Böhm: "Ein Berater darf keine Luftschlösser bauen, das ist gefährlich."

Foto: You First

Philipp Lienhart, 26
SC Freiburg
Marktwert: 18 Millionen

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Christoph Baumgartner, 23
TSG Hoffenheim
Marktwert: 22 Millionen

Foto: AFP/Odd Andersen

Marco Friedl, 24
SV Werder Bremen
Marktwert: 6 Millionen

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Der Salzburger Thomas Böhm ist unter den Spielervermittlern die Nummer eins in Österreich. Er sieht sich als Berater der Fußballer, möchte sie bis zum Karriereende begleiten. Böhm hat im Juni Anteile seiner Spieleragentur Grass is Green an den spanischen Branchenführer You First verkauft. Und er hat auch den Namen übernommen. Das Portfolio umfasst nun rund 300 Kicker (u. a. Gerard Moreno, Fabián Ruiz). Böhm ist weiterhin einer der Geschäftsführer, der 51-Jährige konzentriert sich auf den deutsch- und englischsprachigen Raum. "Ob ich der Platzhirsch bin, interessiert mich nicht. Es gibt jetzt jedenfalls mehr Möglichkeiten." Zu seinen Klienten zählen Österreichs Teamspieler Christoph Baumgartner, Philipp Lienhart, Marco Friedl, Florian Kainz und Louis Schaub.

STANDARD: Spielervermittler genießen, freundlich ausgedrückt, nicht den besten Ruf. Ihr Image ist vergleichbar mit jenem von Politikern und möglicherweise Journalisten. Warum ist das so?

Böhm: Es wird leider selten kommuniziert, was wir eigentlich tun. Viele Leute glauben, da wird nur schnelles Geld gemacht, egal wie. Das ist er Grundtenor. Leider wird in der Branche tatsächlich auch unseriös gearbeitet, Licht zieht die Motten an. In letzter Zeit hat sich aber einiges zum Positiven entwickelt.

STANDARD: Sind immer noch zu viele Scharlatane im Geschäft?

Böhm: Ja, es herrscht immer noch eine Goldgräberstimmung, aber das ist ein großer Irrtum. In Österreich etwa werden Summen kolportiert, die einfach nicht stimmen.

STANDARD: Welche Summen setzt die Branche weltweit um?

Böhm: Keine Ahnung, da müssen Sie googeln.

STANDARD: Haben die Vermittler die Macht im Fußball übernommen?

Böhm: Das ist zu plakativ. Ich sehe mich als Berater eines Spielers, ich möchte seine Karriere planen und inhaltlich begleiten. Aufgrund von etlichen Agentur-Fusionen laufen nicht mehr so viele kleine, teils selbst ernannte Vermittler herum. Somit ja: Eine gewisse Macht ist nicht zu leugnen, da gewisse Agenturen sehr viele Spieler in ihrem Portfolio haben. Andererseits wird kein Verein gezwungen, einen bestimmten Spieler zu verpflichten.

STANDARD: Ist der Fußball ein großes, unkontrollierbares Haifischbecken geworden? Schwimmen Leute wie Jorge Mendes, der Cristiano Ronaldo als Klienten hat, ganz oben und schauen runter ?

Böhm: Ein Haifischbecken ist dann gegeben, wenn man seiner Linie untreu wird. Du musst ja nicht eintauchen zu den Haien, kannst das Geschäft sauber und gerade machen. Langfristig profitieren dann Spieler und Vereine gleichermaßen, davon bin ich überzeugt.

STANDARD: Gibt es Regularien, wie viel ein Vermittler bei Transfers kassiert?

Böhm: Meistens sind es Prozentanteile, das ist von Land zu Land verschieden. Ein Monatsbruttolohn oder fünf bis zehn Prozent sind üblich. Mitentscheidend ist, wie groß das Interesse an dem Spieler ist.

STANDARD: Was zeichnet einen guten Berater aus?

Böhm: Dass er den Spieler gut kennt und richtig analysiert. Und dass er ihm auch ehrlich die Meinung sagt und ihm nicht nur auf die Schulter klopft. Er muss da sein, wenn es nicht so läuft. Er sollte ihn im Idealfall bis zum Karriereende begleiten. Dem Image, du hast nur im Jänner und August zu tun, widerspreche ich vehement. Die Betreuung ist ein Fulltime-Job, wenn man ihn richtig ausübt.

STANDARD: Nehmen Sie jeden Spieler, der zu Ihnen kommt?

Böhm: Nein. Da gibt es klare Kriterien. Er muss mich sportlich und menschlich überzeugen. Ich muss spüren, der hat den richtigen Charakter für die Karriere, die wir anstreben. Eine gezielte Karriereplanung ist das Um und Auf.

STANDARD: Klubs beschweren sich, dass es unüberschaubar wird, Spieler haben unzählige Berater, man weiß nicht, mit wem man verhandeln soll.

Böhm: Das gibt es, ganz klar. Aber nicht bei mir, ich lege Wert darauf, für den Spieler verantwortlich zu sein.

STANDARD: Früher, im vergangenen Jahrtausend, haben Papa und Mama verhandelt. Heute sind 14-Jährige bei irgendwelchen Agenturen unter Vertrag. Ist das gefährlich oder logisch? Stehen die klassischen Fußballpapis und -mamis im Abseits?

Böhm: Es stimmt, für die Vereine war es früher einfacher, sie haben mit den Eltern gesprochen. Ich sehe mich aber auch als Partner der Klubs, betrachte jeden Spieler individuell, vermenge die Sachen nicht. Was hier funktioniert, kann woanders schiefgehen. Die Zeiten haben sich geändert, du musst im Jugendbereich aktiv sein. Aber dass gewisse Agenturen so früh reingehen, ist sicher in manchen Fällen problematisch, da wir auch Schindluder getrieben. Ein junger Spieler muss Einsatzminuten kriegen, gefördert und menschlich begleitet werden. Es ist gefährlich, wenn dann soziale Kompetenz und Weitblick fehlen. Ich mache im Jugendbereich nicht allzu viele Transfers. Aber es gab und gibt welche. Christoph Baumgartner und Philipp Lienhart sind die besten Beispiele, und unser gemeinsamer Plan ging voll auf.

STANDARD: Aber Eltern wollen doch das Beste für ihre Kinder.

Böhm: Sicher, aber sind mitunter überfordert und betriebsblind. Ein Berater darf keine falschen Versprechungen machen, keine Luftschlösser bauen, das ist gefährlich. Man muss Strategiegespräche führen, die der Spieler und die Eltern mittragen. Es kann nicht jeder Champions League spielen. Trotzdem kann man in der österreichischen Bundesliga oder in der zweiten deutschen Liga gutes Geld verdienen und Profi sein.

STANDARD: Fußballer haben keine Ecken und Kanten mehr, heißt es. Originale wie Martin Hinteregger werden jetzt schon vermisst. Tragen die Berater Mitschuld an diesem Einheitsbrei?

Böhm: Das ist leider ein größeres gesellschaftliches Thema. Mir ist schon wichtig, dass Spieler Ecken und Kanten zeigen. Sofern sie für die Gesellschaft ertragbar sind. Wir leben in einer Welt mit sozialen Medien, über die extrem kritisiert wird, oft persönlich beleidigend. Diesem Risiko wollen sich Spieler entziehen, deshalb passen sie genau auf, was sie sagen. Das ist schade, aber verständlich.

STANDARD: Vereinstreue ist eine romantische Geschichte, die Verweildauer bei einem Klub wird immer kürzer. Ist Geld wichtiger als das Wohlbefinden geworden?

Böhm: Eine schwierige Frage. Natürlich ist Geld ein Fundament in dem Job, wie in vielen anderen auch. Aber das ist für die meisten Spieler längst nicht alles. Das Streben, sich regelmäßig mit großen Mannschaften zu messen, ist ja positiv. In England oder Deutschland hast du jede Woche ein Spitzenspiel. Das kommt unserem Nationalteam zugute. Unser Leben hat sich geändert, alles ist globaler geworden. Als talentierter Bub steht dir die Welt offen. Ein Wiener Kind träumt nicht mehr von Rapid oder Austria, sondern von Real Madrid und David Alaba, das sehe ich auch durchaus positiv. Die meisten, die ins Ausland gingen, haben sich sportlich und menschlich weiterentwickelt.

STANDARD: Gibst es überhaupt noch Verträge ohne Ausstiegsklausel?

Böhm: Kaum.

STANDARD: Sind die Transfersummen und Gehälter teilweise pervers?

Böhm: Ja, hundert Millionen sind schwer vorstellbar. Dass die Fans so etwas stört, ist komplett nachvollziehbar. Aber es ist ein klassisches Angebot-Nachfrage-Thema.

STANDARD: Wie ist es zu erklären, dass der FC Barcelona eine Milliarde Euro Schulden hat und 50 Millionen für Robert Lewandowski hinblättert?

Böhm: Es ist schwer zu erklären, aber finanzielle Zusammenhänge sind enorm komplex, nicht nur im Fußball.

STANDARD: Ist für Spielervermittler Afrika nach wie vor der interessanteste Markt?

Böhm: Da bin ich der falsche Ansprechpartner, ich habe mich auf diese Schiene nie geschmissen. Aber ja, Afrika ist superspannend, der Pool an Talenten ist groß. Die Strukturen vor Ort sind jedoch nicht einfach, oft undurchsichtig.

STANDARD: Kommt es Ihrer Branche zugute, dass irgendwelche Scheichs, die das Geld offenbar abgeschafft haben, Klubbesitzer sind?

Böhm: Ich habe mit Scheichs nichts zu tun, für mich hat sich nichts verändert.

STANDARD: Hat Corona etwas verändert?

Böhm: Klar, viele Vereine haben nicht mehr so große finanzielle Möglichkeiten, viele haben an der Kaderstruktur etwas verändert, sie bauen noch mehr auf die eigene Jugend, um irgendwann Transfers zu tätigen und Einnahmen zu generieren. Die Gehälter sind etwas runtergegangen. Für viele Spieler ist der Markt dünner geworden. Wir reden da nicht von der Premier League.

STANDARD: Österreichische Fußballer gelten immer noch als günstig.

Böhm: Der österreichische Markt ist extrem spannend, Salzburg ist ein Riesenglück, wir haben viele Europacupstarter, sie machen es auch gut. Die Liga ist so, dass immer wieder Junge eingebaut werden. Die Entwicklung ist positiv. Es beginnen am österreichischen Markt sogar Weltkarrieren. Erling Haaland ist das Paradebeispiel.

STANDARD: Blick in die Zukunft: Wächst der Fußball weiter, oder ist alles ein Ritt auf der Rasierklinge?

Böhm: Werden Regeln eingehalten, schaue ich nicht bange in die Zukunft. Der Fußball verändert sich ständig. Es wird professioneller, selbst Spieleragenturen betreiben inzwischen Datenscouting. Zuschauer werden weiter die Stadien füllen. Fußball ist so ein starkes Spiel, es ist nahezu unzerstörbar. Aber man muss wachsam sein, der Bogen darf an einigen Stellen nicht überspannt werden. (Christian Hackl, 6.8.2022)