Ein kleines Großstadtidyll ist sie geworden, die neue Zollergasse. Wo früher Autos parkten, hat man Bäume gepflanzt. Noch sind sie jung und nur ein Stockwerk hoch, bald aber werden sie tiefen Schatten spenden. Ringsum gibt es jetzt grüne Pflanzenbeete. Und die Gastgärten der Lokale haben doppelt so viel Platz, seit man im Vorjahr aus der schmalen Straße in Wien-Neubau eine Begegnungszone gemacht hat. Eine entspannte urbane Oase in Wiens Bobobezirk Nummer eins.

Allerdings: Zwei seltsame Gebilde stechen hier vielen ins Auge wie ein Fremdkörper. Ein dunkler Metallrahmen, an den man Kletterpflanzen gesetzt hat. Von oben hängen je zwei Seile, dazwischen ein Riemen aus schwarzem Gummi. Sind es Fitnessgeräte? Schaukeln?

Auf den "Sitzschaukeln" in der Zollergasse kann man nicht schaukeln, denn sie sind im Boden verankert. Laut Bezirksvorsteher Reiter sollen sie aber niemanden vertreiben.
Foto: Regine Hendrich

Wer Platz nimmt, wird enttäuscht. Denn die vermeintlichen Schaukeln sind fest im Boden verankert. Schaukeln kann man hier also nicht, bestenfalls ein wenig hin und her wackeln. Es handelt sich schlicht um Sitzgelegenheiten. Allerdings um solche, auf denen mangels bequemer Ergonomie wohl nur die wenigsten länger als ein paar flüchtige Momente verweilen werden. Warum gönnt man den Neubauern hier keine Parkbänke? Will man am Ende gar bewusst jemanden verschrecken?

Euphemismus oder Klartext

Für eine solche Strategie würde die Fachsprache zwei Begriffe kennen, einen euphemistischen und einen deutlichen. "Defensive Architektur" lautet der eine. "Anti-Obdachlosen-Architektur" der andere. Auf Englisch spricht man von "Hostile Design". Aus den Millionenstädten dieser Welt kennt man etliche Beispiele: Stacheln auf Brachflächen, Absperrgitter, abgeschrägte Bänke. Besonders in London tat sich die Stadtpolitik mit zynischen Modellen hervor, um Wohnungslose am Übernachten zu hindern oder Jugendliche und Randgruppen zu verscheuchen.

Aber auch in Wien ist die Vertreibungs- und Selektionsarchitektur angekommen. Zum Beispiel mit den vielen Sitzgelegenheiten bei Öffi-Haltestellen mit auffälligen Metallbügeln in der Mitte. "Aufstehhilfen" seien das, heißt es von den Wiener Linien. Weil man die aber meistens an den Enden von Bänken platziert und selten in deren Mitte, glauben in der Stadt die wenigsten, dass es bei der Gestaltung nicht in Wahrheit um etwas anderes ging: Menschen davon abzuhalten, hier zu liegen.

Aber will man in der Zollergasse mit ihren "Sitzschaukeln" tatsächlich obdachlose Menschen verscheuchen, auf dass sie das urbane Jungvolk der Innenstadtquartiere nicht beim Caffè-Latte-Trinken stören? Ausgerechnet im grünen Kernbezirk? "Es ist auch eine künstlerische Intervention", sagt Markus Reiter, Bezirksvorsteher in Neubau und Initiator der neuen Zollergasse, während sein Blick über die neuen Sitzgelegenheiten streift. Mit den Metallrahmen habe man zudem auf die Stadtgeschichte aufmerksam machen wollen, ist die Gasse doch nach dem Tuchhändler Michael von Zollern benannt. Die Pergolen sollen "abstrahierte Webstühle" darstellen, ist auf einer Infotafel zu lesen.

Sozialpolitisches Problem

Und: Es sei darum gegangen, im jungen Bezirk Neubau auch gezielt ein jüngeres Publikum anzusprechen. "Eine Parkbank hat das Image, dass da ältere Menschen sitzen", sagt Reiter. "Diese Sitzgelegenheiten sind zum Abhängen da." Bei der Umgestaltung des nahen Josef-Strauß-Parks hätten sich die "Sitzschaukeln" bereits bewährt. Würden sie in der Zollergasse nicht gut angenommen, könnte man sie auch jederzeit wieder austauschen, sagt der Bezirkschef. An vielen anderen Stellen im Bezirk hat man schließlich auch ganz klassische neue Parkbänke aufgestellt.

Reiter war selbst Mitbegründer der Obdachlosen-Hilfseinrichtung Neunerhaus und jahrelang ihr Obmann und Geschäftsführer. Der Sozialökonom ist also eigentlich recht unverdächtig, wohnungslose Menschen mit rigiden Gestaltungsmaßnahmen vertreiben zu wollen. "Ich halte Obdachlosigkeit für ein sozialpolitisches Problem", sagt er. "Aber nicht für eines im Stadtbild." Das traditionell linksliberale Publikum im siebten Bezirk sei zudem gegenüber wohnungslosen Menschen ohnehin kaum feindlich eingestellt. "Die fragen eher: Wie kann ich ihnen helfen?"

Eine Bank der Wiener Linien mit "Aufstehhilfen". Liegen kann hier zuverlässig niemand.
Foto: Regine Hendrich

Konzepte dazu, wer sich im öffentlichen Raum wo aufhält und begegnet, müsse es aber bei jeder neuen Stadtplanung geben, räumt Reiter ein. Auch in enger Abstimmung mit der Stadt. Zu solchen Konzepten kann – nur zum Beispiel – auch gehören, Gruppen von Alkohol- oder Substanzabhängigen, von Jugendlichen oder Skatern davon abzuhalten, Sitzgelegenheiten für längere Zeit zu "blockieren".

Ewiger Hotspot Praterstern

Und genau das scheint an einem besonders prominenten Ort der Stadt gerade zu passieren. Wieder einmal. Auch wenn niemand der Verantwortlichen das gerne so dargestellt wissen möchte. Denn der Praterstern, das von täglich rund 200.000 Menschen frequentierte Verkehrsdrehkreuz, wird derzeit umgestaltet. Die unzähligen Dealer von einst ist man mit rigider Polizeiüberwachung losgeworden. Seit 2018 gilt auch ein Alkoholverbot. Zuvor hatte der Platz lange als Treffpunkt für kleinere Gruppen wohnungsloser, alkohol- und suchtgiftkranker Menschen gedient. In Ansätzen ist das auch heute noch so. Die mobilen Sozialarbeiter von Sam 2 in ihren roten Jacken betreuen alle von ihnen aber recht engmaschig.

Die "Hitzeinsel" Praterstern will man nun mit Begrünung, 56 neuen Bäumen und einem Wasserspiel entschärfen. Im Herbst soll eröffnet werden. Schon jetzt aber sorgen die neuen Sitzgelegenheiten für Aufregung. Statt der langen Holzbänke von einst gibt es nun: ovale "Sitzsteine". Kurz verweilen kann man darauf sicher, bequem sitzen sicher nicht. Und liegen schon gar nicht. "Steinige 'Bänke' am Praterstern: modern oder obdachlosenfeindlich?", titelte der "Kurier", auch die Caritas kritisierte die neuen Sitzmöbel.

DER STANDARD

Sitzsteine oder "dekoratives Element"?

Laut Stadt sind die Steine ein "dekoratives Element" und eine "spielerische Ergänzung" zu anderen neuen Sitzplätzen am Praterstern. "Pratoide" getaufte Ellipsen würden weitere bequeme Sitzgelegenheiten "für alle Nutzer:innengruppen" bieten. Ein Lokalaugenschein aber zeigt: Auch auf den Pratoiden ist das Liegen praktisch unmöglich. Denn auf manchen sind Einzelsitze und kurze Zwei-Personen-Bänke mit Armlehnen angebracht. Genau jene ohne Rücken- und Armlehnen haben dagegen eine abgeschrägte Sitzfläche, die das Hinlegen, gelinde gesagt, erschwert. Klassische Beispiele von Hostile Design also?

Die neuen "Sitzsteine" am Praterstern: "Dekoratives Element", sagt die Stadt Wien. "Obdachlosenfeindlich", sagt die Caritas.
Foto: Regine Hendrich

Man könne "nicht bestätigen, dass das der Hauptgedanke bei der Gestaltung des Platzes war", heißt es auf STANDARD-Anfrage aus dem Büro der zuständigen Stadträtin Ulli Sima (SPÖ). Ob die Form der Sitzmöbel verhindern soll, dass sie als Schlafplätze benutzt werden oder Menschengruppen sich zu lange darauf aufhalten? Es kämen "mehrere Pratoide mit unterschiedlichen Merkmalen" zum Einsatz, lautet die allgemeine Antwort. Die "verschiedenen Designs" führten "hierbei zu leichten Unterschieden in Umfang, Breite oder auch Gefälle".

In der Bezirksvorstehung Leopoldstadt spricht man auf Nachfrage von einer "Geschmacksfrage" und einem "Designelement" bei den Sitzmöbeln, verweist aber auch darauf, dass die Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung nicht im Bezirk gefallen sei.

Ist Verscheuchen legitim?

Aber wäre der Versuch zu lenken, wo und wie sich Menschen in einer Millionenstadt aufhalten, nicht legitim? Ist ein Ort wie der Praterstern, über den täglich Menschenmassen strömen, nicht tatsächlich weder idealer Schlafplatz für Wohnungslose noch wünschenswerter Ort für Drogengeschäfte? Wäre es nicht nachvollziehbar, wenn die Wiener Linien Bänke bei Haltestellen für Fahrgäste – darunter auch viele Ältere und Gebrechliche – freihalten wollen? Und wenn die Stadt Alternativen bietet und obdachlose oder suchtkranke Menschen engmaschig unterstützt: Könnte sie den Bürgerinnen und Bürgern dann nicht einfach reinen Wein einschenken, statt sich um klare Antworten zu drücken?

"Verdrängung tötet Urbanität"

Christina Schraml ist Urbanistin an der Universität für angewandte Kunst und beschäftigt sich schon lange mit feindlichem Design. Und sie sieht das nicht so. "Stadt lebt von sozialer Durchmischung und davon, dass Vielfalt aufeinandertrifft", sagt sie. "Und der öffentliche Raum gehört allen." In Wien neige man generell dazu, Flächen stark zu "zonieren" und zu überregulieren. So solle etwa nur auf gekennzeichneten Spielplätzen gespielt werden, "ein paar Meter daneben aber bitte nicht". Typisch seien etwa die Verbotsschilder in den Hofanlagen der Wiener Gemeindebauten.

Stadtmobiliar werde heute gezielt eingesetzt, um Verhalten zu lenken, Handlungen zu unterbinden und bestimmte Gruppen auszuschließen. "Das eigentliche Problem lösen defensive Architektur und Verbote aber nicht", sagt Schraml. "Die Menschen, die früher am Praterstern Alkohol getrunken haben, fahren jetzt eben drei Stationen weiter und trinken ihn am Franz-Jonas-Platz in Floridsdorf." Regulierung und Zonierung würden spontane, unerwartete Zusammenkünfte unterbinden – und damit auch das, was Stadt ausmache. "Verdrängungsprozesse töten das, was wir Öffentlichkeit nennen", sagt Schraml. "Und sie töten Urbanität." (Martin Tschiderer, 10.8.2022)