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Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sorgt dank einer Hetzrede in Texas wieder einmal für ordentlich schlechtes Twitter-Wetter.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/Brandon Bel

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán gab diesen Donnerstag in Texas wieder einmal den Kulturkämpfer. Während einer Rede bei einer Konferenz Rechtskonservativer, die unter anderem von der Waffenvereinigung NRA gesponsert wurde, wetterte er nicht nur gegen Liberale, Homosexuelle, Flüchtlinge und überhaupt "Globalisten". Es fiel auch der auf Twitter reichlich kommentierte Satz: "Wir brauchen mehr Rangers, weniger Dragqueens und mehr Chuck Norris."

Peng, peng, peng. Große Zustimmung und Empörung in Social Media. Das Ziel, die Stammkundschaft und die absoluten Gegner hundertprozentig auf den Plan zu rufen, wurde vollinhaltlich erreicht. Der dank Selbstjustizdramen wie Missing in Action und die Polizei-Notrufserie Walker, Texas Ranger bekannte Kampfkünstler und stramme Rechte Chuck Norris dürfte sich diese Woche auch über folgende Nachricht gefreut haben:

Täglich schlechte Laune

In Atlanta, Georgia, musste ein Rockfestival von dessen Veranstalter abgesagt werden. Ein US-Waffenaktivist hatte rechtliche Schritte eingeleitet. Man wollte auf dem Festivalgelände das Tragen von Schusswaffen verbieten. Das verstößt allerdings gegen das Waffengesetz von Georgia, das das Teufelszeug auch in Schulen oder Kirchen erlaubt. Leider wollte etwa der gebuchte Jack White nicht vor Menschen auftreten, die statt Buh eventuell Peng machen. Gegen die Verfechter von "Guns everywhere" folgte ein heftiger Shitstorm von "links" und "liberal", bei den Texas-Rangers herrscht weniger Empörung.

Ungefähr zeitgleich ging bei den Salzburger Festspielen die Neuinszenierung eines aus den Nullerjahren bekannten Stücks namens "Nipplegate" über die Bühne. Das wurde von einem tendenziell "rechten" Publikum auf Twitter heftig kommentiert. Hauptdarstellerin Mavie Hörbiger, die derzeit in Salzburg Gott und Teufel im mit ihr gleich mitgeschmähten "genderfluiden" Jedermann gibt, hatte bei einem öffentlichen Auftritt unter ihrem Kleid keinen BH getragen.

Sie musste wegen sexistischer Anfeindungen und Hasskommentare einer moralisch mitunter mehrmals täglich empörten, in Social Media beständig alarmisierten und hysterisierten Twitter-Gesellschaft ihr Konto auf dem "sozialen" Kanal ruhend stellen.

Immer wieder Penisse

Das Wort ist ein scharfes Schwert: Große Aufregung herrschte diese Woche auch wegen der weniger verklemmten Kundschaft von Pop-Superstar Beyoncé nach dem Erscheinen ihres neuen Albums Renaissance. Die feministisch und woke definierte afroamerikanische Künstlerin hatte in einem Song als Beleidigung das Triggerwort "Spastiker" verwendet. Es wurde mittlerweile aus dem Lied entfernt.

In London protestierten währenddessen Studierende des Imperial College gegen eine auf dem Vorplatz der Institution geplante Skulptur des Künstlers Antony Gormley. Das drei Meter große abstrakte Werk zeigt einen hockenden Mann. Dessen vorgereckte Knie können allerdings auch als erigierter Penis gelesen werden. Menschen könnten laut den Studierenden, die frecherweise nicht wegen ihrer Zustimmung zum Kunstwerk gefragt wurden, deshalb beleidigt oder gar traumatisiert werden. Womit sich der Bogen ein wenig schließt.

Heute fast vergessen, Dreadlocks

Wie klein und rührend war 2003 im Vergleich dazu die Aufregung um die Skulptur Arc de Triomphe der österreichischen Künstlergruppe Gelatin, die damals vor dem Salzburger Festspielhaus einen Mann zeigte, der sich mit seinem Penis selbst in den Mund pisste. Der Siegeszug unseres liebsten Empörungsmediums Twitter startete erst 2006. Fast vergessen dabei, führt die stürmische Debatte über kulturelle Aneignung bezüglich der Dreadlocks von zwei weißen Reggaemusikern in der Schweiz vor zwei Wochen heute schon wieder ein Mauerblümchendasein auf Twitter.

Wokeness, Cancel-Culture, Political Correctness, das irrationale, aber heutzutage schnell einmal mit 280 Zeichen ins Taschentelefon gehackte Gefühl Besitzer oder Besitzerin einer oft weniger faktenbasierten, dafür aber tief "gefühlten" Wahrheit zu sein, verbreitet sich heutzutage längst im Stundentakt. Wer neojakobinischen "Tugendterror" ausübt oder ein Opfer davon wird, bleibt variabel. Die dann ebenfalls in sozialen Medien gern verbreitete Kritik an der Aufregung der andauernd Empörten, wegen der man sich dann auch selbst gern einmal aufpudelt, ist natürlich maßlos übertrieben. Übertreibung ist in Social Media Geschäftsmodell. Der Tugendterror der Wohlfahrtsausschüsse während der Französischen Revolution hatte natürlich härtere Konsequenzen. Ein unangebrachter Vergleich. Empört euch! Aber man kann halt auch nicht immer nur mit der Nazi-, Faschisten-, Liberalen- oder Moralkeule herumwacheln.

Triggerwarnung

Tugend und Terror, ein geiles Begriffspaar. Wer sich intensiver für diese Thematiken interessiert, die tief in den Wunden und Abgründen des Dreigestirns Moral, Tugend und Terror bohrt, dem sei die Studie Moral als Bosheit des Wiener Rechtsphilosophen Alexander Somek empfohlen (Mohr-Siebeck-Verlag). Vielleicht stimmt die Lektüre ja ebenso mild wie Immanuel Kants guter alter kategorischer Imperativ: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde." Für den Alltag reicht dann auch ein Generikum. Achtung, Triggerwarnung! Wer folgende Zeilen liest, könnte unter Umständen gelassener werden: Man kann mit sich selbst zwar streng sein, anderen gegenüber muss man aber Milde walten lassen. (Christian Schachinger, 5.8.2022)