungen einstellen.
Foto: imago images / Joko

Frage: Um wie viel werden sich die Strom- und Gaspreise in Wien und Niederösterreich genau erhöhen?

Antwort: Das wird nicht verraten, wie es auf STANDARD-Anfrage bei Wien Energie heißt. Der Hintergrund: Strom- und Gasrechnungen bestehen aus drei Komponenten: dem reinen Energiepreis, den Netzkosten sowie Steuern und Abgaben. Was sich nun konkret erhöht, ist nur eine dieser Komponenten, der reine Energiepreis. Würde man die genaue prozentuale Erhöhung kommunizieren, würden Kunden glauben, ihre Energierechnungen erhöhen sich in diesem Ausmaß, so die Wien Energie – deshalb die Geheimniskrämerei. Um wie viele Cent eine Kilowattstunde teurer wird, bleibt ebenfalls geheim. Was immerhin kommuniziert wird, ist die prozentuale Erhöhung auf den gesamten Energiepreis, also auf alle drei Komponenten zusammen: Diese beträgt etwa bei der Wien Energie 85 Prozent bei Strom und 97 Prozent bei Gas.

Frage: Welche Mehrkosten müssen Kunden erwarten?

Antwort: Ein durchschnittlicher Dreipersonenhaushalt in einer Wohnung von rund hundert Quadratmetern muss bei den Stromkosten mit monatlich zusätzlich 57 Euro rechnen (bei einem Stromverbrauch von 3.500 Kilowattstunden) und bei den Gaskosten mit zusätzlich 108 Euro.

Frage: Welche Tarife sind betroffen?

Antwort: Die Standardtarife. Darunter fallen Tarife, die weder eine Preisgarantie beinhalten noch sogenannte Floater-Verträge sind, die ohnehin am Großhandelspreis hängen. In Wien etwa lauten die Namen der nicht betroffenen Tarife Optima Garant, Optima Entspannt und Optima Float. Insgesamt werden beim Wiener Konzern 70 Prozent aller Verträge betroffen sein, bei der EVN in Niederösterreich 50 Prozent. Der Anteil der Ratenzahlungen liegt bei Wien Energie mit circa 12.000 aufrechten Vereinbarungen – noch – im langjährigen Schnitt, nicht drüber.

Frage: Wie geht es für Kunden nun weiter?

Antwort: Kunden werden noch im August mittels Briefs über die Änderungen informiert. Wenn sie den neuen Bedingungen zustimmen, gewähren ihnen die Energieversorger Rabatte, was die Kostenbelastung etwas reduziert. Sie können aber auch kündigen – in diesem Fall läuft der alte Vertrag noch drei Monate lang zu den bisherigen Preisen weiter, so sieht es das Gesetz vor. Danach müssen sich die vormaligen Kunden einen anderen Anbieter suchen.

Frage: Welche Rabatte gibt es?

Antwort: Mit "zusätzlichen Bindungs- und Treueaktionen" soll der Anstieg für Kunden von Wien Energie bei Strom auf weniger als ein Drittel und bei Gas um die Hälfte reduziert werden. Auch EVN-Kunden können sich bis zu 17 Prozent der gesamten Stromkosten zurückholen. In Niederösterreich greift zudem der von der Landesregierung beschlossene Strompreisrabatt.

Frage: Zahlt sich der Wechsel zu anderen Anbietern aus?

Antwort: Nein, Konsumentenschützer und Experten raten durch die Bank von einem Anbieterwechsel ab – bei Neuverträgen sind die Bedingungen derzeit gemeinhin noch viel schlechter, als wenn man bei seinem alten Anbieter bleibt.

Frage: Stimmt es, dass die Energieversorger riesige Gewinne schreiben, während sie zugleich die Preise erhöhen?

Antwort: Richtig, vielen Energieversorgern und -produzenten spülen die hohen Strom- und Gaspreise in diesen Monaten enorme Gewinne in die Kassa. Im Detail ist es aber komplizierter: Es profitieren vor allem jene, die viel Strom aus erneuerbaren Quellen produzieren, zum Beispiel Wasserkraft. Sie haben nämlich geringe Erzeugungskosten, können den Strom aber teuer verkaufen. In Österreich fallen darunter beispielsweise der teilstaatliche Stromkonzern Verbund und die Energieversorger Westösterreichs, etwa die Tiroler Tiwag und die Vorarlberger Illwerke. Im Osten des Landes hingegen – wo aufgrund der Geografie Wasserkraft weniger wichtig ist – schaut es für die Energieversorger nicht ganz so rosig aus. Die dortigen Versorger müssen ihrerseits teures Gas ankaufen und können weniger auf erneuerbare Energien zurückgreifen. Bei der Wien Energie etwa ist der Gewinn im Jahr 2021 gegenüber dem vorangegangenen Rekordjahr 2020 um 61 Prozent auf 140 Millionen Euro eingebrochen. Auch bei der EVN sank das Nettoergebnis im Zeitraum von Oktober bis März im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 27,6 Prozent auf 127,4 Millionen Euro.

Frage: Woher kommt es, dass Energieversorger die Preise in unterschiedlichem Ausmaß erhöhen?

Antwort: Es liegt eben an dieser unterschiedlichen Ausgangslage. Wenn Energieversorger ihrerseits nicht teures Gas einkaufen müssen, haben sie eher finanziellen Spielraum, Preiserhöhungen moderater zu gestalten. Die Tiroler Tiwag erhöhte beispielsweise ihren Strompreis mit 1. Juni um 14 Prozent. Die Vergleichszahl für Wien und Niederösterreich wird seitens Wien Energie und EVN zwar nicht verraten – aber sie dürfte jedenfalls deutlich höher als in Tirol ausfallen. Ein Blick auf den Tarifkalkulator der Regulierungsbehörde E-Control zeigt, dass die Strompreise in Westösterreich derzeit spürbar günstiger sind als im Osten. Ein Durchschnittshaushalt mit einem Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden Strom zahlt derzeit bei der Tiwag 634,32 Euro – bei der EVN hingegen sind es 778,98 Euro, bei der Wien Energie 823,13 Euro (Stand: 1. August).

Frage: Kürzlich wurde eine Erhöhung der Fernwärmepreise angekündigt: Hängt sie mit dieser Preisanpassung zusammen?

Antwort: Nicht direkt. Um 92 Prozent sollen die Kosten für die Fernwärme steigen, wie Wien Energie Anfang Juni bekanntgab. Doch diese Erhöhung läuft unabhängig von der aktuellen Preisanpassung bei den Strom- und Gaspreisen. Was die Fernwärme betrifft, muss eine Preiskommission einen entsprechenden Antrag auf Preissteigerungen prüfen, die endgültige Entscheidung liegt danach bei Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Zur Preiskommission zählen Vertreter der Arbeiter-, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer sowie der Stadt Wien. Das Verfahren läuft noch, bei der Stadt will man sich deswegen nicht äußern. Bei den regulären Strom- und Gaspreisen hingegen ist ein derartiges Verfahren vor einer Preiskommission gesetzlich nicht erforderlich.

Frage: Wann haben sich die Preise für Strom, Gas und Fernwärme zuletzt erhöht?

Antwort: Zuletzt wurden die Preise für Fernwärme in Wien im Jahr 2016 angehoben, damals mit einer Steigerung von rund zwölf Prozent natürlich weit weniger stark. Bei Strom und Gas liegt die Erhöhung weniger weit zurück: Am heurigen 1. Februar wurde Gas bei Wien Energie, EVN und Burgenland Energie teurer; bei Strom war es der 1. Jänner.

Frage: Wie hängen Fernwärme und Strom mit dem Gaspreis zusammen?

Antwort: Generell bestimmen die international hohen Gaspreise auch die Strompreise – denn im Strommarkt bestimmt das teuerste Kraftwerk den Gesamtpreis für den Strom. Im Normalfall handelt es sich dabei derzeit um ein Gaskraftwerk. In Wien und Ostösterreich ist darüber hinaus die Abhängigkeit von Gas besonders groß: Um Fernwärme zu produzieren, werden etwa in den Wiener Anlagen nicht nur Müll und Biomasse verbrannt, sondern im großen Stil auch Gas: Rund 60 Prozent, fallweise sogar 65 Prozent der Wiener Fernwärme stammen aus der Gasverbrennung. Was die Stromerzeugung betrifft, stammen bei der Wien Energie 75 Prozent des Stroms aus Gas – ein ziemlich hoher Anteil.

Frage: Wie wird sich all das auf die Heizsituation auswirken?

Antwort: Es gibt Ideen, dass öffentliche Gebäude, Büros und kommerzielle Gebäude ab Herbst bis maximal 19 Grad beheizt werden sollen. In Schulen zeichnen sich die ersten Auswirkungen bereits ab. Bildungseinrichtungen wurden vor Beginn der Sommerferien angehalten, sich auf steigende Heizkosten einzustellen. "Im Budget wurde ein Mehrbetrag für Heizkosten in Höhe von 38 Prozent eingerechnet, diese Summe wurde an anderer Stelle aber gestrichen", sagt Wolfgang Bodei, Direktor der HTL Hollabrunn und Sprecher aller berufsbildenden höheren und mittleren Schulen im Ö1-"Morgenjournal". Das Budget für Investitionen wie Labormaterial, Computer oder auch Skikurse sei geschrumpft.

Frage: Was macht die Politik?

Antwort: Die österreichische Regierung hat mittlerweile drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Darin sind Maßnahmen enthalten wie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 500 Euro (heuer) für Erwachsene, eine Anhebung des Familienbonus und die Abschaffung der kalten Progression. Zudem ist ein Strompreisdeckel angekündigt, über diverse Steuersenkungen und einen Spritpreisdeckel wird diskutiert. Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) plädiert etwa für "Eigeninitiative". Man müsse den Hausverstand anwenden und unnötiges Tempo mit dem Auto oder zu tiefe Temperaturen bei der Klimaanlage vermeiden. Schon aus Klimaschutzgründen dürfe man nicht verschwenderisch mit Energie umgehen.

Frage: Was hat die EU bisher beschlossen?

Antwort: Die EU-Länder haben sich auf einen Notfallplan geeinigt, da ein Lieferstopp von russischem Gas befürchtet wird. Der Plan sieht vor, den nationalen Konsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken – im Vergleich zum Durchschnittsverbrauch in dem gleichen Zeitraum in den vergangenen fünf Jahren. Falls nicht genug gespart wird und es weitreichende Versorgungsengpässe gibt, kann ein Unionsalarm mit verbindlichen Einsparzielen ausgelöst werden. (Joseph Gepp, Andreas Danzer, 4.8.2022)