EU-Verhandlungsführer Enrique Mora (Vierter von links) kam am Donnerstag mit seiner Entourage im Wiener Hotel Palais Coburg an. Die Erwartungen in Bezug auf die Gespräche sind überschaubar.

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Wenn die Firma Oberzelter vor dem Hotel Palais Coburg in Wien anrückt, dann wird es mit den Atomgesprächen mit dem Iran wieder ernst. Diesmal musste es mit dem Hochziehen des Pressezelts besonders schnell gehen: Die Nachricht, dass sich am Donnerstag die Verhandler nach fünf Monaten Pause wieder treffen, kam überraschend.

Die Einschätzungen sind gedämpft, dass es diesmal wirklich zu einem Durchbruch bei der Wiederherstellung des Wiener Atomdeals von 2015 kommen könnte – den die USA unter Präsident Donald Trump 2018 verlassen und sabotiert haben und der Iran seit 2019 immer massiver verletzt, unter anderem mit einer Urananreicherung auf 60 Prozent. Andererseits ist anzunehmen, dass sich keine Delegation nach Wien bemühen würde, gäbe es nicht eine konkrete Gesprächsbasis.

Sie wurde von der EU geliefert, die die Wiener Verhandlungen koordiniert. Außenbeauftragter Josep Borrell hat einen neuen Entwurf auf den Tisch gelegt, den er als den "bestmöglichen Deal" bezeichnet. In einem Gastkommentar in der "Financial Times" betonte er, dass es keine Zeit und keinen Raum für Veränderungen mehr gebe. Alle beteiligten Parteien sind nun in Wien, neben der EU der Iran und die USA, die weiter nur über Zwischenträger miteinander kommunizieren, Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie Russland und China. Die Gespräche wurden am Donnerstagabend aufgenommen.

Außenminister auf Abruf?

Das "Wall Street Journal" will wissen, dass alle Außenminister bereitstünden, um im Fall einer Einigung anzureisen. Das heißt auch Russlands Sergej Lawrow. Das ist das zweite Mal seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, dass darüber spekuliert wird, dass der russische Außenminister nach Wien kommen könnte.

Die USA halten fest, dass es sich nicht um eine echte "neue Runde" handelt. Der Nahostberater des Weißen Hauses, Brett McGurk, sagte laut "Axios" vor kurzem bei einem Briefing, dass ein neuer Deal "höchst unwahrscheinlich" sei. Ein indirektes US-iranisches Treffen Ende Juni in Katar verlief schlecht. Der Iran bleibt bei seiner Haltung, dass es die USA seien, die sich bewegen müssten. Teheran werde, sagt Chefverhandler Ali Bagheri-Kani, "den USA noch eine Chance geben", die "Großzügigkeit" der anderen Verhandler anzunehmen. Borrells Entwurf bezeichnen die Iraner als "amerikanisch" und machen erneut eigene Vorschläge.

Beißende Wirtschaftssanktionen

16 Monate sind seit Wiederaufnahme der Verhandlungen um eine Wiederherstellung de Atomdeals im April 2021 vergangen. Eine erste Pause gab es nach den Präsidentschaftswahlen im Iran im Sommer 2021. Sie brachten mit Ebrahim Raisi einen Vertreter des Lagers ins Amt, das immer gegen den Deal war, der das iranische Urananreicherungsprogramm unter internationale Kuratel stellt. Aber die US-Wirtschaftssanktionen beißen. Der geistliche Führer Ali Khamenei scheint zwischen Ablehnung und Pragmatismus zu schwanken.

Ein Stolperstein bei den bisherigen Verhandlungen war die Frage, welche US-Sanktionen aufgehoben werden: Das Geflecht der Strafmaßnahmen macht es manchmal nicht so leicht zu entscheiden, welche im Rahmen des Atomstreits verhängt wurden – aus US-Sicht müssten nur diese fallen – und welche aus anderen Gründen.

Unbeantwortete Fragen

Dass US-Präsident Joe Biden die iranischen Revolutionsgarden (IRGC) nicht von der Terrorismusliste FTO (Foreign Terrorist Organizations), auf die sie erst Trump gesetzt hat, nehmen wird, dürfte Teheran eingesehen haben. Diese Forderung könnte auf die lange Bank geschoben werden. Es geht nun darum, dass dies die zukünftigen Geschäfte des Iran nicht torpediert, die IRGC sind im Iran eine große Wirtschaftsmacht. Dazu kommt die Sorge, dass die USA nach einem Präsidentenwechsel im Weißen Haus erneut aussteigen könnten.

Aber der größte Brocken liegt nun vielleicht sogar außerhalb der Buchstaben eines neuen JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action), wie das Abkommen offiziell heißt. Der Iran hat in all den Jahren offene Fragen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) zu seinem früheren Atomprogramm nicht beantwortet. Von der IAEA entdeckte Uranspuren deuten auf nicht erklärte Aktivitäten hin.

IAEA-Resolution

Der Gouverneursrat der IAEA folgte deshalb im Juni einem europäischen Resolutionsentwurf und verurteilte den Iran. Teheran legte daraufhin IAEA-Kameras zur Überwachung seines Anreicherungsprogramms lahm. Laut Iran wird es keinen Atomdeal geben, wenn die IAEA die Sache nicht ad acta legt. Das wird aber mit Sicherheit nicht geschehen.

Ohne Lösung und beim Zusammenbruch der Wiener Gespräche könnte jedoch einiges ins Rutschen kommen: Der Gouverneursrat würde den Fall im September an den Uno-Sicherheitsrat überweisen, der Iran könnte aus Ärger darüber aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT, Non-Proliferation Treaty) austreten.

Derzeit läuft in New York die wegen Corona immer wieder verschobene NPT-Überprüfungskonferenz. Die Iraner betonen, dass sie alle Technologien beherrschen, um Atomwaffen zu bauen – das aber nicht wollen. Sie haben derzeit knapp genügend Material, das, weiter angereichert, für eine einzige Bombe reicht. Aber die Urananreicherung nimmt immer mehr an Fahrt auf. (Gudrun Harrer, 4.8.2022)