Natascha Zeitel-Bank stammt aus Süddeutschland und war selbst Journalistin, unter anderem für das ZDF und die Deutsche Welle.

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Der Verfassungsgerichtshof hat der Bundesregierung mit seinem Entscheid vor knapp zwei Wochen den Auftrag gegeben, eine neue Finanzierungsregelung für den ORF zu finden. Die bisher GIS-freie Streamingnutzung sei verfassungswidrig. Die Innsbrucker Politikwissenschafterin Natascha Zeitel-Bank schlägt einen Vergleich mit anderen europäischen Staaten vor und betont die Bedeutung eines politisch unabhängigen ORF.

STANDARD: Was war Ihre erste Reaktion auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs?

Zeitel-Bank: Sehr gut. Ein Schritt in die richtige Richtung, ein wichtiges Urteil. Jeder, der den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner Vielfalt nutzt, sollte auch dafür zahlen. Der ORF ist mit seinem öffentlichen Auftrag ein wichtiger demokratischer Pfeiler, der freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit in seiner Vielfalt sicherstellen muss. Dazu braucht er auch die notwendige Finanzierung. Der Staat ist rechtlich dazu verpflichtet, für geeignete Rahmenbedingungen zu sorgen.

STANDARD: Wie soll der ORF Ihrer Meinung nach künftig finanziert werden?

Zeitel-Bank: In den meisten der 27 EU-Mitgliedsstaaten gibt es einen Finanzierungsmix aus Gebühren, öffentlichen Mitteln und Werbeeinnahmen. Die Mitgliedsländer wurden von der Europäischen Kommission aufgefordert, ihre Finanzierungsbestimmungen offenzulegen. Die Europäische Kommission achtet darauf, dass keine Wettbewerbsverzerrung beispielsweise gegenüber privaten Rundfunkanbietern erfolgt. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Ich denke, die Haushaltsabgabe wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

"Der Staat ist rechtlich dazu verpflichtet, für geeignete Rahmenbedingungen zu sorgen."

STANDARD: Was spricht dafür?

Zeitel-Bank: Der Trend weg vom traditionellen Rundfunk hin zu Streaming und mobiler Nutzung ist nach wie vor ungebrochen. Damit verändert sich die gesamte Mediennutzung, auch auf den Endgeräten, vor allem bei jungen Menschen. Daher ist es sinnvoll, eine nutzungsunabhängige Gebühr wie eine Haushaltsabgabe zu erheben. In Deutschland ist das der Fall. Dort hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2018 klargestellt, dass diese wohnungsgebundene Abgabe nicht verfassungswidrig ist. Dies wurde damit begründet, dass nicht die Existenz eines Empfangsgeräts oder ein Nutzungswille vorliegt, sondern es genügt die Möglichkeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzen zu können.

STANDARD: Braucht es den ORF?

Zeitel-Bank: Ein klares Ja. Es braucht eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt als unabhängige Kontrollinstanz in einem demokratischen Staat. Dies wird auch im Bundesverfassungsgesetz über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks bestätigt. Wichtig ist dabei, dass Regelungen für die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch angewendet und kontrolliert werden.

Eines meiner Forschungsgebiete sind Mediensysteme im internationalen Vergleich mit Schwerpunkt Europäische Union. Es gibt viel zu lernen von anderen Ländern. Ohne grundlegende Regelungen auf der europäischen Ebene wird es nicht gehen. Bei den bisherigen Gesetzen wird immer wieder das Spannungsverhältnis zwischen freiem Wettbewerb und der gleichzeitigen Notwendigkeit des Schutzes unserer Werte, der gemeinsamen Kultur deutlich. Mit dem Erstarken der Plattformen wurde zudem klar, wie wichtig Qualitätsmedien sind, um gegen demokratiefeindliche Aktionen wie Fake News oder Hate-Speech vorzugehen. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Garant für journalistische Qualitätsprinzipien wie professionelle Selektion, Prüfung und Veröffentlichung von Nachrichten und damit ein Garant für Informations- und Meinungsfreiheit unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen.

Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt. Der letzte Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU hat gezeigt, dass gerade der ORF beziehungsweise der Gesetzgeber noch an den Governance-Strukturen arbeiten muss. Die Frage, die sich mir stellt, ist mehr inhaltlicher Art: Wie hoch ist der Anteil von Produktionen, die tatsächlich dem Public Value entsprechen, also einen gesellschaftlichen Mehrwert bedeuten? Ist es notwendig, immer noch Werbungen zu schalten? Muss tatsächlich viel Geld für Sport-, Serien- und Filmrechte gezahlt werden? Wofür werden die Mittel also eingesetzt? In Deutschland prüft das eine unabhängige Behörde, die aus Sachverständigen zusammengesetzte Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten.

"Spannend und bereichernd wäre sicherlich eine Vernetzung der Mediatheken auf europäischer Ebene mit der Option auf Vielsprachigkeit."

STANDARD: Was würden Sie sich von einem neuen ORF-Gesetz wünschen?

Zeitel-Bank: Da setze ich genau an diesem letzten Punkt an. Es muss ein Gesetz sein, das verdeutlicht, dass politische Einmischung nicht sein darf. Politik ist nur dann im Spiel, wenn es um die gesetzlichen Rahmenbedingungen geht. Dies und die entsprechenden Umsetzungen müssen transparent, nachvollziehbar und notwendig sein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss die Meinungsäußerungsfreiheit und die Informationsfreiheit gemäß der Charta der Grundrechte der EU garantieren. Dazu benötigt er entsprechende finanzielle und personelle Mittel. Spannend und bereichernd wäre sicherlich eine Vernetzung der Mediatheken auf europäischer Ebene mit der Option auf Vielsprachigkeit.

STANDARD: Wie kann man die Politik aus dem ORF hinausbringen?

Zeitel-Bank: Ohne klare gesetzliche Vorgaben und vor allem auch das notwendige demokratische Grundverständnis dafür wird es nicht gehen. Medien üben eine Kontrollfunktion gegenüber den staatlichen Akteuren aus und nicht umgekehrt. Das ist gerade das, was Europa gegenüber autokratischen Staaten so wertvoll und in seiner Vielfalt so einzigartig macht. Das wird immer viel zu wenig gesehen. Es geht um die Verteidigung eines extrem hohen Guts. Meinungs- und Informationsfreiheit sind auch global gesehen nicht selbstverständlich. An diesem Selbstverständnis muss insgesamt noch auf allen Ebenen gearbeitet werden.

Wichtig ist, dass politisch unabhängige Gremien über den Finanzrahmen bestimmen, es muss die nötige Staatsferne gewährleistet sein. Da hat gerade der jüngste Bericht der EU zur Rechtsstaatlichkeit einige Defizite aufgezeigt. Dies betrifft in Österreich immer wieder den Aspekt der Binnenpluralität – also wie demokratisch und unabhängig erfolgt die Zusammensetzung des ORF-Stiftungsrats. Die Novelle zum Medientransparenzgesetz und einer neuen, zusätzlichen Presseförderung in Österreich sind weitere wichtige Pfeiler, die zügig umgesetzt werden müssen.

STANDARD: Nutzen Sie selbst ORF-Programme?

Zeitel-Bank: Ich bin linear und non-linear unterwegs. Vor allem Nachrichten schaue ich auch gerne zeitversetzt. Ö3 begleitet mich oft auch im Hintergrund durch den Tag, vor allem beim Autofahren. Gerne höre ich aber auch immer wieder FM4 mit den Nachrichten und Hintergrundberichten in englischer Sprache. (Astrid Wenz, 4.8.2022)