Zu den Putin-Verstehern gesellen sich hierzulande nun auch einige Xi-Versteher. Der chinesische Autokrat Xi Jinping habe doch irgendwie recht, wenn er sich über die "Provokation" der US-Kongressvorsitzenden Nancy Pelosi und ihren Besuch in der "chinesischen Provinz" Taiwan aufrege. Man brauche doch den chinesischen Markt, und man dürfe China nicht "provozieren".

Zur Angst vor dem nahen Russland gesellt sich die Angst vor dem fernen China. Objektiv mit weit größerer Berechtigung, denn China ist weitaus dynamischer und wirtschaftlich ambitionierter als Russland, die "Tankstelle mit Nuklearwaffen". Was aber beide verbindet, ist die offenkundige Absicht, "abtrünnige Provinzen" wie die Ukraine und Taiwan wieder zurückzuholen, und zwar auch mit Gewalt.

Die Freundschaft zwischen Putin und Xi basiert auf einer gemeinsamen Feindschaft gegenüber dem liberalen Westen.
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Aber da ist mehr. Die "Freundschaft" zwischen den beiden autokratischen Systemen (sowohl Putin als auch Xi haben sich praktisch zu Präsidenten auf Lebenszeit gemacht) beruht auf einer gemeinsamen Feindschaft gegenüber dem demokratischen, liberalen Westen und seinen Werten. Die Welt soll so werden wie Russland und China, wobei China sehr viel weiter beim Aufbau eines technologisch perfektionierten Überwachungs- und Steuerungssystems ist. China ist schon fast "1984".

Ja, aber was ist mit Taiwan? Ist es nicht irgendwie das Recht Chinas, die Insel "heimzuholen", auf die sich nach dem verlorenen Bürgerkrieg das Regime des Generalissimus Chiang Kai-shek zurückzog und das Festland Mao überließ? Dazu gibt es Tonnen von Diskussionsmaterial, alles müßig. Die Taiwanesen wollen nicht zurück, sie haben eine funktionierende Demokratie aufgebaut, und sie wären nur mit Gewalt zu holen. So wie das kommunistische China mit Gewalt Tibet geholt hat und mit Gewalt die Uiguren in Xinjiang in Umerziehungslager sperrt. Das wäre auch das Schicksal der Taiwanesen.

Beschwichtigungspolitik hilft gegen Despotien nicht

Man kann, so wie es der New York Times-Kolumnist Thomas Friedman getan hat, Pelosis Reise für unklug halten, weil die USA mit dem Ukraine-Krieg genug zu tun hätten. Aber man kann auch der begründeten Meinung sein, dass man gegenüber Despotien mit klar geäußertem Weltherrschaftsanspruch keine Beschwichtigungspolitik betreiben darf.

Chinas nationaler Slogan lautete vor 40 Jahren nach Deng Xiaopings Wendung zur Marktwirtschaft: "Friedlicher Aufstieg". Bei ihrem Treffen im Februar sprachen Putin und Xi klar von der "Neuverteilung der Macht in der Welt".

Der US-Präsident Woodrow Wilson wollte Anfang des letzten Jahrhunderts "die Welt sicher für die Demokratie machen". Putin und Xi sowie einige kleinere Adepten wie Orbán in Ungarn, Erdoğan in der Türkei, Bolsonaro in Brasilien, Modi in Indien – und Trump in den USA – wollen die Welt sicher für die Autokratie machen. Es soll eine neue Weltordnung entstehen, in der die liberalen Demokratien nichts mehr zu sagen haben. Sowohl Russland als auch China sind "revisionistische Mächte", die einer großen Vergangenheit – zaristisches Russland, Sowjetunion, "Reich der Mitte" – nachtrauern und sich für tatsächliche oder eingebildete Demütigungen durch den Westen rächen wollen.

Diese Demütigungen hat es historisch gegeben, aber das darf über eines nicht hinwegtäuschen: Für Putin, Xi und andere ist es eine aktuelle Demütigung, dass es westliche Demokratien überhaupt noch gibt. Chinas Machtanspruch ist beeindruckend, aber beruht nicht auf unbegrenzten Ressourcen. Er muss eingedämmt werden, und das ist möglich. Schritt eins dazu ist, zu verstehen, mit wem man es zu tun hat. (Hans Rauscher, 5.8.2022)