An der Grenze zwischen Serbien und Kroatien wurde im April eine Frau festgenommen, nach der die österreichische Polizei wegen Beteiligung an einer Einbruchsserie suchte. Es war wohl die falsche, wie sich in der Verhandlung herausstellte.

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Wien – Seit knapp vier Monaten sitzt Laura R. schon hinter Gittern, als die 29-Jährige von den Justizwachebeamten vor das Schöffengericht unter Vorsitz von Christian Noe geführt wird. Sie soll im Jahr 2019 Serieneinbrechern, die in Niederösterreich und der Steiermark über 30 Delikte mit einer Beute von fast 230.000 Euro begingen, ein Auto zur Verfügung gestellt haben – deshalb drohen auch ihr als Beitragstäterin nun bis zu fünf Jahre Gefängnis.

Der Ankläger, der im Saal die von der Staatsanwaltschaft Korneuburg erstellte Anklage vertritt, ist überzeugt, die Vorwürfe belegen zu können. Es gebe technische Hinweise, Zeugen und Mittäter, die die Angeklagte belasten würden. Außerdem wurde ein bei der Autozulassung verwendeter Reisepass sichergestellt – und der gehöre R., was diese auch zugibt. Die von Peter Philipp vertretene Mutter zweier kleiner Kinder bekennt sich dennoch nicht schuldig – das amtliche Reisedokument sei zwar ihres, aber alt, sagt sie.

Schwierige Namensfrage

Interessanterweise ist der Pass auf eine Barbara J. ausgestellt. Die Namensfrage zehrt bereits zu Beginn der Verhandlung an den Nerven von Vorsitzendem Noe. "Wie lange haben Sie Barbara J. geheißen?", will er von der unbescholtenen Serbin wissen. "Bis 2016. Dann habe ich meinen Mann geheiratet", antwortet die Frau, die nach eigenen Angaben nie eine Schule besucht hat. "Da wechselt man gemeinhin nur seinen Nachnamen", spielt Noe seinen persönlichen Erfahrungsschatz aus.

Die Angeklagte versteht nicht, was er meint, irgendwann stellt sich heraus, dass es, warum auch immer, zwei Namenswechsel gegeben hat: von Barbara J. auf Laura J. zu Laura R. nach der Eheschließung. "Haben wir das geklärt. Ist ja flott gegangen", freut sich der Vorsitzende. R. sagt, sie habe ihren alten Pass nach der Eheschließung zur Polizei in Serbien gebracht, die habe ihr ein neues Dokument ausgestellt, was mit dem alten passiert ist, weiß sie nicht. Soweit sie sich erinnere, habe den die Polizei behalten.

Weder Autoanmelderin noch Pflegekraft

Die Anklagevorwürfe, sie habe sich als Barbara J. zum Schein in einer Wohnung in Wien-Favoriten angemeldet, um für gleich sieben Autos eine Zulassung in Österreich zu bekommen, bestreitet sie. Ebenso, irgendeinen der ausgeforschten Einbrecherinnen und Einbrecher zu kennen, die einen dieser sieben Wagen bei ihren Touren in Österreich verwendet haben. "Ich war noch nie in Österreich", lässt sie übersetzen. "Waren Sie einmal 24-Stunden-Pflegerin?", stellt Noe eine Frage, deren Bedeutung erst später klar wird. "Nein, niemals." Sie verdiene in Serbien im Monat zwischen 800 und 1.000 Euro, indem sie im Internet Dinge ein- und verkaufe, beteuert die Angeklagte. Aber ihren alten Pass habe sie sicher nie hergegeben.

Den hat die Polizei allerdings sichergestellt. Ein 77-jähriger Wiener hatte angezeigt, dass seine Pflegerin sich von ihm 200 Euro ausgeborgt habe, den Barbara-J.-Pass als Sicherheit hinterlassen habe und dann verschwunden sei. Auf einem Foto habe er die Angeklagte zweifelsfrei identifiziert. So steht es zumindest in den Ermittlungsakten der Polizei und der Anklage. Wie diese Aussage zustande kam, bleibt schleierhaft.

Interessante Ermittlungsarbeit

Denn nachdem der Pensionist im Rollstuhl von seinem Pfleger in den Verhandlungssaal geschoben worden ist, stellt der Zeuge die Sache völlig anders dar. "Haben Sie die Angeklagte schon einmal gesehen?", fragt der Vorsitzende zunächst. "Nein." – "Sind Sie sich sicher?" – "Ja, ich bin sicher", entgegnet der 77-Jährige. Die ganze Geschichte sei eine völlig andere: Nicht seine Pflegerin, sondern eine weibliche Stimme am Telefon habe zunächst gesagt, sie benötige 200 Euro, um eine Erbschaft in Serbien zu erhalten.

Ein Taxifahrer sei vorbeigekommen, habe das Geld in Empfang genommen und im Gegenzug den Pass als Sicherheit abgegeben. Danach habe er weitere 800 Euro gezahlt, stets an den Taxifahrer. "Erst danach bin ich draufgekommen, dass die Frau ohne Pass ja gar nicht nach Serbien fahren kann. Aber sie hat mit leidgetan", gibt das Betrugsopfer sich selbstkritisch. Als einmal Polizisten vorbeikamen und ihm Fotos der Angeklagten zeigten, habe er lediglich bestätigt, dass das die Frau vom Passfoto sei, persönlich habe er sie nie getroffen.

Geheimnisvolle Diskrepanzen im Akt

Überraschend ist auch die Aussage eines Abteilungsinspektors des Landeskriminalamts Niederösterreich, der die Ermittlungen gegen die Serieneinbrecher leitete. Er sagt nämlich, dass von den festgenommenen und verurteilten Tätern niemand R. als Autobereitstellerin identifiziert habe. "Im Akt steht, dass die Mittäter sie belasten", ist Noe verwirrt. Der Polizist verneint das zur Zufriedenheit von Verteidiger Philipp. Auch von den vom Staatsanwalt angesprochenen technischen Mitteln, die die Beteiligung der 29-Jährigen angeblich belegen sollen, weiß der Beamte nichts.

Er berichtet auch, dass bei einem Besuch an der Meldeadresse von "Barbara J." eine dortige Bewohnerin sagte, es habe eine Frau mit diesem Namen gegeben, das sei aber nicht die Angeklagte gewesen. Die Tätergruppe beschreibt er als "sehr professionell", man sei ihnen nur durch mühevolle kriminalistische Kleinarbeit auf die Spur gekommen. Auch zwei der bereits verurteilten Einbrecher, die als Zeugen aus der Strafhaft vorgeführt werden, sind erstaunt, als Noe sie fragt, ob sie die Angeklagte kennen. Tun sie nämlich nicht.

"Ich möchte zu meinen Kindern zurück"

"Ich bin nicht diese Person, die Sie suchen, und ich möchte zu meinen Kindern zurück", schluchzt in ihrem Schlusswort die Angeklagte, die aufgrund eines heimischen Haftbefehls am 18. April bei der Reise von Serbien nach Kroatien an der Grenze festgenommen wurde. Auch ihre Eltern im Zuseherraum sind emotional mitgenommen.

Rund zehn Minuten müssen sie warten, bis der Senat R. nicht rechtskräftig freispricht und ihre Enthaftung anordnet. "Es gibt keine konkrete Belastung, dass tatsächlich Sie das Auto angemeldet oder verborgt haben", begründet der Vorsitzende die Entscheidung. "Es wurde zwar Ihr Pass und Ihr alter Name verwendet, aber die Möglichkeit, dass die Täter auf einem anderen Weg zu dem Dokument gekommen sind, kann man nicht ausschließen." Auch Noe hält offenbar einen Identitätsdiebstahl für plausibel. "Es erscheint unwahrscheinlich, dass eine Gruppe laut Ermittler sehr professionell agiert und Sie dann Ihren echten Pass verwenden, noch dazu, wenn der dann auch bei einem Betrug eingesetzt wird."

"Kann ich meinen Vater umarmen?", fragt die 29-Jährige den Tränen nahe, nachdem ihr das Urteil übersetzt worden ist. "Draußen!", mahnt ihr Verteidiger, ehe die Familie den Saal verlässt. (Michael Möseneder, 8.8.2022)