Was selbstverständlich da ist, wird mit der Zeit unsichtbar. Man gewöhnt sich so schnell. An die leistbare Energie (jederzeit aus der Steckdose), an die prall gefüllten Supermarktregale, an die verfügbaren Arbeitskräfte oder an die eigene tadellose Gesundheit.
Ein starker Weckruf gegen solchen Verschleiß an Aufmerksamkeit kam während der Pandemie zunächst vom Pflegepersonal, dann aus der Elementarpädagogik und etwa auch vom Lehrpersonal. Eingefordert wurde und wird Wertschätzung. Völlig zu Recht. Und mit ein wenig mehr Geld, ein paar Ausbildungsplätzen mehr und medialer Präsenz ist das Thema längst nicht abgehandelt. Uns wird vorgeführt, dass wir anders und genauer, eben wertschätzender hinschauen müssen. Aufeinander.
Denn was hier sichtbar wird, betrifft nicht nur wesentlich mehr Menschen, sondern zunehmend auch sämtliche Ressourcen, die jahrzehntelang selbstverständlich so gut wie uneingeschränkt verfügbar waren. Und es geht zuallererst nicht nur um eine Beimessung von höheren monetären Werten (also mehr Geld für die Arbeitsleistung oder teurere Rohstoffe), sondern es geht um eine Haltung, um das Anerkennen von Kostbarkeit. Im Kern ist eigentlich Dankbarkeit gefragt. Zunächst aber geht es um das Bewusstsein, wer und was uns alles zur Verfügung steht, ohne dass wir es bewusst wertschätzen.
Die Berufsgruppen etwa in der Infrastruktur, von der Wartung der Mobiltoiletten bis zum Straßenkehrer. Die Menschen in den Industrien, beispielsweise jene, die dafür sorgen, dass ein Stück Fleisch wohlverpackt und säuberlich im Regal liegt, oder die Erntehilfen, die das Gurkerl in Richtung Essiggurkenglas befördern, haben schließlich nicht weniger Wertschätzung verdient. Tausende bleiben allerdings unsichtbar. Genauso wie die Logistiker, die tags und nachts die Lkws be- und entladen, die zwischen Förderbändern hin- und herschupfen, damit unsere Bestellungen ankommen.
Auf Wertschätzung hat jeder Anspruch
Wertschätzung lässt sich nicht gegeneinander ausspielen. Eine Rangordnung, wem sie denn zustünde, kann es nicht geben. Einen Katalog, nach man sich Wertschätzung erst zu "verdienen" habe, auch nicht.
Sie muss als Grundstoff, als Vorschuss und als unendliches Gut untereinander begriffen werden, auf das jede und jeder gleich viel Anspruch hat.
Das schlägt derzeit auch in den Unternehmen auf: Teilzeitkräfte als zweite Liga hinter den Vollzeitleuten zu behandeln, sie von Funktionen oder qualifizierten Tätigkeiten auszuschließen geht sich in Zeiten des Fach- und Arbeitskräftemangels nicht mehr aus. Sprüche wie "Erst Wertschöpfung bringt Wertschätzung" können nicht mehr als Qualifikationskriterium für basale Achtung gelten. Das verträgt auch keine Gesellschaft, die ohnedies an vielen Linien tiefe Spaltungen zeigt, in der soziale Ungleichheit zum immer größeren Problem wird.
Gegen Letzteres ist die Politik, aktuell zum Teuerungsthema, zum schnellen Handeln gefordert.
Für eine grundsätzlich wertschätzende Haltung – auch gegenüber allen, deren Leistungen wir gar nicht sehen können – sind wir aber alle zuständig. Es kostet nichts. Es ist die Kreislaufwirtschaft des Zusammenlebens. Und erst einmal in Gang gebracht, kommt sie ja sowieso zurück. (Karin Bauer, 8.8.2022)