Über mehr als ein Jahrzehnt hat sich Serhij Leschtschenko den Auswüchsen der Korruption in der Ukraine gewidmet. Er war es, der als Investigativjournalist der Ukrainska Prawda die Fäden verfolgte, die in der Residenz des damaligen Präsidenten der Ukraine, Wiktor Janukowytsch, zusammenliefen: in Meschyhirja, einem palastartigen Landhaus nördlich von Kiew inklusive Tiergarten. Heute ist Leschtschenko einer der Architekten der Kommunikation des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dessen Berater in Informationsfragen und für die Bekämpfung von Fake News. Selenskyjs Ansprache beim Musikfestival in Glastonbury war zum Beispiel seine Idee.

Es ist eine Strategie, die nicht unumstritten ist. Manche nennen sie eine Show. Andere inhaltslos. Andere sehen sie als eigentlichen Inhalt von Selenskyjs Politik und als Fortsetzung seiner TV-Karriere, andere orten auch autoritäre Züge.

"Irgendwann", sagt Leschtschenko, "sei klar gewesen, dass prorussische TV-Kanäle in der Ukraine ein direktes Werkzeug des Kreml sind." Wenn ein Kanal kein Wirtschaftsmodell habe und nichts anderes tue, als russische Narrative und Falschmeldungen in die Öffentlichkeit zu pushen, dann sei das offensichtlich. Das Medienimperium des Oligarchen und Putin-Freundes Wiktor Medwedtschuk etwa war ein solches.

Kommunikationspolitik ist eine Gratwanderung in Kriegszeiten. Da sind Oligarchen mit ihren Sendern, Sender, die einmal Oligarchen gehört haben, staatliche Medien, Private in ganz unterschiedlichen Qualitäten, Formaten und Reichweiten von lokal bis landesweit.

Neue, kritische Medien

Die Maidan-Revolution wiederum war die Geburtsstunde einer ganzen Reihe an neuen, kritischen, liberalen Medien. Zudem sollten die Medien in Staatseigentum (zwei nationale TV-Kanäle, 24 regionale TV-Kanäle, vier Radiostationen) nach dem Umsturz in einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk umgewandelt werden, frei von politischer Beeinflussung. Auf dem Papier ist diese Reform fix. Die Widerstände waren dann allerdings gewaltig. Die Reform steckt. Und letztlich waren es dann vor allem Maidan-Medienprojekte wie Espreso TV oder Hromadske TV, die sich mit ausgeglichenem Qualitätsjournalismus hervortaten.

Am Glastonbury-Festival sprach Wolodymyr Selenskyj per Videoschaltung zu Musikbegeisterten und wurde freundlich empfangen. Neben Ansprachen vor nationalen Parlamenten tritt er auch bei popkulturellen Veranstaltungen auf.
Foto: AP/Scott Garfitt

Entsprechend überraschend war es, dass auch Espreso TV unter die zuletzt bedrängten Medien geriet. Es sendet seither über das Internet. Verboten wurde es nicht.

"Journalismus ist eine Profession der Extreme – die Mission von Journalisten und Medien lässt sich vergleichen mit der von Ärzten oder Spezialkommandos." Das sagt Witaly Portnikow, Anchorman bei Espreso TV. Zugleich sagt Portnikow aber auch, dass nicht das Kriegsrecht oder damit womöglich einhergehende Beschränkungen in der Berichterstattung das größte Problem für die Medienvielfalt seien, sondern der einbrechende Anzeigenmarkt – und damit die finanzielle Basis für private Medienunternehmen.

Freilich: Einschränkungen, über die genauen Positionen von Einschlägen oder Treffern zu berichten, die gibt es. Das Gleiche gilt für Details über militärische Positionen sowie Pläne. Aber sonst wirkt sich der Krieg auf journalistische Freiheiten kaum aus, berichten Redakteure. Generell und vor allem auch an Kontrollposten und unter Militärs herrscht eine durchgehend positive Stimmung Journalistinnen und deren Arbeit gegenüber – auch wenn es vonseiten der Regierung Versuche gab, alle TV-Stationen in einem Sendeverbund zusammenzufassen, um die Berichterstattung zu bündeln. Diesem Vorschlag schlossen sich allerdings viele Private nicht oder nur zum Teil an.

Medien waren immer eine der Frontlinien im russisch-ukrainischen Konflikt. Als Russland 2014 die Krim annektierte und im Osten des Landes lokale Vorbehalte gegenüber der neuen Regierung in Kiew befeuerte, wurde der vorläufige Höhepunkt einer bereits seit Jahren laufenden Medienkampagne erreicht. Eine Kampagne, die nach einem gewissen Schema abläuft, wie Leschtschenko sagt.

Mittel zum Zweck

Es sind immer dieselben Bilder, dieselben Argumentationsstränge: 2014 war es die Geschichte des "von Ukrainern gekreuzigten Buben". Später waren es frei erfundene Massaker an Russen. Schließlich gab es eine ganze Serie an Berichten über angebliche US-amerikanische Bio-Labore in der Ukraine, in denen Gen-Experimente an Menschen durchgeführt würden – gipfelnd in den Aussagen russischer Politiker, wonach ukrainische Soldaten mit Superdrogen zu Kampfmaschinen gemacht würden. In Summe: Faktenfreie Erzählungen ohne jeglichen Bezug zu Tatsachen. Information, das ist eine Waffe – zum Aufbereiten eines Schlachtfelds.

Selenskyj im portugiesischen Parlament.
Foto: EPA/MIGUEL A. LOPES

Dass er selbst Propaganda betreibe, will Leschtschenko nicht auf sich sitzen lassen: "Wir verbreiten keine Falschmeldungen, wir säen keinen Hass und keine Aggression", sagt er. Aber dass "Simplifizierung" und "Instagramisierung" ein Teil davon sind, leugnet er gar nicht. Es gehe darum, die Aufmerksamkeit am Leben zu erhalten und die Ukraine auf die Landkarte zu bringen.

PR-Berater wie Leschtschenko pushen das Bild der "mutigen" Ukraine mit Selenskyj als starkem Zugpferd einer ganzen Nation. Ein Bild, das man auch umkehren könnte: Selenskyj als Präsident, der getrieben wird von der öffentlichen Meinung, der er entsprechen muss.

Denn für Portnikow wie für viele Ukrainer ist Selenskyj nicht mehr als der sechste Präsident der Ukraine. Und er sagt: "Wenn die Ukraine diesen Krieg gewinnt, dann wird es einen siebenten, einen achten Präsidenten der Ukraine geben."

Worum es jetzt gehe, seien die Effizienz der Armee und Hilfe ausländischer Partner. "Wenn Selenskyjs PR dazu beiträgt, diese Hilfe zu bekommen, dann soll es mir recht sein", sagt Portnikow. "Denn wenn wir diesen Krieg verlieren, wird Selenskyj der letzte Präsident der Ukraine gewesen sein." (Stefan Schocher, 8.8.2022)