"108 MATK" und "121 FATK" lauten die Bezeichnungen jener zwei Wölfe, die am Freitag in Osttirol zum Abschuss freigegeben werden (Symbolbild). Die Politik gerät im Vorfeld der Landtagswahl immer mehr unter Druck erboster Almbauern, die heuer in Tirol dutzende Schafsrisse zu beklagen hatten, die auf das Konto von Wölfen gingen.

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Innsbruck – Am Freitag wird die Tiroler Landesregierung den nächsten Abschussbescheid erlassen. Diesmal soll es einem Wolfspärchen an den Kragen gehen, das im Osttiroler Lavant für mindestens 17 Schafsrisse verantwortlich gemacht wird. Zuletzt wurde sogar ein 300 Kilogramm schwerer Jungochse tot aufgefunden, die Verletzungen am Kadaver deuten ebenfalls auf einen Raubtierangriff hin – eine Bestätigung durch DNA-Tests steht noch aus. Es wäre das erste Rind, das in Tirol den wiederkehrenden Wölfen zum Opfer gefallen ist. Bisher betrafen die Risse meist Schafe oder Wildtiere.

Drei Wölfe in zwei Wochen

Dass nun drei Wölfe binnen zwei Wochen zum Abschuss freigegeben werden, ist wohl in erster Linie der Landtagswahl am 25. September geschuldet. Denn das Thema Wolf ist in Tirol ein sehr emotionales. Die Bauernschaft, die zur ÖVP-Kernklientel zählt, ist erbost über die ihrer Meinung nach untätige Landesregierung. "Wahltag ist Zahltag", lautet deren unverhohlene Drohung an die Volkspartei.

Selbst die Tiroler Grünen befürworten mittlerweile den Abschuss von Wölfen, die für "große Schäden" auf Almen verantwortlich sind. Allerdings wundert sich Spitzenkandidat Gebi Mair über die Eigendynamik, die das Thema entwickelt habe: "Das steht für mich nicht mehr in Relation, wenn ich mir andere Sorgen in der Landwirtschaft aufgrund der Klimaerhitzung anschaue."

Im Büro des zuständigen Landeshauptmann-Stellvertreters Josef Geisler (ÖVP) weiß man, dass "viele andere Themen neben den Wölfen derzeit untergehen". Die Diskussion werde emotional geführt, das Thema polarisiere und fließe daher auch in den Wahlkampf ein. Dennoch betont man, anderes nicht zu vernachlässigen. Allein: Das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit konzentriere sich auf die Wölfe.

Landesregierung folgt Fachkuratorium

Geisler wird den neuen Abschussbescheid am Freitag unterzeichnen. Dem ging eine Sitzung des Fachkuratoriums des Landes – dessen vier Mitglieder zu ihrem eigenen Schutz anonym bleiben – am vergangenen Dienstag voraus. Dort wurde das Pärchen in einem Gutachten als gefährlich eingestuft. Die Landesregierung hat am Mittwoch basierend darauf eine Gefährlichkeitsverordnung erlassen, die am Donnerstag kundgemacht wurde und am Freitag in Kraft tritt.

Mit dem Abschussbescheid wird die Schonzeit für zwei Wölfe in dem eingegrenzten Gebiet, in dem die Risse passierten, bis Ende Oktober ausgesetzt. Jeder Jäger, der dort ganzjährig jagdberechtigt ist, darf die Tiere erlegen – muss es aber nicht tun. Denn seitens der Jägerschaft gibt es große Bedenken. Man befürchtet Anfeindungen durch Tierschützer.

Das Land sichert den Waidmännern und -frauen Anonymität zu. Man müsse den Wolf nicht einmal abtransportieren. Es genüge, ihn zu schießen und die GPS-Daten des Kadavers zu schicken. Die Behörde werde den Abtransport organisieren. Geisler hofft, dass sich Jäger finden, die die Abschüsse erledigen.

WWF warnt vor Verwechslungsgefahr

Doch das ist gar nicht so einfach, wie Christian Pichler, Wolfsexperte vom WWF, erklärt. Denn umherziehende Wölfe – in Tirol gibt es keine Rudel – legen oft große Strecken zurück. Und ob es sich bei dem Tier, das einem Jäger vor die Flinte läuft, um den gesuchten Problemwolf handelt, wird man immer erst posthum feststellen können.

Der WWF wird den ersten Abschussbescheid, der vor zwei Wochen für die Region nahe Innsbruck erlassen wurde, kommenden Dienstag beeinspruchen – weil in diesem Fall Herdenschutzmaßnahmen nicht versucht, sondern pauschal als "unmöglich" abgetan worden seien. Laut EU-Recht sind aber alle Schutzmaßnahmen auszuschöpfen, bevor man schießt. Pichler betont, dass der WWF nicht per se gegen Abschüsse sei, sondern auch im Fall des Pärchens erst prüfen werde, ob man Einspruch einlegt. Generell, so der Wolfsexperte, wäre ein Rudel geeignet, mehr Ruhe in die Region zu bringen, weil dann umherziehende Wölfe fernblieben. Das Pärchen böte die Chance, dass erstmals eines in Österreichs Alpen entstehe.

Politische Diskussion im Wahlkampf

Im nahenden Landtagswahlkampf nehmen die Wölfe, wie zuvor erwähnt, viel Platz ein. Die Grünen unterstützen die Vorgehensweise, wie deren Spitzenkandidat Gebi Mair erklärte: "Wo wiederholte Risse im großen Ausmaß stattfinden, da trifft das Fachkuratorium unabhängig eine Entscheidung. Diese akzeptieren wir." Die Sorge und auch den Ärger der Schafbauern verstehe er: "Niemand will, dass Schafe auf der Alm sterben." Probleme wie der Borkenkäfer oder der Klimawandel hält er aber für die "großen Probleme unserer Zeit", vor denen man die Augen nicht verschließen dürfe. Daher kritisiert er die Landwirtschaftskammer und den Tiroler Bauernbund für "ihre monothematische Wolfsjagd".

SPÖ-Spitzenkandidat Georg Dornauer wirft der schwarz-grünen Koalition vor, "in dieser Causa zu lange auf Stillstand gesetzt und die politisch heißen Eisen nicht angepackt" zu haben. Heute stehe man vor der Situation, dass weder die Bauern, noch die Jäger, noch die Bevölkerung Rechtssicherheit haben, wie mit großen Beutegreifern in Tirol umgegangen werde. Dornauer, der selbst Jäger ist, plädiert für ein Zonen-Management, das den Umgang mit Wolf und Bär klar regelt: "Wir müssen Schutz-, Entnahme- und Abschuss-Zonen definieren, die nachvollziehbar sind und konsequent umgesetzt werden." Nur so könne man "die Almwirtschaft verlässlich schützen und unsere einzigartige Landschaft erhalten". Alles andere sei Augenauswischerei und Wahlkampf-Geplänkel.

FPÖ sieht Landeshauptmann Platter in Verantwortung

Der Jagdsprecher der FPÖ im Tiroler Landtag, Alexander Gamper, springt den Jägern zur Seite und betont, dass man schon vor zwei Jahren darauf aufmerksam gemacht habe, dass man den "Schwarzen Peter" zum Abschuss eines Wolfes nicht den Jägern in die Schuhe schieben darf. "Schon damals hatten wir bedenken, dass es Jäger geben wird, die diese – politisch selbstverschuldete Aufgabe – nicht ausführen möchten", erklärte Gamper. Im Übrigen sei "das Wolfs-Chaos dem scheidenden ÖVP-Landeshauptmann Günter Platter und Geisler anzulasten", behauptete der FPÖ-Mandatar. (Steffen Arora, 5.8.2022)