Magnus Brunner will sich als durchaus kunstsinnig verstanden wissen. Anders als sein Vorgänger Gernot Blümel ließ er in seinem Büro als Finanzminister mehrere Bilder aufhängen. Hinter Brunners Schreibtisch wurde eine Fotografie von Erich Lessing angebracht. Sie zeigt vier Banker vor der London Stock Exchange – angeblich auf dem Weg, um dort das große Wirtschaftsaufbauprogramm nach dem Zweiten Weltkrieg zu besprechen, den Marshallplan. Die Szene hielt Brunner für recht passend für sein Arbeitszimmer, schließlich ist er jetzt Herr über die heimischen Finanzen, und es ist Krise.

Brunners Verbindungsname lautet "Hamlet", er zitiert gerne ungefragt Shakespeare.
Foto: Heribert Corn

Mehr über Brunner sagt aber vielleicht das Werk an der gegenüberliegenden Wand aus, das er auch schon als Staatssekretär im Klimaministerium hängen hatte. Er selbst betitelt es nur als "moderne Kunst". Es ist – montiert an einer weißen Wand – ein reinweißes Rechteck mit trapezförmigen Ausbuchtungen, glatt, glänzend, unaufdringlich. Es könnte irgendwie alles sein. Oder nichts.

Nur nicht auffallen

Magnus Brunner wurde vergangenen Dezember überraschend Finanzminister. Die Beförderung verlief wie fast die gesamte politische Karriere Brunners: Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und davor nie negativ aufgefallen. Selbst bei den Grünen weiß kaum jemand Schlechtes über ihn zu berichten, obwohl er als Staatssekretär die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler überwachen sollte. Manchmal hatte er sie kritisiert, aufgefallen ist er damit bestenfalls eingefleischten Politikliebhabern. Brunner sei immer freundlich, umgänglich und ruhig – oder wie die moderne Kunst in seinem Büro: glatt, glänzend, unaufdringlich. Ist das das neue politische Erfolgsrezept?

Denn Brunner, der jeden Tag zehn Tassen Kaffee trinkt, aber nicht einmal danach unter Strom steht, gilt in der Gerüchteküche inzwischen als ÖVP-Personalreserve für quasi alles: Sollte Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner nicht aus dem Krankenstand zurückkehren, womit viele rechnen, gilt Brunner zumindest als Option für die Nachfolge. Würde Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer irgendwann abgesägt – vielleicht könne Brunner einspringen, wird gemunkelt. Er selbst, auch wenn er sich sichtlich geschmeichelt fühlt, bestreitet jede Ambition: "Der spannendste Job, den man in der Politik haben kann, ist Finanzminister", beteuert er und nimmt einen weiteren Schluck Kaffee.

Brunner ist in Höchst in Vorarlberg geboren und aufgewachsen. Er kommt aus einer Unternehmerfamilie. Die Eltern hatten eine Buchhandlung mit schlussendlich sieben Filialen, der Vater stieg zusätzlich in die Textilwirtschaft ein. Am Mittagstisch sei immer politisiert worden, natürlich habe man auch ÖVP gewählt. Aber so richtig politisch sozialisiert wurde Brunner erst später – durch den langjährigen Vorarlberger Landeshauptmann Herbert Sausgruber, als dessen Büroleiter er zwischen 1999 und 2002 fungierte.

"Katastrophale" Eindrücke

Im Grunde vereint Brunner – 50 Jahre, graumeliertes Haar, große Brille – alle Eigenschaften, die man Vorarlberger Schwarzen klischeehaft zuschrieb: wertkonservativ, anständig, aber eben auch ein wenig farblos. Bis durch die Causa Wirtschaftsbund die Fassade der Volkspartei im Ländle an allen Wänden zu bröckeln begann. Der Vorarlberger Wirtschaftsbund, eine ÖVP-Teilorganisation, keilte offensiv um Inserate für seine Mitgliederzeitschrift; es geht um Steuerhinterziehung und verdeckte Parteifinanzierung. Brunner selbst war zwischen 2002 und 2006 Direktor des österreichischen Wirtschaftsbundes. Von Ungereimtheiten will er damals nie etwas mitbekommen haben, die Optik jetzt sei aber – zugegeben – "katastrophal".

Einen eigentlich noch katastrophaleren Eindruck erweckte das Haus, dem er heute vorsteht. Das Finanzministerium darf getrost als Zentrum jener Inseratenaffäre bezeichnet werden, die Sebastian Kurz zu Fall brachte: Es geht um steuergeldfinanzierte Studien und Inseratedeals – mutmaßlich zum Nutzen des ehemaligen Kanzlers und ÖVP-Chefs, der Brunner später als Staatssekretär in die Spitzenpolitik beförderte. Aber auch unabhängig davon gerät das Finanzministerium laufend ins Gerede sowie ins Visier der Justiz: Da gibt es etwa noch die Causa rund um eine mutmaßliche Steuerbegünstigung für den Manager Siegfried Wolf. Und gerade erst wurde bekannt, dass eine Abteilungsleiterin verdächtigt wird, EU-Fördergelder veruntreut zu haben – laufend tun sich neue Löcher auf.

Unter der Oberfläche

Brunner agierte bei seinem Amtsantritt nicht ungeschickt. Er ließ ein internes Prüfverfahren zur Inseratencausa einleiten. Bei seiner Befragung im U-Ausschuss präsentierte er dann stolz eine Organisationsreform: Die Stelle des Generalsekretärs, die einst einer der Drahtzieher der Affäre, Thomas Schmid, innehatte, soll abgeschafft und durch eine neue Präsidialsektion ersetzt werden.

Die Ausgaben für Inserate will Brunner deutlich reduzieren. Das sei bereits passiert, beteuert er, auch wenn er Zahlen erst mit Jahresende vorlegen könne. In Brunners Kabinett finden sich dennoch weiterhin viele Namen, die bereits unter Türkis-Blau für die ÖVP aktiv waren. Unter der Oberfläche hat sich noch nicht viel getan. "Vieles ist schon geschehen, vieles wird noch geschehen", sagt Brunner.

Brunner sagt, er verstehe sich als wertebasierten Liberalen. Das Wort "Konservativer" gefällt ihm etwas weniger gut.
Foto: Heribert Corn

Er sitzt am Besprechungstisch seines Büros. Neben der Tür hängt ein hölzerner Jesus am Kreuz. Ein Geschenk, wie Brunner sagt. Er verstehe sich als wertebasierten Liberalen. Das Wort "Konservativer" gefällt ihm etwas weniger gut. Gläubig sei er, aber kein regelmäßiger Kirchengänger. Während des Jusstudiums in Innsbruck war Brunner beim Cartellverband aktiv, jener katholischen Studentenverbindung, die vielen ÖVP-Politikern als Netzwerk dient. "Hamlet" lautet Brunners Verbindungsname.

"To be or not to be"

Wie es dazu kam? "Ich war auch in England in der Schule, und dort habe ich den Hamlet auswendig gelernt", erzählt er. Seither zitiere er im privaten Umfeld immer wieder aus der Tragödie. "To be or not to be", beginnt er ungefragt und ohne große Intonation auf Englisch vorzutragen. "That is the question: Whether ’tis nobler in the mind to suffer the slings and arrows of outrageous fortune, or to take arms against a sea of troubles. And by opposing end them?" Sein Sprecher, der ebenfalls am Tisch sitzt, ist von der Einlage begeistert.

Die Politik und die ÖVP sind Brunner mehr oder weniger passiert. Nach seiner Promotion absolvierte er ein Praktikum beim Ausschuss der Regionen in Brüssel. Dort lernte er zufällig an einer Kaffeebar den damaligen Landeshauptmann Sausgruber und dessen Büroleiter Markus Wallner kennen. Er verwickelte sie in ein Gespräch, sie luden ihn zum Essen ein. Einige Jahre später kam der Anruf Sausgrubers, ob er für ihn arbeiten wolle. "Ohne diese Begegnung wäre mein Weg womöglich ein ganz anderer gewesen", sagt Brunner.

Nach seiner Zeit bei Sausgruber und im Wirtschaftsbund arbeitete er für mehrere Jahre im Energiesektor: Zuerst für den Vorarlberger Energieversorger, die Illwerke, dann wurde er zum Vorstand der Ökostromabwicklungsstelle OeMAG – nebenbei war er Bundesratsmitglied, dann wurde er Staatssekretär.

Nicht "mit Geld um sich schmeißen"

Lange Zeit galten schwarze Finanzminister als beinharte und selbstbewusste Hüter des Budgets und schwer zu meisternde Hürde für alle Ressorts, die Geld brauchten. Dann kamen die Krisen. Den Begriff "Nulldefizit" will Brunner erst gar nicht in den Mund nehmen. In Verhandlungen über Antiteuerungsmaßnahmen wird er – wie immer – als freundlich und ruhig beschrieben. Auch wenn er nicht der Typ sei, der "gerne mit Geld um sich schmeißt", wie es jemand aus grünen Regierungskreisen formuliert. "Man traut ihm aber eigentlich auch nicht zu, dass er für irgendetwas brennt", sagt jemand anderer, der mit Brunner gearbeitet hat.

In der ÖVP hat er den Ruf, keine Fehler zu machen, "solide" zu arbeiten. "Das ist schon viel heutzutage", sagt ein Türkiser selbstkritisch. Wie es weitergeht? "Ich leiste keinen Beitrag dazu, für irgendwelche Jobs im Gespräch zu sein", sagt Brunner. Was er sein oder nichtsein will? Vielleicht wird auch das wieder der Zufall entscheiden. (Katharina Mittelstaedt, 6.8.2022)