Diese versteinerten Röhrchen entstanden durch Mikroben, die vor bis zu vier Milliarden Jahren an heißen vulkanischen Quellen der Tiefsee lebten.
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Über lange Episoden der Erdgeschichte waren die Atmosphäre und die Meere sauerstoffarm. Heute dagegen besteht die Gashülle der Erde zu über einem Fünftel aus Sauerstoff. Dieser Sauerstoffreichtum stammt von Bakterien, die vor dreieinhalb Milliarden Jahren einen biochemischen Trick entwickelten: die Photosynthese.

Frühe Cyanobakterien entwickelten diesen Mechanismus, der es ihnen erlaubte, aus Kohlenstoffdioxid und Sonnenlicht Energie zu gewinnen. Beides war vor dreieinhalb Milliarden Jahren auf der Erde reichlich vorhanden – die Bakterien vermehrten sich fröhlich. Als Abfallprodukt der Photosynthese entsteht Sauerstoff, den die Bakterien in großen Mengen freisetzen.

Der so stark angestiegene Sauerstoffgehalt lenkte die Evolution in neue Bahnen: Erst als sich in der nun sauerstoffreichen Umgebung aerobe Organismen entwickelten, die den Sauerstoff wieder wegatmeten, sank die Konzentration des Gases in der Atmosphäre wieder.

Sauerstoff durch Gesteine

Doch genetische Rekonstruktionen zeigen, dass bereits die ersten Organismen auf Erden Sauerstoff verstoffwechselt haben, lange bevor es Cyanobakterien gab. Das wirft die Frage auf, woher Luca, wie der letzte universelle gemeinsame Vorfahr der Lebewesen gemäß seiner englischen Abkürzung genannt wird, seinen Sauerstoff nahm.

Ein Forschungsteam rund um Jordan Stone von der Universität Newcastle könnte jetzt die Antwort gefunden haben: Wie es im Fachblatt "Nature Communications" berichtet, entsteht an Bruchflächen von Silikatgesteinen Wasserstoffperoxid, wenn sie in Kontakt mit heißem Wasser kommen. Zwar ist Wasserstoffperoxid, H2O2, in hoher Konzentration giftig, jedoch kann es Mikroben als Sauerstoffquelle dienen – so vielleicht auch Luca.

Werden Gesteine gespalten, brechen ebenfalls die chemischen Verbindungen auf, die die verschiedenen Minerale des Gesteins bilden. Diese chemischen Bruchstücke sind hochreaktiv. Kommt die Bruchfläche mit Wasser in Berührung, können verschiedene Reaktionen ablaufen. Doch entstehen dabei auch Sauerstoffverbindungen?

Um das zu klären, zertrümmerten die Forscherinnen und Forscher Gesteine, die es auch auf der frühen Erde gegeben hat: Granit, Basalt und Peridot. Die Bruchstücke vermengten sie dann mit Wasser bei verschiedenen Temperaturen, dem die Fachleute zuvor jeglichen gasförmigen Sauerstoff entzogen hatten. Wie sich zeigte, entsteht erst ab Wassertemperaturen nahe dem Siedepunkt Wasserstoffperoxid.

Solche "Schwarzen Raucher" stoßen extrem heißes Wasser aus, vermischt mit Mineralien. Leben könnte sich unter solchen Bedingungen entwickelt haben.
Foto: MARUM, Universität Bremen

Extreme Lebensräume

Hitze, Wasser und geborstene Gesteine: Diese Bedingungen waren in der Erdurzeit häufig. In tektonisch aktiven Gegenden erzeugte die Bewegung der Kontinentalplatten laufend Risse in der Erdkruste, der damit einhergehende unterseeische Vulkanismus sorgte für hohe Wassertemperaturen. Dass gerade unter solchen extremen Bedingungen Leben entstehen sollte, wirkt widersprüchlich.

Doch wie die Fachleute um Stone schreiben, deutet vieles darauf hin, dass Luca eine hyperthermophile Mikrobe war, also ein Kleinstlebewesen, das an extreme Hitze angepasst war. Solche Organismen gibt es noch heute: Sie bevölkern vulkanische Klüfte in der Tiefsee.

Auch Luca könnte die Wände heißer Spalten im Meeresboden besiedelt haben, wo er das Wasserstoffperoxid zum Überleben nutzte. Damit stand dem Leben eine Sauerstoffquelle zur Verfügung, die nicht auf Sonnenlicht angewiesen ist. Auch auf manchen Monden oder Exoplaneten dürften stellenweise ähnliche Bedingungen herrschen. In den vulkanischen Tiefen dunkler Ozeane, unter dicken Eispanzern gut verborgen, könnte dort Leben blühen. (Dorian Schiffer, 13.8.2022)