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"Teilzeit oder eben ein anderer Job", diese früher fast undenkbar scheinende kompromisslose Einstellung werde immer häufiger, sagt Berater Florens Eblinger.

Foto: getty, Ilustration: Lukas Friesenbichler

Neulich im Wiener Rathaus: Ein großer Auftrieb, ein paar Dutzend Unternehmen wollen von Uni Wien und Wirtschaftsuni künftiges Personal angeln. Die angehende Akademikerinnenschaft wird mit Glanzprospekten, Infos und Podiumsgesprächen versorgt. Frage der Moderatorin: "Wer will den ersten Job in Vollzeit angehen?" Ein paar wenige zeigen auf. Gegenfrage: "Wer will sicher nur Teilzeit einsteigen?" Hunderte Hände schnellen hoch. Johannes Zimmerl, Personalchef beim Handelsriesen Rewe, ist desperat. Die gute alte Vollzeitstelle mit schönem Ausblick auf den Aufstieg ist hier nicht mehr en vogue.

Das speist auch den Mangel an Arbeitskraft, der das Land befallen hat. Das Arbeitsmarktservice (AMS) meldet Monat für Monat Rekorde an unbesetzten Stellen – im Hintergrund ist die Lage noch viel dramatischer: Kein Mittagstisch im Gasthaus wegen Personalmangels. Kein Flug wegen Personalmangels. Kein Installateur zu bekommen, eine lange Warteliste bei der Ärztin. Rundherum fehlt Arbeitsleistung fachkundiger Menschen.

Foto: Der Standard

Franz Schellhorn vom Thinktank Agenda Austria fand kürzlich im Magazin Profil eine Hauptverantwortliche: die Teilzeit. AMS-Chef Johannes Kopf gibt ihm, bedingt, recht: Die Teilzeitquote in Österreich ist mit knapp 20 Prozent hoch. Das eigentliche Problem: Wer Teilzeit arbeitet, jobbt oft nur 20 Stunden. Und das sind überwiegend Frauen. Fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen arbeitet so wenige Stunden. Klares Lösungsmodell wäre für Kopf eine flächendeckende Kinderbetreuung, dann gehen sich mehr Stunden aus, dann wird die Pension für Frauen später weniger mager.

Aber selbst ungeachtet ansteigender Lebensarbeitszeit: Wie können sich die Leute weniger Arbeit überhaupt leisten? Markus Tomaschitz, Personalchef beim Tech-Konzern AVL List: "Wir erleben derzeit auch, dass die etablierten Leistungsträger kommen und ihre Stunden reduzieren wollen." Er hat mannigfaltige Motive und Einkommensrechnungen erforscht. Die Palette reicht von Mehrung der Lebensqualität bis zu neuen Beschäftigungen, die wiederum von der Nebenarbeit in der Landwirtschaft bis zu stärkerem Engagement in Vereinen oder Zeit für die Pflege Angehöriger reicht. Auch Personalberater bestätigen das. "Viele wollen mit weniger Geld auskommen, Statussymbole werden unwichtiger. Aufs Auto wird gern verzichtet, der Urlaub findet halt hier statt", sagt Berater Florens Eblinger. Und an eine Pension glaubten viele Junge einfach nicht mehr. Dazu seien die umfangreiche staatliche Versorgungsleistung und die Steuerprogression als Anreiz für Teilzeit einfach sehr verführerisch – und damit für den Arbeitskräftemangel mitverantwortlich –, wird in der Wirtschaft vielerorts bekrittelt.

Freizeit statt Finanzpolster

Wer es sich derzeit irgendwie leisten könne, frage jedenfalls nach Teilzeit und lehne Vollzeit ab. "Teilzeit oder eben ein anderer Job", diese früher fast undenkbar scheinende kompromisslose Einstellung werde immer häufiger. Dabei handle es sich nicht nur um Millionenerben, sagt Eblinger. Sondern Personen, die rundherum stückeln – sei es, dass sie eine Wohnung zur Verfügung gestellt bekommen haben oder sich alternative Verdienstquellen suchen, an den Börsen spekulieren, Yogakurse geben oder nebenbei in der Gastro jobben. Die Leistbarkeit bleibt aber auch dem Personalexperten im Detail ein Rätsel. Am ehestens sei es noch erklärlich mit einer Abkehr von der guten alten Aufbauperspektive, mit einem Leben im Hier und Jetzt.

Teilzeit wird in diesem Umbruch, so scheint es, vom erzwungenen Müssen für Frauen zum erwünschten Wollen vieler Menschen. Unternehmen müssen also neue Modelle wie Viertagewoche anbieten, sich strecken, "stückeln", Arbeit neu organisieren, damit die Menschen andocken und bleiben, sagen die Fachleute unisono. Als Lösung dafür will etwa Job twins dienen, eine neue Plattform, die nur Teilzeitpositionen und Jobsharing im hochqualifizierten Bereich offeriert. Gründerin Katharina Miller ist überzeugt, dass Teilzeit – eben als Doppelbesetzung für eine volle Arbeitsleistung – die Zukunft gegen Fachkräftemangel und für die neue Arbeitswelt ist. (Karin Bauer, 6.8.2022)