William Ruto, der "Hustler gegen Dynastien", will Kenias Präsident werden. Er setzt auf Populismus.

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Raila Odinga stammt aus einer Politikerdynastie. Auch er will das höchste Amt im Staat.

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Um ihr Programm auf den Punkt zu bringen, legen sich afrikanische Parteien gern Symbole zu. Besen (gegen Korruption); aufgehende Sonne (Neuanfang); Hahn (der Stärkste im Hühnerstall). William Ruto ist für Kenias Wahl am Dienstag etwas Neues eingefallen: Der aktuelle Vizepräsident des Staates tritt unter dem Banner einer Scheibtruhe an. Auch Analphabeten soll klar sein: Rutos Wahlbündnis Kenya Kwanza (Kenia zuerst) zieht die kleinen Leute mit dem Wagerl aus dem Dreck.

"Hustler gegen Dynastien" setzte Ruto als Slogan über seinen Wahlkampf. Der 55-jährige Sohn aus armem Haus sieht sich im Kampf gegen das Establishment, gegen die zwei prominentesten politischen Familien des Landes, die Kenyattas und Odingas. Seit der Unabhängigkeit Kenias 1963 standen sich die beiden – die eine vom Volk der Kikuyu, die andere den Luo angehörend – feindlich gegenüber: Jetzt treten Uhuru Kenyatta und Raila Odinga als Verbündete auf. Das vereinte Establishment gegen das gemeine Volk: So stellt es Ruto dar.

It’s the economy

Das ist in Kenia neu: Der soziale Stand – arm oder reich – war im 58-Millionen-Einwohner-Staat bisher selten im Zentrum. Vielmehr ging es um ethnische Identitäten: Luo wählen einen Odinga, Kikuyu einen Kenyatta – die Angehörigen der rund 120 anderen Ethnien Kenias schließen sich einem der beiden Blöcke an. Das führte regelmäßig zu Zusammenstößen: Nach dem Urnengang vor 15 Jahren kamen bei Unruhen zwischen Luo und Kalenjin auf der einen Seite und Kikuyu auf der anderen Seite mehr als 1200 Menschen ums Leben.

Dass die ethnische Zugehörigkeit inzwischen nicht mehr die Hauptrolle spielt, ist den Politikern selbst zu verdanken: Sie gingen dermaßen willkürlich mit der "Identität" ihrer Wähler um, dass sie sie schließlich ad absurdum führten. Kalenjin Ruto war einst als Verbündeter des Luo Odinga gegen den Kikuyu Mwai Kibaki angetreten. Fünf Jahre später wechselte Ruto die Seite und schloss sich Kenyatta an. Doch statt Ruto 2022 zu unterstützen, verbündete sich Kenyatta mit dem Erbfeind Odinga. Die Folge: Diesmal stehen vor allem wirtschaftliche Fragen im Zentrum der Wahlkampagne.

Das ist aber auch eine Folge der Not. Nach zwei Jahrzehnten wirtschaftlichen Aufschwungs haben Corona, Ukraine-Krieg und Dürre das Land erwischt. Dazu kommt Ungleichheit: Weniger als 0,1 Prozent verfügten über mehr Geld als die restlichen 99,9 Prozent, so Oxfam. Das Vermögen der Superreichen wachse im Eiltempo. "Hustler gegen Superreiche": Rutos Wahlslogan sitzt.

Nation der Hustler

Obwohl er selbst einer der reichsten Kenianer ist, sucht sich Ruto zu diesem Zweck als Sohn armer Leute zu präsentieren. Dass bei seinem eigenen Aufstieg alles mit rechten Dingen zuging, glaubt in Kenia keiner – allerdings gelten ohnehin alle als korrupt. Ruto will aus Kenia eine "Hustler-Nation" machen: einen Staat, in dem die informelle Ökonomie der Kleinbauern, Straßenhändler und Gelegenheitsarbeiter ins Zentrum gerückt wird. Das klingt fast revolutionär, droht das Land jedoch um Jahrzehnte ins vorindustrielle Zeitalter zurückzuwerfen.

So zumindest sieht es Rutos Gegner Raila Odinga. Der Sozialdemokrat gilt als Modernist: Er will die Entindustrialisierung Kenias stoppen und die digitale Revolution antreiben. Schon heute gilt die Hauptstadt Nairobi als "Silicon Savannah". Um die Ungleichheit zumindest etwas zu verringern, verspricht er neue Sozialprogramme.

Umfragen sagen ihm einen knappen Vorsprung voraus. Eine Stichwahl gilt aber als wahrscheinlich. (Johannes Dieterich, 8.8.2022)