Innenminister Karner hätte es in der Hand, ein Vorgehen mit offenem Visier zu etablieren.

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Tagelang hielt man sich im Innenministerium bedeckt. Auch auf Anfragen zum Fall der verstorbenen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr reagierte man nur sehr zurückhaltend. Am Donnerstag schließlich gab es doch eine Äußerung, und zwar von ganz oben. Minister Gerhard Karner (ÖVP) meldete sich allerdings nicht etwa zu Wort, um Fehler der Polizeibehörden zu benennen oder eine ernsthafte Aufklärung zu versprechen. Sondern vor allem um die Polizeiarbeit zu verteidigen und unterschwellig die Kritiker zu kritisieren – in einem internen Brief an die Polizistinnen und Polizisten. Er wisse, dass im Fall Kellermayr "viele sehr viel unternommen haben", schrieb Karner. Ein "reflexartiges und generelles Schlechtreden" der Polizeiarbeit werde er als zuständiger Minister nicht zulassen.

Mit dem Schreiben stellt sich Karner hinter seine Beamtenschaft. Das ist grundsätzlich verständlich und gehört zum logischen Anforderungsprofil eines Ressortchefs. Wenn bei Polizeiermittlungen aber Fehler passieren – und im Fall Kellermayr sieht es stark danach aus –, würde es dem Minister gut anstehen, das auch öffentlich einzugestehen und für lückenlose Aufklärung zu sorgen. Von "generellem Schlechtreden" der Polizeiarbeit kann zudem keine Rede sein. Die öffentliche Kritik bezog sich ganz konkret auf den Fall Kellermayr und das Vorgehen der oberösterreichischen Polizei. Auch Karners Vorgänger als Innenminister, Kanzler Karl Nehammer, ließ sich übrigens Zeit, bis er sich öffentlich zu dem Fall äußerte – sechs Tage, um genau zu sein. Zur Aufklärung der Behördenarbeit war auch von ihm nichts zu vernehmen.

Mit offenem Visier

Die Causa ist aber symptomatisch für den Umgang des Innenministeriums mit Kritik – nicht erst seit der Amtszeit Karners. Auch bei Verdachtsfällen von Polizeigewalt etwa geht die erste Reaktion zu häufig in Richtung "Alles richtig gemacht". Untersucht wird dann nur intern, die Polizei ermittelt gegen sich selbst. Vom Ausgang der Untersuchung erfährt die Öffentlichkeit in der Regel nichts. Wenn doch, dann meistens, weil es sich um spektakuläre Vorfälle mit großem Medieninteresse handelt, von denen zuvor Videos im Internet aufgetaucht sind. Dass die im Regierungsprogramm versprochene unabhängige Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt nun offenbar doch wieder im Innenministerium angesiedelt wird, ist ein schlechtes Zeichen. Damit würde sie unter Weisungsbefugnis des Innenministers stehen – wirklich unabhängig wäre sie also nicht.

Dabei läge es in der Hand des Ministers, andere Signale zu setzen. Er könnte zumindest erste Schritte zu einer modernen Fehlerkultur vollziehen, in der mit Versäumnissen oder Fehlverhalten offensiv und transparent umgegangen wird. Um quasi im Polizeisprech zu bleiben: Er könnte ein Vorgehen mit offenem Visier fördern. Dieses Signal könnte auch zum Vorteil des Ressorts selbst sein – denn es würde Kritikern Wind aus den Segeln nehmen. Eine Art Einbunkerungs- und Abwehrhaltung, die scheinbar reflexartig in den Verteidigungsmodus kippt, wird die Kritik am Ministerium dagegen nur verstärken. (Martin Tschiderer, 5.8.2022)