Flamenco-Star Israel Galván liefert am Freitag bei Impulstanz im Radiokulturhaus des ORF die Uraufführung seines "Radio Concert".

Foto: Nicolas Serve

Dass der Tanz nach wie vor ein Spezialfall unter den Künsten ist, beweist Impulstanz noch bis zum kommenden Sonntag. Dann werden rund 138.000 Interessierte die Veranstaltungen – vor allem 122 Vorstellungen von 54 Produktionen und 358 Tanzkurse – besucht haben.

Trotz Pandemie und chaotischer Reisebedingungen hat das Festival einen organisatorischen Erfolg eingefahren. Und es verbucht auch eine kuratorische Glanzleistung. Nirgendwo in Österreich und selten weltweit wird zeitgenössischer Tanz in vergleichbarer Bandbreite und Qualität angeboten. Das Publikum honoriert das: Die Auslastung der Aufführungen liegt bei 97 Prozent. Das angeschlossene Workshop -Festival und die Klassen von Public Moves brachten zusammen 58.500 Teilnehmende in Bewegung.

Bei Impulstanz ist zu sehen, wie selbstverständlich Choreografinnen und Tänzer Spartengrenzen überschreiten und nationale Grenzen überwinden. Letzteres wird wegen der aktuellen Krisen schwieriger. Umso wichtiger die unprätentiös durchs Festival gespielte Botschaft: Trotz Krise muss der Bevölkerung weiterhin Kunst in aller Offenheit und Vielfalt angeboten werden. So repräsentiert das Festival demokratische Zivilisiertheit und tritt gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft auf.

Gemeinschaft der Körper

Konsequent wurde diesmal der Körper nicht als Schlachtfeld, sondern als großes gemeinsames Vielfaches in seiner ganzen Gegensätzlichkeit gezeigt. Zu erleben war das bereits im Auftaktstück Vollmond von Pina Bausch im Burgtheater, einer Auseinandersetzung mit den Trieben und der Ausgelassenheit des Körpers zwischen dessen archaischer Natur und seiner kulturellen Modernität.

Den historischen Hintergrund dieses Spannungsfelds deutete Hands do not touch your precious Me an, Wim Vandekeybus’ zeitgenössische Interpretation eines mehr als 4000 Jahre alten sumerischen Mythos über die Begegnung einer Göttin mit ihrem dunklen Alter Ego in der Unterwelt: Unausweichlich gehört das Widersprüchliche zur Conditio humana.

Dazu passte die Ambivalenz des Verhaltens einer Gruppe in Isolation, das Mathilde Monnier mit ihrem Tanz Records zeigte. Dessen Videohintergrund zwischen düsteren Wolken und giftiger Sonne deutete an, was Akram Khan bei Jungle Book reimagined ausführte: Dort musste Rudyard Kiplings Mowgli in einer postapokalyptischen Welt zurechtkommen.

Einer jungen Umweltaktivistin, die voriges Jahr bei einer Überschwemmung starb, widmete Anne Teresa De Keersmaeker Mystery Sonatas / for Rosa. Das Publikum wurde durch eine Welt aus Tanz und Musik geleitet, deren zeitspezifische Form unter dem Eindruck gegenwärtiger Krisen entstand.

Robotik und Prothesen

Modellhaft dafür lieferte De Keersmaekers Schwester Jolente, eine renommierte belgische Schauspielerin, in Jérôme Bels Dances for an Actress ihr Selbstporträt als Eroberin der für sie ungewohnten Darstellungsform Tanz ab. Und Boglárka Borcsök wechselte von ihrem einen jungen in drei greise Körper. Bei ihrem ideal ins Mumok platzierten Stück Figuring Age brillierte sie als Schauspielerin, die drei Pionierinnen der ungarischen Tanzmoderne als alte Damen verkörperte.

Ergänzend zu diesen beiden Transformationen brachte Geumhyung Jeong, die mit mehreren Arbeiten zwischen Choreografie, Performance und bildender Kunst gastierte, eine dritte ein: die Wechselspiele zwischen Körper und Objekt, Prothese und Robotik. Eine Queerness, die sich zu den aktuellen Gender- und Kolonialismuspositionen im Festival gesellt: Die Beiträge dazu lieferten unter anderen Dada Masilo, Nadia Beugré, Ivo Dimchev, Ana Pi – und Akram Khan, dessen Mowgli ein Mädchen ist.

Mit einem Gesamtbudget von 7,2 Millionen Euro, davon rund 1,9 Millionen aus Eintritten und Kursbeiträgen, hat Impulstanz – inklusive einer Convention, eines Performance Situation Room, Partys, Film- und Videoprogrammen sowie Buchpräsentationen – ein Spitzenfestival hingelegt. (Helmut Ploebst, 5.8.2022)