In der Umgebung des Böhmischen Praters soll eine 17-Jährige im März mehrmals zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden sein.

Foto: Heribert Corn

Wien – Die meisten Verteidigerinnen und Verteidiger sind tendenziell eher davon angetan, wenn in den Medien über ihre Fälle berichtet wird, steigert sich so doch ihr Bekanntheitsgrad, und sie können es in Boulevardmedien sogar zum "Staranwalt" oder zur "Topverteidigerin" bringen. Im Verfahren gegen Herrn K. geht Rechtsvertreter Philip Wolm den umgekehrten Weg: Er beantragt beim Schöffensenat unter Vorsitz von Katharina Adegbite-Lewy bereits vor Verlesung der Anklageschrift den Ausschluss der Öffentlichkeit. Wolms Begründung: Sein 20-jähriger Mandant laufe Gefahr, selbst bei einem Freispruch mit dem Makel eines Sexualdelikts versehen zu sein, da auch Medienvertreter anwesend seien, spricht er die Journalistin der "Kronen Zeitung" und den Verfasser direkt an. Die Staatsanwältin sieht dagegen keinerlei Grund für eine besondere Schutzwürdigkeit – eine Ansicht, der sich der Senat nach kurzer Beratung anschließt.

Die Anklägerin kann dann also vortragen, was dem unbescholtenen syrischen Arbeiter vorgeworfen wird. Er soll in der kalten Nacht vom 18. auf den 19. März eine 17-Jährige gegen deren Willen zu einem abgelegenen Spielplatz gefahren haben. Dort soll K. ihr gesagt haben, "er habe Druck", und ihr angedroht haben, sie in der fremden Umgebung ohne Jacke und Handy alleine zu lassen, wenn sie keinen Oralverkehr an ihm praktiziere. Anschließend soll er sie laut Anklage anal und vaginal vergewaltigt haben und ihr zuvor einen Tampon entfernt haben. Auf der Rückfahrt habe er neuerlichen Oralverkehr gefordert, der auch durchgeführt worden sei.

Verteidiger vermutet "Notlüge"

Verteidiger Wolm plädiert in seinem Eröffnungsplädoyer dagegen für einen Freispruch. "Wir haben leider oft die Situation, dass die Aussage des vermeintlichen Opfers das einzige Beweismittel ist", stellt er fest. Die Frage nach dem Motiv für eine falsche Beschuldigung müsse er als Anwalt nicht beantworten, meint Wolm, nur um kurz darauf die Möglichkeit einer "Notlüge" in den Raum zu stellen, um einen Seitensprung zu vertuschen.

Schwerer wiegen für ihn aber die Widersprüche in den Aussagen der jungen Frau: Bei der Polizei hatte sie zunächst angegeben, nur sie und der Angeklagte seien in dem Auto gewesen. Bei einer weiteren Einvernahme sprach sie davon, neben den beiden sei auch noch ein Bekannter von ihr mitgefahren, schließlich sprach sie von ursprünglich vier Männern in dem Wagen.

Angeblich 1,5 Liter Wodka intus

Der Verteidiger zweifelt auch an der Angabe, dass die 17-Jährige zuvor 1,5 Liter 18-prozentigen Wodka getrunken habe. Tatsächlich hätte sie dann einen Blutalkoholgehalt von über vier Promille gehabt, sämtliche Zeugen sprechen aber davon, sie habe nur angeheitert gewirkt. Außerdem habe sein Mandant nachweislich um 00.50 Uhr in der Tatnacht 30 Euro vom Bankomaten abgehoben, die er der ihm eigentlich Unbekannten geschenkt haben soll, sie sagte dagegen, ein Bekannter habe ihr das Geld gegeben. "Ein schlechtes Bauchgefühl reicht nicht, Sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein", appelliert Wolm an die Laienrichterin und die Laienrichter.

K. trägt wenig zur Wahrheitsfindung bei: Er bekennt sich nicht schuldig, verweist auf seine Aussage bei der Polizei, wo er von einvernehmlichem Geschlechtsverkehr gesprochen hatte, und macht dann von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch.

Feier in Club am Gürtel

Unstrittig ist, dass die 17-Jährige am Freitagabend mit einer Freundin in einem Club am Wiener Gürtel gewesen ist. Ihr dürfte das Geld ausgegangen sein, deshalb rief sie einen Bekannten an, er solle vorbeikommen. Der war gerade mit zwei Freunden in einem anderen Gemeindebezirk am Bechern, wie er als Zeuge berichtet. Als das Trio auf dem Weg zur U-Bahn war, sei zufällig der Angeklagte in seinem Auto vorbeigekommen und habe sie mitgenommen.

Vor dem Club traf man auf die 17-Jährige, die seit mit zum Auto gekommen und habe im Wagen eine geraucht, erinnert sich der Zeuge. Unvermittelt sei der Angeklagte mit seinen vier Fahrgästen losgefahren und habe den Herkunftsbezirk angesteuert. Auf der Fahrt habe das Teenager-Mädchen gesagt, sie wolle zum Club zurück, da sie dort ihre Freunde treffen wolle, K. habe das aber ignoriert. "Finden Sie das normal, dass der Angeklagte nicht umkehrt, wenn das Mädchen sagt, sie will zurück?" – "Nein", antwortet der Zeuge knapp. Zurück im Heimatbezirk seien er und seine beiden Freunde ausgestiegen, er habe die Bekannte noch gefragt, ob er ihr ein Taxi rufen solle, die habe aber abgelehnt und gesagt, K. werde sie wieder zum Club bringen. Dass er ihr Bargeld gegeben habe, wie die Frau behauptet, stimme aber sicher nicht, ist der Zeuge sicher: Er habe damals wegen eines technischen Problems überhaupt nichts abheben können.

"Sie war völlig anders. Innerlich kaputt"

Während der Fahrt sei die junge Frau "ganz normal" gewesen, eine besondere Anspannung habe er nicht bemerkt, meint der Lehrling. Das änderte sich um fünf Uhr früh: "Sie hat mich angerufen, beschimpft und geweint. Sie hat gesagt, dass K. Scheiße gemacht habe", rekapituliert der Zeuge. Ein oder zwei Tage später habe er seine Bekannte wiedergesehen. "Sie war völlig anders. Innerlich kaputt, ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll", erinnert er sich. Sie habe ihm auch ein Messer in ihrer Tasche gezeigt, ohne das sie das Haus nicht mehr verlasse.

Die beiden anderen Mitfahrer wollen ebenso wenig besonders Auffälliges erlebt haben, einer berichtet, dass die 17-Jährige während der Fahrt mehrmals auf ihrem Handy Nachrichten geschrieben und auch telefoniert habe. Alle drei Zeugen widersprechen der Aussage der Frau, dass die Autotüren von innen nicht zu öffnen gewesen seien – sie hätten alle problemlos aussteigen können.

Dann wird es verwirrend. Als nächster Zeuge kommt nämlich ein 19-Jähriger, der nach eigenen Angaben früher einmal mit ihr zusammen war. Er hatte mit der 17-Jährigen im Vorfeld vereinbart, sich um 00.30 Uhr bei einer U-Bahn-Station am Gürtel zu treffen, um mit ihr und ihrer Freundin in der niederösterreichischen Wohnung der Freundin zu übernachten.

Zwei Stunden Warten bei der U-Bahn

Er war um 00.30 Uhr am ausgemachten Ort, die 17-Jährige nicht. Da der Akku seines Mobiltelefons leer war, beschloss er zu warten. Er war geduldig: Erst um 2.30 Uhr tauchte der Teenager auf. Laut ihm sei die junge Frau "ängstlich und eingeschränkt" gewesen, habe gestottert und gezittert. Auf der U-Bahn-Fahrt zum Bahnhof habe sie ihm und der Freundin dann erzählt, sie sei "misshandelt" worden.

Vorsitzende Adegbite-Lewy hält dem Zeugen dann vor, dass sich die Aussage der Freundin ganz anders lese. Demnach sei die 17-Jährige gegen zwei Uhr zurück in den Club gekommen und habe "ganz normal" gewirkt. Auch in der U-Bahn oder im Zug sei nicht über eine Vergewaltigung gesprochen worden, erst in der Früh habe sie ein Telefonat mitgehört, in dem die 17-Jährige von einer Vergewaltigung gesprochen habe, die dann am 19. März bei der Polizei angezeigt wurde.

Der Zeuge schließt nicht aus, dass die Freundin im Zug vielleicht nicht in der Nähe gewesen sei, als die 17-Jährige mit ihm sprach. Verteidiger Wolm ist das zu wenig: "Ja aber haben Sie dann nicht in der Wohnung der Freundin darüber gesprochen? Ob man gleich zur Polizei soll?" Der Zeuge sagt, das sei so gewesen, die Freundin widerspricht. "Ich hatte so was selbst schon einmal und hätte sicher nicht, verzeihen Sie, darauf gschissen", ist die Freundin sich als Zeugin sicher, so etwas nicht zu ignorieren.

Keine alarmierenden Botschaften

Wie sich herausstellt, waren die beiden Frauen einst Kolleginnen an einer gediegenen Schule, die auch Beisitzer Georg Allmayer besucht hat, wie er verrät. Danach hätten sie sich aber drei oder vier Jahre nicht mehr gesehen und seien nur zufällig wieder in Kontakt gekommen. "Ich kann sie nicht wirklich einschätzen", gibt die Zeugin zu. Während der Abwesenheit der 17-Jährigen hätten die beiden aber mehrere Nachrichten ausgetauscht, keine davon klang alarmierend.

Als Letzter tritt ein Arbeitskollege des zwei Stunden Wartenden auf. Die beiden waren zuvor in einer größeren Gruppe fort, von ihm borgte sich der Ex-Freund der 17-Jährigen auch das Mobiltelefon aus. "Er hat den ganzen Abend mit seiner Freundin telefoniert", erinnert sich dieser Zeuge und hält auf Nachfrage fest, dass sein Kollege und die 17-Jährige "auf jeden Fall ein Paar waren", das habe ihm der Kollege auch so gesagt. Um zwei Uhr klingelte sein Handy, und die 17-Jährige war dran. Sie habe weinerlich geklungen und gefragt, wo ihr Bekannter sei. "Haben Sie da nicht nachgefragt? Der fährt um Mitternacht weg, und zwei Stunden später meldet sich die Frau und sucht ihn?", ist Beisitzer Allmayer verwundert. Dem Zeugen kam das möglicherweise auch alkoholinduziert nicht seltsam vor.

Ausschluss der Öffentlichkeit

Für die zweistündige Vorführung der kontradiktorischen Vernehmung der 17-Jährigen wird dann die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Während die Staatsanwältin in ihrem Schlussplädoyer K.s Verurteilung und Privatbeteiligtenvertreterin Patricia Hofmann 5.000 Euro Schmerzensgeld fordert, redet sich Verteidiger Wolm in seinen Schlussworten fast in Rage. "Wenn man den Aussagen des vermeintlichen Opfers Glauben schenke würde, wäre der Umkehrschluss, dass ALLE Zeugen lügen!", verdeutlicht er.

Die Unschuld seines Mandanten sei dagegen durch Kontrollbeweise erwiesen – das von ihm beim einvernehmlichen Sex verwendete Kondom wurde dort gefunden, wo K. es weggeworfen hatte. Im AKH wurden bei der 17-Jährigen keinerlei Verletzungen entdeckt. "Ich weiß, dass er als syrischer Einwanderer mit so einem schwerwiegenden Vorwurf gegen eine nette junge Frau nicht die besten Karten hat. Wir leben in einer Welt der Verurteilungen durch Klicks. Aber nach allem, was im Akt steht und in diesem Verfahren gesagt worden ist, ist K. zwingend freizusprechen", erinnert der Anwalt an den Grundsatz, dass ein Angeklagter im Zweifel freizusprechen sei.

Senat benötigt nur wenige Minuten

Sein flammendes Plädoyer scheint nicht nötig gewesen zu sein, benötigt der Senat doch nur gute zehn Minuten, um zu einem Urteil zu kommen – K. wird von allen Vorwürfen freigesprochen. "Es waren derartig viele Widersprüche in der Aussage des Opfers", begründet Vorsitzende Adegbite-Lewy die nicht rechtskräftige Entscheidung und weiß gar nicht, wo sie anfangen soll. "Sie hat nie etwas vom Oralverkehr im Auto erzählt, der Angeklagte dagegen von Anfang an. Erst auf Vorhalt ist es ihr wieder eingefallen, und sie hat gesagt, ihr Kopf sei leer. Sie erzählte auch, dass sie extreme Schmerzen beim Analverkehr hatte und auch geblutet habe – am nächsten Tag im AKH wurden keine Verletzungen festgestellt. Sie erzählt, dass sie bei einer Tankstelle versuchte, über die Heckklappe aus dem Auto zu flüchten – das Auto hat aber gar keine. Sie behauptet, sie habe Angst gehabt, ohne Jacke auf dem Spielplatz gelassen zu werden, erzählt allerdings in mehreren Vernehmungen, dass sie die Jacke anhatte."

Die Vorsitzende ordnet die sofortige Freilassung K.s aus der Untersuchungshaft an, der sagt dafür schlicht "Danke", ehe er zurück in seine Zelle geführt wird, um seine Sachen packen zu können. (Michael Möseneder, 4.8.2022)