Im Gastblog zeigt Ulrich Wanderer, wie in Mediationsprozessen den jeweiligen emotionalen Anliegen hinter rechtlichen Konflikten Raum gegeben werden kann.

Liegenschaften bieten Sicherheit. Als Sicherheit bieten sie auch den Nährboden für Konflikte, insbesondere, wenn sie Teil eines Erbschaftskonflikts sind. Einerseits ist die Schaffung von grundbücherlichem Eigentum ein emotionsbesetztes Anliegen vieler Generationen, andererseits stellt das reine Eigentum im wahrsten Sinne des Wortes eine Immobilie dar. Es ist unbeweglich, unflexibel und statisch. So scheint es zumindest.

Teilungsklage als Ausgangspunkt

Ausgehend vom Ableben der Mutter standen die drei Kinder A, B und C nun vor dem Problem, dass sie mangels einer persönlichen Nachlassregelung eine Lösung für die zukünftigen Eigentumsverhältnisse des elterlichen Hauses und des dazugehörigen Gartens finden mussten. Die vom Notar angebotene Lösung, alle zu gleichen Teilen ins Grundbuch zu schreiben, war aus mehreren Gründen für die Geschwister nicht praktikabel.

Befindet sich das Elternhaus in einer Erbschaft von mehreren Geschwistern, kann die Frage der Anteile schnell über ein juristisches Berechnen hinausgehen.
Foto: imago images/Christian Ohde:

A brauchte im Zuge einer Scheidung einen Kredit seiner Hausbank und konnte daher den noch auf der Liegenschaft lastenden Restbetrag nicht übernehmen, B wollte unter allen Umständen das Familienhaus für seine Kinder erhalten wissen, und C war aufgrund seiner damals aktuellen Arbeitslosigkeit darauf angewiesen, das Haus als Wohnsitz im Rahmen eines Prekariums zu nutzen. Als A den Begriff der Teilungsklage ins Spiel brachte, war Feuer am Dach der Geschwister. Die Gefahr, den Familiensitz zu verlieren, beunruhigte B und C und veranlasste sie, sich nach einer alternativen Lösung für ihr Problem umzusehen.

Suche nach Alternativen

Im Rahmen der ersten Mediationssitzung wurden die bisher angedachten Lösungen, die Aufteilung aller Grundbuchsanteile zu gleichen Teilen, die Teilungsklage und Aufteilung des Verkaufserlöses sowie der Kauf der Anteile der Geschwister durch den finanziell gut gestellten B aufgelistet – und gleich wieder verworfen. Mit dem Satz "Wenigstens wissen wir nun, welche Wege wir nicht mehr beschreiten müssen" schloss der Mediator die Auflistung der bisherigen Ansätze ab. Zu offensichtlich war auch die körpersprachliche Ablehnung der Vorschläge, sodass man fortan auf die Suche nach einer weniger kompromiss-, sondern viel mehr konsensorientierten Lösung gegangen ist.

Die persönlichen Sichtweisen

Die folgenden zwei Sitzungen beschäftigten sich mit den Bedürfnissen der Medianden, wobei auch deren Lebenssituation, deren Hoffnungen und Erwartungen an die Zukunft, aber ebenso die anerzogenen Glaubenssätze eine wesentliche Rolle spielten. A stand vor der Situation, aufgrund einer Scheidung einen hohen fünfstelligen Betrag aufstellen zu müssen, wollte aber erst über die Einzelheiten der Scheidung nicht mit seinen Geschwistern sprechen, da er die Blamage im Familienkreis befürchtete. Es stellte sich heraus, dass A den gemeinsam mit seiner Frau aufgenommenen Kredit übernehmen und abzahlen wollte sowie ihr darüber hinaus noch eine einmalige Abschlagszahlung von 50.000 Euro zur Unterstützung der Wohnungssuche und Einrichtung zugesagt hatte. Die Geschwister reagierten überrascht von der Nachricht der bevorstehenden Scheidung, doch hatten sie nun Verständnis für das Bedürfnis des Bruders, möglichst rasch die für die Scheidung vereinbarte Summe aufzustellen.

B wiederum hatte als ältester Bruder der drei Geschwister die Verantwortung für die Familiengeschichte vom vorverstorbenen Vater aufgebürdet bekommen. Dieser hatte des Öfteren davon geredet, wie die ansehnliche Liegenschaft über die Generationen erhalten und weitergegeben wurde, sodass sich der – selber noch kinderlose – B nun verpflichtet fühlte, das Haus mitsamt des gesamten Gartens weiterhin in der Familie zu halten. Nachdem B von allen drei Geschwistern aufgrund seiner Karriere in einer Privatbank und dank letztwilliger Zuwendungen aus der Verlassenschaft des Vaters auch die finanziellen Mitteln zum Erhalt des Familiensitzes hatte, fühlte er sich sowohl den vorangegangenen als auch den folgenden Generationen verpflichtet, das Familienerbe zu erhalten. Diese Pflicht schien ihm über die Jahre zur Last geworden zu sein, was sich auch in seiner Körpersprache zu erkennen gab. Die Erzählungen über die Gespräche mit dem Vater wirkten weniger erfreut, sondern wie bedrückende Eindrücke aus einem belastenden Albtraum.

C wiederum erzählte, dass sie in ihrer Selbstständigkeit Schiffbruch erlitten hatte und daher bis auf weiteres auf das Haus als Wohnsitz angewiesen war. Darüber hinaus sprach sie auch davon, ihren fünf- und siebenjährigen Töchtern unbedingt den Zugang zum Haus erhalten zu wollen, weil diese seit frühester Kindheit jeden Winkel des Gartens und auch des Hauses für sich entdeckt hatten. C fühlte sich aufgrund der gescheiterten beruflichen Selbstständigkeit nicht in der Lage, Forderungen an die Brüder zu stellen, doch war sie bei der Formulierung ihrer Bedürfnisse und Hoffnungen den Tränen sehr nahe.

Offenheit fördert Zusammenhalt

Die Schilderungen der Geschwister hatten zutage gebracht, dass bei allen neben den rein pekuniären Aspekten der Erbschaft auch noch höchstpersönliche emotionale Erinnerungen ausschlaggebend für die Überlegungen waren. Diese Erinnerungen wurden nun im Rahmen eines weiteren Termins im Rahmen des geschützten und vertraulichen Umfeldes besprochen. Die Erkenntnis um die Motivationen der jeweils anderen Geschwister wurde zur Basis weiterer Schritte, da es nun nicht mehr nur um die grundbücherlichen und finanziellen Aspekte ging, sondern auch die gesamte Familiengeschichte sowie der geschwisterliche Zusammenhalt einen wesentlichen Platz in der Mediation gefunden hatten.

Lösungsfindung auf neuen Wegen

In weiterer Folge wurden die bisherigen Erkenntnisse basierend auf den Erzählungen der Geschwister zusammengefasst. A benötigt Geld für die Finanzierung seiner Scheidung, Bs Wunsch ist die Erhaltung der Liegenschaft im Sinne des Vermächtnisses des Vaters, und C möchte das Haus als Wohnsitz nutzen sowie den Kindern für die Zukunft erhalten. Es stellte sich weiters heraus, dass As emotionale Bindung an das Haus kaum noch gegeben war, da er seine Kindheit im Haus nicht positiv erlebt hatte und selbst Jahrzehnte nach dem Wohnsitzwechsel in ein anderes Bundesland belastende Angstträume aus seiner Jugendzeit hatte.

Somit bestand die Möglichkeit, A in einer Mischung aus Kreditbürgschaft seitens B und Bereitstellung eines noch zu vereinbarenden Betrags einen noch zu vereinbarenden Anteil der Grundbuchsanteile abzukaufen. Cs Hoffnungen hinsichtlich einer weiteren Nutzung des Hauses zu Wohnzwecken konnte dahingehend entsprochen werden, als sie sich verpflichtete, die laufenden Kosten aus eigener Tasche zu übernehmen und bei Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit einen noch zu vereinbarenden Betrag auf ein geschwisterliches Hauskonto einzuzahlen, um bei anfallenden Reparaturen anteilig Verantwortung übernehmen zu können. Auch A, der sich seiner Schwester und seinem Bruder nun besonders verbunden fühlte, versprach, nach Möglichkeiten das Hauskonto ohne Ansprüche auf das Haus zu befüllen. Im Gegenzug boten B und C ihrem Bruder an, zur Überbrückung der Scheidungszeit das Haus auch als Wohnsitz nutzen zu können, um so weniger Druck in der ohnehin schon belastenden Lebensphase zu haben.

Der janusköpfige Konflikt

Erbschaftsmediationen haben oftmals einen janusköpfigen Charakter. Erst scheint der Konflikt den Ausdruck eines leidenschaftslosen Rechtsanspruchs zu haben. Blickt man jedoch ein wenig auf die Rückseite der schützenden Fassade, so zeigt sich in so gut wie jedem Fall eine emotionsgeladene Familiengeschichte, ohne deren Einbeziehung keine nachhaltige Lösung möglich wäre. Hier den richtigen Moment zu erfühlen, in dem die Parteien bereit sind, ihre ehrlichen Emotionen miteinander zu teilen, ist ein Kernelement der Mediation und oftmals entscheidend für den gemeinsamen Erfolg. Schaffen die Mediandinnen und Medianden eine solche vorbehaltslose Einigung, bietet diese nicht nur eine Basis für eine gute Aufteilung der Erbschaft, sondern vielmehr auch für einen – oftmals neu definierten – Familienfrieden. (Ulrich Wanderer, 10.8.2022)