Immer mehr Menschen kaufen in Sozialmärkten ein.

Foto: Regine Hendrich

Die Inflation ist im Juli auf neun Prozent gestiegen. Das ist der höchste Stand seit 1975. Nicht nur die Energiekosten steigen, auch die Lebensmittelpreise bleiben auf hohem Niveau. Der Sozialexperte Martin Schenk von der Diakonie fordert deshalb eine schnellere Einführung des von der Bundesregierung angekündigten Energiepreisdeckels nach dem Vorschlag von Wifo-Chef Gabriel Felbermayr. "Ich finde das vernünftig. Aber es wäre gut, wenn es schneller geht", sagte Schenk im Ö1-"Morgenjournal". Die Vorschläge eines Energiekontingents gebe es schließlich bereits seit vergangenem Herbst.

Ebenfalls als sehr sinnvoll bewertet Schenk den Vorschlag, die Soziallleistungen ab Jänner an die Inflation anzupassen. Auch hier solle die Regierung aber prüfen, ob sich die Maßnahme nicht schon vorziehen lasse. Die Energiepreise würden schließlich bereits jetzt angehoben.

Neue Sozialhilfe "funktioniert nicht"

Kritik übte Schenk an der neuen Sozialhilfe, die greife, seit die Mindestsicherung abgeschafft wurde. "Wir bekommen Meldungen und Hilferufe aus allen Bundesländern, dass die nicht funktioniert", sagt Schenk. Das gelte ganz besonders beim Wohnen. Sozialhilfe sei für die Krise gemacht. Wenn sie da nicht funktioniere, sei das ein Problem. "Das ist, wie wenn man Klettern geht, und das Seil reißt genau beim Absturz", sagt Schenk. "Aber man braucht das Seil nicht, wenn man klettert, sondern wenn man abstürzt."

In Österreich gab es schon vor der Corona-Krise eine hohe Armutsrate. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern lag sie aber etwas niedriger. Laut Sozialwissenschaft sei das ein Verdienst des Sozialstaats, sagt Schenk. Zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 sei die Situation durchaus überraschend stabil geblieben, was Schenk auf Regierungsmaßnahmen wie Kurzarbeit und diverse Sozialleistungen zurückführt. Seit Ende des vorigen und Beginn dieses Jahres gingen die Armutsraten aber in die Höhe.

"Nicht auf Jänner 2023 warten"

Besonders die "untere Mitte", also die ärmsten 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung, sind inzwischen betroffen. Laut einer Studie des Fiskalrats zu Konsumgewohnheiten ist der Anteil an Menschen, die Schwierigkeiten haben, mit ihrem Einkommen das Auskommen zu finden, von 25 Prozent im Jahr 2020 auf aktuell 35 Prozent gestiegen. Darunter seien auch viele Erwerbstätige mit eher geringen Einkommen, sogenannte Working Poor.

Besonders armutsgefährdet seien arbeitslose Menschen, Alleinerziehende und Familien, in denen bei den Eltern oder Kindern eine chronische Erkrankung vorliegt. Die Anhebung der Notstandshilfe und des Arbeitslosengeldes habe in von Arbeitslosigkeit betroffenen Haushalten einiges aufgefangen. Die nun angekündigte Erhöhung der Ausgleichszulage sei ebenfalls eine sinnvolle Maßnahme. "Aber vielleicht sollte man auch das schneller machen, statt auf Jänner 2023 zu warten", sagt Schenk. (Martin Tschiderer, 5.8.2022)