Den Körper, die Bewegungen spüren – Nacktheit ist zentral für ein gutes Körperbewusstsein.

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Die meisten Mütter wollen, dass ihre Töchter später nicht mit ihrem Körper hadern. Dass sie einen unbeschwerten Umgang mit ihm haben, sich nicht für dies und das schämen – und wenn sie größer sind, ihn nicht wie so viele erwachsene Frauen als nicht schön genug wahrnehmen. Pädagog:innen sind sich darin einig, dass auf dem Weg zu einem positiven Körpergefühl Nacktsein und ein unbekümmerter Umgang damit eine zentrale Rolle spielen. Andererseits werden Eltern in manchen Freibädern schon bei kleinen Kindern mit Verweis auf die vielen Handys mit Kameras darauf hingewiesen, ihrem Kind Badekleidung anzuziehen. Und seit einigen Jahren tragen bereits sehr kleine Mädchen ein Bikinioberteil, gerade so, als ob sie etwas "verbergen" müssten.

Wie also tun zwischen dem Bedürfnis, seine Kinder vor einschränkenden Körperbildern und sexualisierten Übergriffen via Kameras und Blicke zu schützen und ihnen andererseits Freiheit im Umgang mit Nacktheit und ihrem Körper zu lassen? Diese Frage stellten wir den User:innen in unserem ersten Teil der Reihe "Feministische Gewissensfrage", dessen Beiträge wir nun um die Einschätzungen der Expertin Bettina Weidinger ergänzen. Sie leitet das Österreichische Institut für Sexualpädagogik und arbeitet als Sexualpädagogin mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Weidinger bestätigt etwa User:innen-Beiträge, wonach die Vorbildwirkung von Eltern für einen guten Umgang mit dem Körper zentral sei. Etwa vor dem Kind am eigenen Körper herumzumäkeln sei kontraproduktiv.

Weidinger sieht einen geschlechtsspezifischen Unterschied zwischen Mädchen und Burschen bei den Rückmeldungen zu körperlichen Fähigkeiten. Wenn sie auf Bäume klettern oder schnell laufen, wird das bei Mädchen weniger kommentiert. Bei diesen Rückmeldungen soll es aber nicht um Leistung gehen, sondern um den Spaß an der Bewegung. Mit Eltern toben und ausgelassen Ball spielen, das vermittle ihnen Freude an Körper und Bewegung.

Daheim und draußen

Komplizierter wird es beim Thema Nacktheit. "Auch wir Erwachsenen merken, dass wir nackt ein anderes Körpergefühl haben als angezogen", sagt Weidinger darüber, warum Nacktheit für die Entwicklung eines guten Körperbewusstseins wichtig ist. Dabei gehe es letztlich einfach darum, zu erleben: "Mein nackter Körper ist in Ordnung." Trotzdem müsste zwischen zwei Ebenen unterschieden werden, sagt Weidinger. Einer gesamtgesellschaftlichen/politischen und einer persönlichen/privaten. "Dass Kinder sich einschränkten müssen, weil sich Erwachsene falsch verhalten, ist eine Frechheit", das sei eine Verschiebung von Verantwortung, sagt die Sexualpädagogin.

Auf einer gesellschaftlichen Ebene sei es durchaus wichtig, über die Sinnhaftigkeit bestimmter Regeln zu diskutieren. Doch wenn es konkret um das Körpergefühl des Kindes und konkrete Situationen gehe, sei es zentral, erst einmal zu vermitteln: Wie du bist, bis du okay – und zwar der ganze Körper.

"Also wie schafft man es, dass das Kind einerseits in der Gesellschaft inkludiert wird und es trotzdem seine Freiheit hat?", beschreibt Weidinger das Spannungsfeld. Kinder wollen Teil der Gesellschaft sein und in dieser mitspielen. "Wenn Kinder etwa schon sehr klein einen Bikini anhaben wollen, bedeutet das auch, dass sie diese Regeln mitmachen wollen." Damit Kinder abseits von diesem Dazugehören-Wollen auch ein gutes Körperbewusstsein entwickeln können, sollte man ihnen im privaten Bereich die Entscheidungsfreiheit lassen. Wenn man im Garnten etwa den Rasensprenger aufstellt, darf es selbst entscheiden, ob es nackt oder mit Badehose durchlaufen will. Wichtig sei, dass keines von beidem bewertet wird. Moralische Bewertungen wie "Zieh dir was an" oder "Du brauchst dich ja nicht genieren, tu die Hose weg" sollte man lassen, rät Weidinger.

So sind sie halt, die Regeln

Schwieriger wird es bei den gesellschaftlichen Regeln und der Frage, wie wir mit Nacktheit in der Öffentlichkeit umgehen. Um auch hier moralische Bewertungen durch die Eltern außen vor zu lassen, rät Weidinger, Kindern zu erklären, dass es einfach um eine gesellschaftlich Regel geht. "Wir können ihnen vermitteln, dass wir uns am Strand halt die Badehose anziehen, weil es so üblich ist – aber nicht, weil man sich geniert." Weidinger ist überzeugt, dass es einen großen Unterschied macht, ob man einem Kind sagt, zieh was an, weil es so üblich ist, oder weil man "sonst was sieht".

Mit den Kindern könne man durchaus auch besprechen, dass manche Regeln "vielleicht ein bisschen komisch sind, weil wir ja alle so schön sind und uns trotzdem was anziehen müssen", formuliert es Weidinger. Aber dass es halt so üblich sei, etwa wie es auch üblich ist, sich die Hände zu schütteln. (Beate Hausbichler, 4.8.2022)