Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan entwickelt sich immer mehr zu einem Wanderer zwischen den Welten. Während die Türkei als Nato-Mitglied die Ukraine auch mit Waffen unterstützt, hat sich Erdoğan gleichzeitig am letzten Freitag bereits zum zweiten Mal innerhalb von nur drei Wochen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich getroffen.

Am Freitag reiste er extra zu Putins Sommerresidenz in Sotschi am Schwarzen Meer, angeblich um die Handelsbeziehungen zu Russland zu vertiefen, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Rest der Nato in einen weitreichenden Wirtschaftskrieg mit Putin verwickelt ist.

Nicht der erste Handshake seit Kriegsbeginn in der Ukraine.
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Bisher profitiert Erdoğan von seiner zweideutigen Politik. Wenn auch widerwillig, müssen die Nato-Mitglieder anerkennen, dass der Getreidedeal ohne die Nähe Erdoğans zu Putin wohl nicht geklappt hätte. Die Ukraine profitiert von der Vereinbarung. Schon deshalb wird Erdoğans erneutes Treffen mit Putin nicht öffentlich kritisiert.

Hinter verschlossenen Türen werden aber viele verärgert sein, dass Erdoğ an die Sanktionen nutzt, um besonders gute Bedingungen im Handel mit Russland herauszuschlagen. Die Türkei befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise, billiges Gas und Öl können da sicher helfen. Auch dass Gas nun in Rubel bezahlt werden soll, kommt Erdoğan entgegen. Da die Türkei notorisch klamm an Devisen ist, wirbt er seit langem dafür, Geschäfte in den Landeswährungen abzuwickeln.

Waffen oder nicht?

Dass er allerdings so weit gehen würde, Russland auch Waffen zu verkaufen, darf bezweifelt werden. In türkischen Medien ist keine Rede davon, und auch russische Beobachter sagten nach dem Treffen in Sotschi, über den Verkauf von Kampfdrohnen sei nicht geredet worden.

Erdoğans eigentliches Motiv für das erneute persönliche Treffen mit Putin ist aber die Situation in Syrien. Erdoğan will die kurdischen Milizen in einem 30 Kilometer langen Korridor von der türkischen Grenze aus vertreiben. Seit Herbst 2016 hat die türkische Armee gemeinsam mit syrischen Hilfstruppen bereits dreimal in Nordsyrien interveniert, immer mit dem Ziel, die mit der türkisch-kurdischen PKK verbündete syrische YPG aus dem Grenzgebiet zu vertreiben. Ein neuerlicher Angriff in Syrien, der letztlich auch Raum für die Ansiedlung syrischer Flüchtlinge schaffen soll, ist als Stimmungsmacher vor den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr fest eingeplant.

Erdoğans Umfragewerte sind so tief im Keller wie nie zuvor in seiner jetzt 20 Jahre währenden Regierungszeit, ein Angriff in Syrien würde seine Beliebtheit wieder steigern. Doch dafür braucht er die Zustimmung Putins, dessen Luftwaffe die Region beherrscht und der mit Bashar al-Assad eng verbündet ist.

Bei dem letzten Treffen vor drei Wochen in Teheran hatten Putin und sein iranischer Kollege Ebrahim Raisi eine neue militärische Operation der Türkei in Syrien noch abgelehnt, Erdoğan will das aber nicht akzeptieren. Er beruft sich auf Selbstverteidigung gegen die Terrorgefahr, die angeblich von den Kurden ausgeht. In der Abschlusserklärung nach dem Treffen in Sotschi steht, beide Seiten hätten vereinbart, gemeinsam gegen den Terror vorzugehen. Was das konkret heißt, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 7.8.2022)