Die deutsche Ampelkoalition ist bisher nicht zwingend von Harmonie geprägt.

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Stefan Wolf bescherte dieser Tage der deutschen Ampelkoalition unverhofft ein angenehmes Erlebnis. "Stufenweise werden wir auf das Renteneintrittsalter von 70 Jahren hochgehen müssen – auch weil das Lebensalter immer weiter steigt", hatte der Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall erklärt.

Doch sowohl Sozialdemokraten als auch Grüne und FDP winkten ab, sie halten von diesem Plan nichts. Immerhin aber: Sie sind sich in ihrer Ablehnung einig.

Das ist fast schon ein seltener Zustand in der Ampel geworden, die vor acht Monaten, am 8. Dezember 2021, mit so großen Hoffnungen an den Start gegangen ist und sich selbst als "Fortschrittskoalition" bezeichnete. In ihrem ersten Sommer aber knirscht es an vielen Ecken.

Hauptstreitpunkt Atomkraft

Ein Hauptstreitpunkt ist die Frage, ob jene drei Atommeiler, die in Deutschland noch am Netz sind, über den 31. Dezember hinaus in Betrieb bleiben sollen. Geplant war dies ursprünglich nicht, der Atomausstieg mit Jahresende ist seit Jahren beschlossen.

Doch nun hat die Energiekrise wegen des Ukraine-Kriegs so manchen zum Umdenken bewogen. Vor allem Finanzminister Christian Lindner (FPD) drängt auf längere Laufzeiten. "Vieles spricht dafür, die sicheren und klimafreundlichen Kernkraftwerke nicht abzuschalten, sondern nötigenfalls bis 2024 zu nutzen", sagt er.

Das kommt bei den Grünen nicht gut an. Zwar gibt es auch bei ihnen Überlegungen, die drei Kernkraftwerke länger am Netz zu lassen. Doch sie wollen keine Laufzeitverlängerung, allenfalls einen "Streckbetrieb". Das bedeutet: Die Leistung von Atommeilern wird 2022 reduziert, damit sie 2023 ohne neue Brennstäbe weiterlaufen können.

"Grünen eins reinwürgen"

"Das, was Christian Lindner da will, ist nichts anderes als der Wiedereinstieg in die Atomkraft. Und das wird es mit uns auf jeden Fall nicht geben", sagt Grünen-Chefin Ricarda Lang. Die grüne Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt mutmaßt sogar: "Wer jetzt über Atomkraft diskutieren will, ist nicht an der Frage interessiert, wie wir unabhängig bei der Energie werden. Sondern nur daran, den Grünen eins reinzuwürgen."

Die Ökopartei beobachtet mit Argwohn, dass FDP-Chef Lindner in dieser Frage näher bei Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) liegt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hielt sich zunächst bedeckt, erklärte dann aber, dass eine längere AKW-Nutzung "Sinn machen" könnte.

Doch es hakt auch beim Thema Finanzen. So gibt es in den Reihen der Grünen und der SPD Überlegungen bezüglich einer "Übergewinnsteuer" für Energiekonzerne, die derzeit gute Geschäfte machen.

"Das gehört sich eigentlich nicht"

Vor allem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) tritt dafür ein und sagt: "Ich finde es richtig, nicht jeden Gewinn zu akzeptieren." Es gebe Unternehmen, die extreme Gewinne durch den Ukraine-Krieg machten. "Vom Krieg zu profitieren, das gehört sich eigentlich nicht", so Habeck.

Vorbild könnte Italien sein. Dort gibt es eine zeitlich befristete Sonderabgabe von zehn Prozent für Energieunternehmen, die 2022 mehr als fünf Millionen Euro und zehn Prozent mehr verdient haben als in den vorigen Jahren.

Damit nichts anfangen kann Finanzminister Lindner: "Wer am Stammtisch entscheidet, was ein Übergewinn ist, gibt das deutsche Steuerrecht der Willkür preis."

Uneinig auch bei Schuldenbremse

Er will nicht nur keine Steuererhöhungen, sondern 2023 auch wieder die Schuldenbremse einhalten. Hingegen meint SPD-Chefin Saskia Esken: "Ich glaube, dass wir die Schuldenbremse erneut aussetzen müssen."

Schließlich würden auf die Bürgerinnen und Bürger noch viele Belastungen zukommen, die die Regierung abfedern müsse. Noch sind hohe Strom- und Energieabrechnungen nicht im Volk angekommen. Aber es wird passieren.

Die von Lindner ins Spiel gebrachte Erhöhung der Pendlerpauschale lehnt Esken ab. Davon würden vor allem Besserverdiener profitieren. Lindner wiederum ist überzeugt: "Die wichtige Rolle der FDP ergibt sich ja daraus, dafür zu sorgen, dass Deutschland aus der Mitte regiert wird und nicht nach links driftet". (Birgit Baumann aus Berlin, 5.8.2022)