Reinhard Fitz von Doppelmayr sieht die Zukunft von Seilbahnen auch im öffentlichen Personenverkehr.

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"Vorsicht bitte, Gondel fährt ein." Diese Ansage könnte auch in österreichischen Städten zum Pendleralltag werden – denn Seilbahnlösungen für den öffentlichen Personennahverkehr liegen im Trend. Nirgends weiß man das besser als in Vorarlberg. Dort hat mit Doppelmayr der Weltmarktführer für Seilbahntechnologie seinen Firmensitz in Wolfurt. Anteilsmäßig 20 Prozent des jährlichen Umsatzes von zuletzt 763 Millionen Euro erwirtschaftet das Unternehmen bereits mit sogenannten urbanen Lösungen. "Tendenz steigend", wie Reinhard Fitz, Head of International Business Development bei Doppelmayr, betont.

Seilbahnzentrum Wolfurt

Hier in Wolfurt dreht sich alles um Seilbahnen. Schon auf dem Weg zur Firmenzentrale passiert man inmitten des Industriegebietes eine Liftstation, die zwischen Lagerhallen und Produktionsstätten steht. Diese Anlage beweist im Dauertest die Widerstandsfähigkeit der Technologie. Genau so – oder zumindest so ähnlich – sehen urbane Seilbahnlösungen für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) aus, die weltweit schon vielerorts realisiert wurden.

Gerade ein Industrieviertel sowie urbane Zentren eignen sich hervorragend für ein solches Projekt, erklärt Fitz. Wenn es darum geht, tausende Menschen möglichst schnell und unbeeinflusst vom sonstigen Verkehr von A nach B zu transportieren, haben Seilbahnen erhebliche Vorteile gegenüber herkömmlichen straßen- oder schienengebundenen Transportmitteln. "Staus machen uns nichts aus, ebenso wenig sind wir an Fahrpläne gebunden, weil Umlaufseilbahnen sogenannte Stetigförderer sind. Die Gondeln fahren im Kreis", zählt Fitz die Vorteile auf.

Lateinamerika als Vorbild

Verkehrsplanung war hierzulande seit jeher eine bodengebundene. Standen in den 1960ern die Autos im Mittelpunkt, waren es in den 1970ern wegen der Ölkrise die Schienenfahrzeuge. "Die dritte Dimension, die Luft, die brachten erstmals wir Seilbahner ins Spiel", sagt Fitz. Die erste Stadtseilbahn, die als Öffi und nicht allein zur Touristenbeförderung dient, haben die Vorarlberger in den 1990ern im nordafrikanischen Algerien gebaut. Kurz darauf entdeckte man in Lateinamerika Gondeln als ÖPNV-Lösung. Aufgrund der flexiblen Gestaltung und der überschaubaren Budgets im Vergleich zu anderen Verkehrslösungen. Anfang der 2000er-Jahre erlebte die Branche dort einen regelrechten Boom.

Doppelmayr hat eines seiner urbanen Vorzeigeprojekte in La Paz in Bolivien umgesetzt. "Wie ein Spinnennetz" durchziehen dort mittlerweile zehn Seilbahnlinien die Stadt. Zu Spitzenzeiten können damit bis zu 600.000 Menschen pro Tag transportiert werden. "Barrierefrei, zuverlässig und unbeeinflusst vom Verkehrsgeschehen am Boden", erklärt Fitz. Auf manchen Strecken im gebirgigen La Paz hat sich die Fahrtzeit durch die Seilbahn von zuvor zwei Stunden auf nunmehr 20 Minuten verkürzt.

Paris als Leuchtturm

In Europa bauen die Vorarlberger aktuell in Paris ein "Leuchtturmprojekt", das womöglich den Anstoß zu mehr derartigen Transportlösungen geben könnte. Im Großraum der französischen Hauptstadt werden zwei Außenbezirke mittels Seilbahn an das bestehende Metronetz angebunden. 2025 soll die Anlage, die sich im Vergleich zu anderen Transportmitteln klar durchgesetzt hat, in Betrieb gehen.

Für Fitz liegen die Vorteile auf der Hand, wie er erklärt: "Seilbahnen haben keine bauliche Trennwirkung wie etwa Straßen oder Schienen, wir fahren sozusagen einfach drüber hinweg." Aufgrund der angebotenen Fläche in den Stationen bietet sich dort Platz für Photovoltaikanlagen, wodurch erneuerbare Energie erzeugt werden kann, obgleich der Energieverbrauch der Seilbahn sehr gering ist. Seilbahnen werden elektrisch angetrieben und verursachen daher keine Emissionen. Und auch bei den Errichtungskosten liege man mit einem Zehntel von jenen einer U-Bahn sowie einem Drittel jener einer Straßenbahn klar voran.

Und Österreich?

Trotz all dieser Argumente für Seilbahnen will Fitz nicht verraten, in welchen österreichischen Städten derzeit Gespräche über den Bau solcher Anlagen, die als Öffis genutzt werden sollen, laufen. Nur so viel: "Sie wären überrascht, wo das überall Thema ist." Ob Seilbahnen hierzulande ein Imageproblem haben? Fitz verneint. Die heftigen Diskussionen, die Seilbahnpläne jedoch in jüngerer Vergangenheit in Graz, Wien und Innsbruck ausgelöst haben, zeugen davon, dass sie als ÖPNV-Lösungen hierzulande noch kaum in Betracht gezogen werden.

Dabei wären die Voraussetzungen zum Einsatz von Seilbahnen im ÖPNV geradezu ideal. Technisch sind diese Systeme seit über 100 Jahren in der Praxis erprobt und haben sich dabei bewährt. Und diese Technik wird stets weiterentwickelt – aktuell arbeitet man an Rekuperation durch Tallast. Selbst der rechtliche Aspekt wäre insofern geregelt, als Seilbahnen durch die öffentliche Hand bezuschussbar sind, wenn sie im ÖPNV zum Einsatz kommen. Denn dann gelten für sie dieselben Bestimmungen wie etwa für Straßen- oder Eisenbahnen. (Steffen Arora, 8.8.2022)