Einer belgischen NGO zufolge handelt es sich um den größten Fall von Menschenhandel in der belgischen Geschichte.

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Wien – Die Vorwürfe wiegen schwer und bringen die OMV-Chemietochter Borealis weiter unter Druck. Zahlreiche Arbeiter sollen auf einer Baustelle im belgischen Kallo Opfer von Menschenhandel geworden sein. 174 Menschen habe man bisher identifiziert, heißt es bei der Staatsanwaltschaft in Antwerpen.

Das Unternehmen verlängert deswegen den am 27. Juli begonnenen Baustopp. Man wolle "genügend Zeit für Untersuchungen" haben, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit. Borealis macht das Subunternehmen Irem-Ponticelli, das mit den Arbeiten beauftragt war, für die Missstände verantwortlich. Den Vertrag mit dem Unternehmen habe Borealis ausgesetzt. Das italienisch-französische Joint Venture Irem-Ponticelli selbst sieht schiebt die Schuld ebenfalls auf einen Subunternehmer.

Der belgischen Nachrichtenagentur Belga zufolge haben die Arbeiter sechs Tage die Woche für einen Monatslohn von lediglich 650 Euro arbeiten müssen – meist ohne Arbeitserlaubnis. Die Betroffenen stammen aus Bangladesch, von den Philippinen und aus der Türkei, bestätigte Pieter Wyckaert, Arbeitsinspektor in Antwerpen, laut einem Bericht des flämischen Senders VRT.

Größter Fall von Menschenhandel

Klaus Vanhoutte, Direktor der belgischen NGO Payoke, die sich mit Menschenhandel beschäftigt, sprach gegenüber VRT vom "historisch gesehen größten Fall von Menschenhandel in Belgien" und von einem der größten derartigen Fälle in ganz Europa. Die Arbeiter seien in ihren Heimatländern mit dem Versprechen angeworben worden, im Ausland als Rohschlosser oder Schweißer gut bezahlt zu werden.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen mutmaßlicher Verstöße gegen belgische Arbeitsgesetze. Mehrere Arbeiter hätten den vorläufigen Status von Opfern des Menschenhandels erhalten und können nun eine Bescheinigung erhalten, um weiter in Belgien arbeiten zu können, hieß es.

Borealis untersuche diese Angelegenheit "mit höchster Priorität" und arbeite eng mit den belgischen Behörden zusammen. Die Wiederaufnahme der Projektarbeiten erfolge schrittweise. "Borealis verurteilt jede Art von Menschenrechtsverletzung. Deshalb haben wir uns entschieden, den Bau unseres Megaprojekts in Kallo vorübergehend zu stoppen, bis alle zusätzlichen Compliance-Maßnahmen in Kraft sind", hieß es am Donnerstag seitens des Unternehmens.

Bereits im Mai informiert

Berichten von VRT und "Brussels Times" zufolge war Borealis bereits im Mai über Missstände auf der Baustelle informiert worden. Demnach waren dem ehemaligen belgischen Arbeitsinspektor und Ex-Richter Ebe Verhaegen Unregelmäßigkeiten in den Dokumenten eines Arbeiters aus der Ukraine und 50 weiterer Kollegen aufgefallen. Er habe daraufhin Beschwerde bei der zuständigen Behörde eingereicht und Borealis informiert.

Das Ausmaß des Sozialbetrugs und die Möglichkeit des Menschenhandels hätten sich aus dieser "informellen Mitteilung" im Mai nicht ableiten lassen, schrieb Borealis in ihrer Stellungnahme an die APA. (red, APA, 5.8.2022)