Am Samstag, dem 77. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, hat UN-Generalsekretär António Guterres an der Seite des japanischen Ministerpräsidenten Fumio Kishida und der Bevölkerung Hiroshimas einer beispiellosen Katastrophe gedacht. Im Gastkommentar warnt er: "Wir laufen Gefahr, die Lehren von 1945 zu vergessen."

Blick auf das Friedensdenkmal von Hiroshima.
Foto: APA/AFP/Philip Fong

Vor 77 Jahren wurden Kernwaffen auf die Menschen in Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Zehntausende Frauen, Kinder und Männer wurden augenblicklich in einem Höllenfeuer getötet. Gebäude lösten sich in Staub auf. Die schönen Flüsse der Stadt waren blutgetränkt.

Auf den Überlebenden lastete der Fluch des radioaktiven Erbes. Sie wurden von Krankheiten heimgesucht und waren ein Leben lang mit dem Stigma des Atombombenabwurfs behaftet. Mir wurde die große Ehre zuteil, mich mit einer Gruppe dieser Überlebenden, den Hibakusha, zu treffen, deren Reihen sich jährlich lichten. Mit unerschrockener Tapferkeit schilderten sie mir, was sie an jenem schrecklichen Tag 1945 erlebt hatten.

Weder Schutz noch Sicherheit

Es ist höchste Zeit, dass diejenigen, die an der Spitze von Staaten und Regierungen stehen, der Wirklichkeit ebenso klar ins Auge blicken wie die Hibakusha und Kernwaffen als das sehen, was sie sind. Kernwaffen sind sinnlos. Sie können weder Sicherheit noch Schutz gewähren, sondern sind einzig auf Tod und Zerstörung ausgerichtet.

Ein Dreivierteljahrhundert verging, seit die Pilzwolken über Hiroshima und Nagasaki aufgestiegen waren. Seither haben wir einen Kalten Krieg, Jahrzehnte einer absurden Politik am Rande des Abgrunds und mehrere erschreckende Beinahekatastrophen erlebt, in denen die Menschheit nur wenige Minuten vor der Auslöschung stand. Doch selbst mitten im Kalten Krieg bauten die Atommächte ihre Kernwaffenbestände erheblich ab. Die Grundsätze des Nichteinsatzes und der Nichtverbreitung von Kernwaffen sowie des Verbots von Nuklearversuchen fanden breite Akzeptanz. Heute laufen wir jedoch Gefahr, die Lehren von 1945 zu vergessen.

"Es genügt ein Fehler, ein Missverständnis, eine Fehleinschätzung, um den Weltuntergang hervorzurufen."

Ein neues Wettrüsten nimmt Fahrt auf, bei dem Regierungen Hunderte von Milliarden US-Dollar in die Aufrüstung ihrer Kernwaffenbestände investieren. Weltweit existieren derzeit knapp 13.000 nukleare Sprengköpfe. Geopolitische Krisen mit ernsten nuklearen Untertönen breiten sich rasant aus – vom Nahen Osten über die Koreanische Halbinsel bis hin zu Russlands Einmarsch in die Ukraine. Wieder einmal spielt die Menschheit mit einer geladenen Waffe. Es genügt ein Fehler, ein Missverständnis, eine Fehleinschätzung, um den Weltuntergang hervorzurufen.

Die Staatslenker und Staatslenkerinnen müssen vom Abgrund zurücktreten und die nukleare Option ein für alle Mal vom Tisch nehmen. Es ist unannehmbar, dass Staaten, die im Besitz von Kernwaffen sind, die Möglichkeit eines Atomkriegs zulassen, der die Menschheit in den Abgrund stürzen würde. Ebenso müssen sich Länder mit Kernwaffen verpflichten, auf ihren Ersteinsatz zu verzichten. Zudem müssen sie den Staaten ohne Kernwaffen versichern, dass sie diese Waffen weder gegen sie einsetzen noch deren Einsatz androhen werden, und stets transparent sein. Das nukleare Säbelrasseln muss ein Ende nehmen.

Neue Hoffnungsschimmer

Letztendlich gibt es nur einen Weg aus der nuklearen Bedrohung: das Ende der Kernwaffen. Dazu müssen alle Wege des Dialogs, der Diplomatie und der Verhandlung beschritten werden, um Spannungen abzubauen und diese tödlichen Massenvernichtungswaffen zu beseitigen.

Es gibt neue Hoffnungsschimmer in New York, wo die Welt sich zur 10. Konferenz zur Überprüfung des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen versammelt hat. Es ist hauptsächlich diesem Vertrag zu verdanken, dass Kernwaffen seit 1945 nicht zum Einsatz gekommen sind. Er beinhaltet rechtsverbindliche Verpflichtungen zur Herbeiführung der nuklearen Abrüstung und kann als wirkungsvoller Katalysator für Abrüstung wirken. Denn nur so können wir diese schrecklichen Waffen ein für alle Mal beseitigen.

Zeitlose Botschaft

Im Juni kamen die Vertragsstaaten des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen erstmals zusammen, um einen Fahrplan zur Verwirklichung einer Welt ohne diese unheilvollen Waffen zu erarbeiten. Wir können nicht länger hinnehmen, dass aufgrund dieser Waffen die Zukunft der Menschheit stets an einem seidenen Faden hängt. Es ist an der Zeit, die zeitlose Botschaft der Hibakusha zu beherzigen: "Nie mehr Hiroshima! Nie mehr Nagasaki!" Es ist an der Zeit, Frieden zu verbreiten. Gemeinsam, Schritt für Schritt, können wir diese Waffen vom Erdboden verbannen. (António Guterres, 7.8.2022)