Der Kronzeugenstatus für Sabine Beinschab in der Causa Studien sorgt unter Juristen für Debatten, die Bruchlinien gehen auch durch die Anwaltschaft. Die Vizepräsidentin der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen, Alexia Stuefer, teilt die Kritik des Präsidenten der Interessenvertretung, Manfred Ainedter, nicht.

STANDARD: Der Präsident der Vereinigung Österreichischer StaatsanwältInnen, Manfred Ainedter, kritisiert den Kronzeugenstatus von Sabine Beinschab. Als Anwalt vertritt seine Kanzlei auch Beschuldigte in der Causa, was die Einordnung seiner Kritik erschwert. Sie sind Vizepräsidentin der Vereinigung: Hat er für die Interessenvertretung gesprochen oder als Anwalt?

Stuefer: Da liegt vielleicht ein Freud'scher Versprecher vor: Es geht um die Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen...

STANDARD: Oh, peinlich, natürlich ...

Stuefer: Freud wirkt immer. Das könnte ein guter Ansatzpunkt sein: Vielleicht hat auch bei dieser Stellungnahme das Unbewusstsein eine Rolle gespielt. Ich finde, dass es für alle Beteiligten wichtig ist zu wissen, in welcher Funktion jemand spricht. Die unterschiedlichen Wortmeldungen aus der Vereinigung zeigen, dass wir Pluralität leben und dass auch interne Kontrolle stattfindet.

Anwältin Alexia Stuefer, Vizepräsidentin der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen, fordert die Politik auf, in den Spiegel zu schauen. Was den "gegenwärtigen Zustand" der Justiz betrifft, ortet sie die Verantwortlichkeiten bei Politikern und ihren Beratern.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Inhaltlich wird der Kronzeugenstatus unterschiedlich gesehen, vor allem die Freiwilligkeit und Rechtzeitigkeit wird debattiert. Schließlich hatte es schon eine Hausdurchsuchung gegeben bei Frau Beinschab, und sie war vorübergehend festgenommen worden, bevor sie Kronzeugin wurde. Wie sehen Sie das?

Stuefer: Inhaltlich kann ich dazu nichts sagen, weil ich die Akten nicht kenne. Als engagierte Bürgerin habe ich keine Zweifel, dass das Rechtssystem funktioniert. Als Anwältin und Rechtswissenschafterin habe ich Vertrauen in die verfassungsmäßigen Organe, in diesem Fall in die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sowie die ihr übergeordneten Behörden, dass sie eine rechtlich haltbare Entscheidung getroffen haben. Auch das ist Aufgabe unserer Vereinigung: zu betonen, dass eine Institution eine Entscheidung gefällt hat und die zu akzeptieren ist. Auch das dient dem Vertrauen der Öffentlichkeit in den Rechtsstaat. Diejenigen, die diese Entscheidung nicht akzeptieren, etwa weil sie betroffen sind, sind natürlich berechtigt – und als Vertretung auch verpflichtet –, sich öffentlich zu Wort zu melden. Aber es sollte dann schon klar sein, wessen Lied gesungen wird.

STANDARD: Die gesetzliche Kronzeugenregelung passt so, wie sie ist?

Stuefer: Es liegt auf der Hand, dass die Kronzeugenregelung aus rechtsstaatlicher Sicht wünschenswert ist und dass es Kronzeuginnen und Kronzeugen gibt. Korruptives Verhalten kann fast nicht anders aufgeklärt werden als dadurch, dass sich eine Person entscheidet, ihr Wissen darüber preiszugeben.

STANDARD: Es gibt aber kaum Kronzeuginnen und Kronzeugen. Warum?

Stuefer: Das ist eine Frage der Rechtskultur. Die Kronzeugenregelung gibt es erst seit 2011, und Regelungen brauchen eine gewisse Zeit, bis sie durchschlagskräftig werden. Der Fall Beinschab könnte wirklich Signalwirkung haben für andere Personen – unabhängig davon, wie das Verfahren ausgeht. Je mehr sich Leute finden, die reinen Tisch machen, desto eher können die Institutionen zusammenspielen, und je eher kann Korruption aufgeklärt werden. Das ist nicht nur für den Rechtsstaat, sondern auch für den Wirtschaftsstandort Österreich sehr förderlich.

STANDARD: Die Justiz stand zuletzt immer wieder in der Kritik. Die ÖVP hat vor allem unter Sebastian Kurz die WKStA massiv attackiert, auch manche Anwälte schließen sich dem an. Untergräbt man so das Vertrauen in den Rechtsstaat und somit ihn selbst?

Stuefer: Die Vereinigung und alle Anwältinnen und Anwälte sind gefordert, Kritik zu üben, wenn es kritikwürdige Zustände gibt. Aber sie sind auch verpflichtet, sich – etwa im Fall von Justizbashing – vor die Justiz zu stellen. Etwa wenn Gerichtsurteile von politischer Seite zum offensichtlichen Zweck der Instrumentalisierung der Justiz desavouiert werden. Dann sind wir alle aufgefordert, die Justiz in Schutz zu nehmen, und zwar weil sie eine tragende Säule des Rechtsstaats ist.

Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Jänner 2020.
Foto: APA/Neubauer

STANDARD: Die Anwaltschaft steht viel seltener in der Kritik als die WKStA. Warum ist das so?

Stuefer: Das sehe ich anders. Denken Sie an die Akteneinsicht, da wird oft der unberechtigte Vorwurf erhoben, dass die Anwältinnen und Anwälte Akten weitergeben. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass es Leaks in der Polizei gibt. Die Medien haben Akte oft vor der Verteidigung.

STANDARD: Der Präsident der Wiener Anwaltskammer, Michael Enzinger, nannte die WKStA jüngst ein "unguided missile" und fordert ihre Auflösung und Zuteilung an die Oberstaatsanwaltschaften. Was sagen Sie dazu?

Stuefer: Ich kann das nicht nachvollziehen. Jede Staatsanwältin und jeder Staatsanwalt ist ein verfassungsmäßiges Organ, und ihre Bezeichnung als "unguided missile" ist entwertend. Man kann ja Kritik üben, aber sie sollte sachlich sein. Es ist zudem eine zutiefst ethische Angelegenheit in Tagen wie diesen, dass es eine Behörde gibt, die gegen Wirtschafts- und Korruptionsdelikte vorgeht. Es wäre also auch unethisch, die WKStA aufzulösen.

STANDARD: Kritisiert wird oft die Verfahrensdauer, Stichwort Buwog, wo es vom Ermittlungsbeginn bis zum nicht rechtskräftigen Urteil erster Instanz rund elf Jahre gedauert hat. Stimmen Sie dieser Kritik zu?

Stuefer: Bei überlangen Verfahren gibt es für Betroffene Rechtsmittel, die ergriffen werden können. Ohne Frage handelt es sich bei der Buwog um eine sehr lange Verfahrensdauer. Grundsätzlich liegen wir in Österreich im europäischen Vergleich sehr gut, lange Verfahren gibt es auch in anderen Ländern. Was mir bei der Justiz manchmal fehlt, ist die Sensibilität dafür, dass jeder Tag, den eine von einem Strafverfahren betroffene Person durchleben muss, ein schwieriger Tag ist. Das Zeitgefühl ist für Betroffene völlig anders als für jemanden, der oder die sich das Strafverfahren zum Beruf gemacht hat. Aber generell ist die Dauer von Strafverfahren in Österreich vorbildhaft, von einem systematischen Missstand kann nicht die Rede sein. Genau so wenig wie bei der WKStA, die eine junge Behörde ist und da und dort Verbesserungspotenzial hat.

Von den ersten Ermittlungsschritten bis zum erstinstanzlichen, nicht rechtskräftigen Urteil in der Causa Buwog dauerte es mehr als ein Jahrzehnt (im Bild: Karl-Heinz Grasser und Walter Meischberger).
Foto: APA/Helmuth Fohringer

STANDARD: Das Justizministerium verteidigt die WKStA gegenüber den politischen Angriffen nicht laut, oder haben Sie einen anderen Eindruck?

Stuefer: Ich halte eine sachliche Herangehensweise immer für die klügste. So betrachtet sehe ich bei der "Verteidigung" der WKStA durch das Ministerium keine Fehler. Sie lässt zwar etwas auf sich warten, aber sie ist bedacht und überlegt. So muss eine staatliche Institution agieren. Wenn es Verantwortlichkeiten für den gegenwärtigen Zustand gibt, dann bei der Politik und ihren Beratern. Die Politik sollte sich in den Spiegel schauen, sehr viel an angerichtetem Schaden geht von dort aus und von den Worten, die dort geboren sind, nicht hingegen von der Justiz, die ihre Arbeit macht.

STANDARD: Noch zu einem anderen Thema: Braucht es eine eigene Staatsanwaltschaft für Hass im Netz?

Stuefer: Nein, eine Sonderzuständigkeit ist nicht notwendig. Eher sollte vor allem die Polizei sensibilisiert werden und Personen, die sich an sie wenden, ernster nehmen. Das ist auch eine Frage der Ausbildung, und ich glaube, dass da junge Polizistinnen und Polizisten, die mit dem Internet aufwachsen, sowieso schon eine andere Sensibilisierung und technische Affinität haben. Ich bin guter Dinge, dass diese Art der Kriminalität gut in den Griff zu bekommen ist. Aber die Politik muss sich die Frage stellen, woher all der Hass kommt – statt Behörden wie der Polizei, für die sie letzten Endes selbst verantwortlich ist, die Schuld zu geben. (Renate Graber, 9.8.2022)