Die vergangenen Tage waren nicht die schlechtesten im Leben von US-Präsident Joe Biden.

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Ist das der Wendepunkt? Seit Monaten kennen die Umfragewerte von Joe Biden nur eine Richtung – nach unten. Zu alt sei der 79-Jährige für das Präsidentenamt und erst recht für eine erneute Kandidatur, wurde in Washington immer lauter geunkt. Der Mann habe die Polarisierung des politischen Geschäfts unterschätzt, monierten viele Demokraten. Er sei senil und eigentlich nicht mehr zurechnungsfähig, diffamierten die Republikaner den Oberkommandierenden im Weißen Haus.

Doch plötzlich sieht die Welt anders aus. Ausgerechnet während seiner Corona-Erkrankung hat Biden gerade eine beispiellose politische Erfolgsstrecke hingelegt: Mit Unterstützung von Republikanern brachte er ein milliardenschweres Paket zur Förderung der heimischen Chip-Fertigung durch den Kongress. Die Tötung von Al-Kaida-Führer Ayman al-Zawahiri markierte einen kraftvollen Schlag gegen das Terrornetzwerk. Und jüngste Konjunkturzahlen zeigen, dass sich der amerikanische Arbeitsmarkt von den Einbrüchen der Corona-Pandemie vollständig erholt hat.

Konzerne müssen zahlen

Den größten Coup aber konnte Biden am Sonntag landen: Wenige Stunden, nachdem der Präsident seine Covid-Infektion endgültig überwunden hatte, verabschiedete der Senat ein 700 Milliarden Dollar umfassendes Klima-, Steuer- und Sozialpaket, das unter anderem Solar- und Windkraft massiv fördert, große Konzerne endlich finanziell mit zur Verantwortung zieht und die Arzneipreise deutlich senken könnte.

Zwar ist das nur ein Bruchteil dessen, was der Präsident ursprünglich mit seinem bombastischen "Build back better"-Plan angekündigt hatte. Zur Wahrheit gehört aber, dass das Klima- und Sozialpaket seit längerem politisch mausetot war – gescheitert an einer Totalblockade der Republikaner, dem Widerstand mehrerer Abweichler in den eigenen Reihen und dem veränderten wirtschaftlichen Umfeld seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Noch vor zwei Wochen schien der Gedanke einer Wiederbelebung des gescheiterten Projekts abwegig.

Hoher Preis für Kompromiss

Doch nun liegt ein respektables Paragrafenwerk vor, das die größten Klimaschutz-Investitionen in der amerikanischen Geschichte beinhaltet. Ja, der Preis, den der demokratische Senats-Mehrheitsführer Chuck Schumer für den Kompromiss mit den innerparteilichen Abweichlern zahlen musste, ist hoch: Es wird keine bezahlte Elternzeit und keine Krankenversicherung für alle geben, und die Steuerbestimmungen wurden mit unschönen Ausnahmen durchlöchert.

Das hat der linke Senator Bernie Sanders noch einmal demonstrativ angeprangert, als er das ursprüngliche Wunschprogramm zur Abstimmung stellte. Der Unterschied: Sanders erhielt eine einzige Stimme. Für den Kompromiss aber votierten 51 der 100 Senatoren, und die Verabschiedung durch das Repräsentantenhaus am Freitag gilt als sicher. Politik ist eben die Kunst des Möglichen.

Ein bisschen Hoffnung

"Ich fühle mich gut", sagte ein strahlender Joe Biden, als er am Sonntag nach 18 Tagen seine Corona-Isolation beendete. Ausnahmsweise darf man diese Floskel für bare Münze nehmen. Nachdem die Präsidentschaft monatelang dahinplätscherte und scheinbar unausweichlich auf den Verlust der demokratischen Kongressmehrheit im Herbst zuzutreiben schien, blitzt erstmals die Hoffnung auf eine Umkehr des Abwärtstrends auf.

Dass es den Demokraten bei den Zwischenwahlen tatsächlich gelingt, den rechten Trump-Demagogen Paroli zu bieten, ist keineswegs sicher. Viel hängt von der Inflation bis zum China-Konflikt auch von Faktoren ab, die sie nur sehr bedingt beeinflussen können. Aber ein wichtiger Anfang ist gemacht. Und für alle Zweifler, Skeptiker und Zyniker wurde der Beweis erbracht, dass es eben nicht egal ist, wer in Washington das Sagen hat. (Karl Doemens, 8.8.2022)