Im historischen Rückblick könnte sich der Blitzbesuch von Nancy Pelosi, der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, in Taiwan als der verhängnisvollste Fehlschlag der Biden-Administration mit weltweiten Konsequenzen entpuppen.

US-Präsident Joe Biden konnte oder wollte die sinnlose Provokation trotz unmissverständlicher Warnungen (nicht nur) aus Peking nicht verhindern. Das beispiellose Ausmaß der chinesischen Militärmanöver um den Inselstaat, erstmals mit über Taiwan hinweggeschossenen Raketen, bestätigt die frühere Mahnung des bedeutenden Publizisten Thomas L. Friedman in der New York Times: "Pelosis Reise ist vollkommen rücksichtslos, gefährlich und unverantwortlich mit großen und unübersehbaren Konsequenzen."

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping und der russische Präsident Wladimir Putin.
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Die 82-jährige dritthöchste Repräsentantin der USA (nach dem Präsidenten und der Vizepräsidentin) hatte, aus welchem persönlichen Beweggrund auch immer, eine neue bedrohliche Krise vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und vor der nuklearen Bedrohung durch Iran und Nordkorea ausgelöst. Der chinesische Staatspräsident, Xi Jinping, der sich im Herbst zum dritten Mal zum Parteichef wählen lassen will, antwortet mit dem potenziell brandgefährlichen Abbruch jedes Dialogs mit den USA, auch über militärische Handlungen.

Angesichts der unüberlegten "Null-Covid-Politik" und den dadurch erfolgten wirtschaftlichen Rückschlägen setzt der 69-jährige Xi Jinping mehr denn je auf die nationalistische Karte mit dem Schlagwort der "Wiedervereinigung des Vaterlandes", also der gewaltsamen Eroberung Taiwans. Wie im Falle Hongkongs würde dies das Ende der auch wirtschaftlich erfolgreichen Demokratie bedeuten.

Strategische Partnerschaft

Abgesehen von der Gefahr einer durch Vermittlungsfehler oder Missverständnisse verursachten militärischen Konfliktsituation zwischen den USA und China darf man auch die Bedeutung der persönlichen und strategischen Partnerschaft zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping nicht übersehen. Von einem in Washington früher erhofften mäßigenden Einfluss Pekings auf den russischen Diktator nach seiner folgenschweren Fehlkalkulation im Ukraine-Krieg kann keine Rede sein.

Die angespannte Wirtschaftslage bringt in beiden autokratisch regierten Ländern enorme soziale Sprengkraft. Seit seinem Amtsantritt und vor allem als Folge seiner dogmatischen "Null-Covid-Politik" ist das durch die Reformpolitik Deng Xiaopings ausgelöste rasante Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auch in China praktisch vorbei. Zwischen März und Juni wuchs das BIP im Jahresvergleich bloß um 0,4 Prozent. Es droht eine Rezession und massive Jugendarbeitslosigkeit. Fast jeder fünfte Chinese zwischen 16 und 24 Jahren hat derzeit kein Einkommen.

Der als China-Kenner geltende Ex-Ministerpräsident Australiens, Kevin Rudd, warnt vor einem neuen chinesischen Nationalismus und stellt fest: "Wenn es um Taiwan geht, ist Xi ein Mann in Eile." Das Vabanquespiel Putins in der Ukraine und die um Taiwan von Xi aufgebaute militärische Drohkulisse zeigen die besondere Gefährlichkeit der Autokraten, deren Macht durch die Kluft zwischen ihren Ambitionen und den wirtschaftlichen Realitäten gefährdet wird. (Paul Lendvai, 9.8.2022)