Den Letten kennen Sie vielleicht vom Schönbrunner Sommernachtskonzert: Andris Nelsons ist einer der meistgefragten Dirigenten der Gegenwart und regelmäßig bei den Philharmonikern.

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Grad erst im Juni hat er das Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker vor Schloss Schönbrunn dirigiert. Dirigent Andris Nelsons hat dabei musikalisch Europa bereist, inklusive der Ukraine anhand einer Komposition von Mykola Lysenko.

Auch sonst reist Nelsons viel, man braucht ihn quasi überall. Sein Zugang selbst zu bekannten Werken ist meist ein Ohrenfeger, ein Augenöffner. Eigenwillig und gar nicht alltäglich etwa eines der jüngeren CD-Projekte: "Seine" beiden Orchester, das Gewandhausorchester Leipzig und das Boston Symphony Orchestra, veröffentlichten gemeinsam eine Sieben-CD-Box mit den Orchesterwerken von Richard Strauss.

Andris Nelsons, der seine Karriere als Trompeter im Orchester der Lettischen Nationaloper begann und übrigens auch schon Chef beim City of Birmingham Symphony Orchestra war, pflegt auch ein gutes Verhältnis zu den Wiener Philharmonikern. 2020 durfte er das Neujahrskonzert dirigieren.

Und nun am Sonntag also die Wiener Philharmoniker und Andris Nelsons mit Werken von Gustav Mahler und Bela Bartók bei den Salzburger Festspielen im Großen Festspielhaus: Die Symphonie Nr. 5 cis-Moll von Meister Mahler, die ganz besonders coole mit dem monumentalen Trauermarsch, dem beinah irrsinnigen Scherzo und dem überirdischen Adagietto: Das Herz geht einem jedes Mal über – mit den ersten Tönen.

Der Rattenfänger

Man hat wohl einiges davon, besonders im ersten und im zweiten Satz, weniger episodisch und mehr aus einem Guss erlebt. Aber spätestens mit dem aberwitzigen Scherzo hat der Rattenfänger am Pult sein Gefolge im Griff.

Der Jubel im Festspielhaus ließ die Wände wackeln und die eh schon auf Schiene befindliche Renovierung noch ein wenig dringlicher erscheinen lassen ...

Der beinah noch größere Klassikhit wurde zuvor von und mit Pianist Yefim Bronfman gezündet: Voll Energie, Power und Drive vom ersten Ton an fetzte die wilde Jagd durch Béla Bartóks Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 G-Dur Sz 95. Das klingt zwar quasi "klassisch", ist aber nicht nur eines der schwersten, für den Solisten nämlich, Klavierkonzerte des Repertoires, sondern für die Zuhörer auch eines der mitreißendsten.

Und so kam es: Voll der überraschendsten musikalischen, rhythmischen und agogischen Extreme war die Interpretation. Gerne würde man nach diesem musikalischen "Naturereignis" den Werktitel erweitern und künftig als "Konzert mit dem Wumms für Klavier, Pauke und Orchester" firmieren lassen: Chapeau für alle, Nelsons, die Wiener, Bronfman und den philharmonischen Paukenspieler. (Heidemarie Klabacher, 8.8.2022)