New York/Gaza/Tel Aviv – Militante Palästinenser haben am Sonntag auch Raketen in Richtung Jerusalem abgefeuert. Berichte über Opfer und Schäden auf israelischer Seite gab es zunächst nicht. Allerdings zeigte das neue und weiter entfernt liegende Ziel die Eskalation am dritten Tag der gegenseitigen Angriffe. In der Nacht auf Sonntag wurde bei einem israelischen Luftangriff im Süden des Gazastreifens mit Khaled Mansour ein zweiter ranghoher Kommandant des militanten Islamischen Jihad getötet.

Zugleich zeichnete sich ein weiterer Brennpunkt ab. Mehrere Juden beteten auf dem Gelände der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem und verstießen damit gegen israelische und muslimische Vorschriften. Palästinenser protestierten dagegen.

Vergeltung für Tötung eines Kommandanten

In mehreren Gemeinden rund fünf Kilometer westlich von Jerusalem heulten in der Früh die Sirenen. Ein Sprecher des israelischen Militärs sagte, die Raketen seien in der Luft abgefangen worden. Der Islamische Jihad erklärte, die Organisation habe Jerusalem als Vergeltung für die Tötung Mansours, ihres Kommandanten im Süden des Gazastreifens, mit Raketen angegriffen.

Ein zerstörtes Haus im Gaza-Streifen.
Foto: REUTERS/Ibraheem Abu Mustafa

Bereits am Freitag und Samstag hatte der Islamische Jihad mit Raketen vor allem auf den Süden Israels gezielt. Die meisten der rund 400 Raketen wurden nach Angaben des israelischen Militärs abgefangen. 97 Prozent der Geschoße seien vom Schutzschild "Iron Dome" zerstört worden. Die israelische Luftwaffe flog etliche Angriffe auf Ziele im Gazastreifen.

Eskalation seit Freitag

Es sind die schwersten Auseinandersetzungen seit über einem Jahr. Sie folgen auf einen israelischen Sondereinsatz gegen den Islamischen Jihad am Freitag in Gaza, bei dem nach israelischen Angaben Tayseer al-Jaabari, einer der führenden Kommandanten, getötet wurde. Bei dem Angriff auf Kommandant Mansour wurden nach Angaben des Islamischen Jihad zwei weitere Angehörige der Organisation sowie fünf Zivilisten getötet.

Der Jihad schwor daraufhin Rache: "Das Blut der Märtyrer wird nicht vergeudet, und die heiligen Krieger werden dieses Blut nicht trocknen lassen, bis sie die Siedlungen des Feindes mit ihren Raketen bombardiert haben."

Nach palästinensischen Angaben wurden rund 30 Menschen bei den israelischen Angriffen getötet, darunter sechs Kinder. Mindestens ein Drittel der Toten seien Zivilisten. 203 Menschen seien am Freitag und Samstag verletzt worden. In Israel gab es nach Informationen des Rettungsdienstes keine Berichte über ernsthaft Verletzte.

Angespannte Lage in Jerusalem

Eine Eskalation drohte auch in Jerusalem. Dort verstießen Juden gegen seit langem geltende Vorschriften und beteten auf dem Gelände der Al-Aqsa-Moschee, wo einst jüdische Schreine standen. Im Internet verbreitete Videos zeigten, wie die Polizei eingriff, um die Gläubigen zu stoppen. Palästinenser protestierten gegen die jüdischen Gebete auf Moscheegelände.

Der israelische Schutzschild "Iron Dome" wehrt feindliche Raketenangriffe ab.
Foto: APA/AFP/JACK GUEZ

Die Moschee befindet sich auf einem der umstrittensten heiligen Orte im Nahen Osten. Die Juden bezeichnen ihn als Tempelberg. Den Muslimen ist es die drittheiligste Stätte nach Mekka und Medina. Auf dem Moscheegelände ist nur muslimischer Gottesdienst erlaubt, Juden dürfen dort nicht beten. Einige taten es trotzdem, um Tisha B'Av zu begehen, den Tag der Trauer um alte Tempel. Die beiden auf dem Gelände der Al-Aqsa-Moschee wurden bereits in der Antike zerstört.

UN-Sicherheitsrat schaltet sich ein

Das deutsche Auswärtige Amt zeigte sich besorgt über die Entwicklung. "Wir verurteilen den Raketenbeschuss israelischer Städte und Gemeinden auf das Schärfste", erklärte eine Sprecherin und forderte ein sofortiges Ende. "Israel kann sich wie jeder andere Staat auf das Selbstverteidigungsrecht berufen. Zivilisten dürfen niemals das Ziel von Angriffen sein. Es gilt jetzt, eine weitere Eskalation zu verhindern und größtmögliche Zurückhaltung sowie die völkerrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeit zu wahren."

Aus der palästinensischen Führung verlautete, Ägypten, die Vereinten Nationen und Katar hätten mit Vermittlungsbemühungen begonnen, um die Gewalt zu beenden. Nach Angaben aus ägyptischen Sicherheitskreisen traf eine ägyptische Delegation am Samstag in Israel ein und sollte zu Vermittlungsgesprächen nach Gaza reisen. Ägyptischen Angaben zufolge dürfte vieles davon abhängen, ob die Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, sich den gewaltsamen Aktionen des kleineren Islamischen Jihad anschließt.

Die israelischen Luftangriffe im Gazastreifen sollen am Montag auch den Uno-Sicherheitsrat in New York beschäftigen. Das Treffen soll hinter verschlossenen Türen stattfinden.

Medizinische Versorgung in Gefahr

Das palästinensische Gesundheitsministerium hat am Sonntag vor einer Einstellung der medizinischen Versorgung im Gazastreifen binnen 48 Stunden gewarnt. Hintergrund sei die Abschaltung des einzigen Kraftwerks in dem Palästinensergebiet aus Treibstoffmangel am Samstag, hieß es in der Mitteilung. Die Notgeneratoren der Krankenhäuser seien angesichts der fortwährenden Blockade der Übergänge zwischen Israel und dem Gazastreifen bereits fast leer.

Die Stromversorgung in dem Küstengebiet mit mehr als zwei Millionen Einwohnern wurde bereits am Samstag laut Stromgesellschaft von zwölf auf vier Stunden reduziert. Israel hatte am Montag die Einfuhr von Treibstoff in das Gebiet gestoppt und dies mit der Angst vor Angriffen nach der Festnahme eines Anführers des Islamischen Jihad im Westjordanland, Bassam al-Saadi, begründet. (APA, 7.8.2022)