Die Erde, aus dem All betrachtet. Die Rotationsgeschwindigkeit unseres Planten um die eigene Achse hängt langfristig vor allem vom Mond, kurzfristig aber noch von vielen anderen Faktoren ab.

Imago/UIG

"Was soll denn das wieder?", haben Sie sich bei dieser Überschrift womöglich gefragt – oder gar schon "Klickköder" gedacht. Wenn bei uns auf der Nordhalbkugel der 21. Juni nachweislich der längste Tag des Jahres mit der kürzesten Nacht war, wie kann dann der 29. Juni der kürzeste Tag seit 50 Jahren gewesen sein? Ganz einfach: Hier geht es nicht um Sonnenauf- und -untergang, sondern um die Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenaufgang oder, besser, von Mitternacht bis Mitternacht.

Ein solcher normaler Erdentag dauert 24 Stunden beziehungsweise genau 86.400 Sekunden. Doch der 29. Juni dieses Jahres war um den Rekordwert von 1,59 Tausendstel- beziehungsweise Millisekunden kürzer als eigentlich angenommen. Damit war dieser Tag der kürzeste seit Beginn der genauen Messungen im Jahr 1962, als erstmals hochpräzise Atomuhren zur Anwendung kamen.

Die Erde rotiert langfristig langsamer

Dabei handelt es sich um einen doppelten Ausreißer. Denn sehr langfristig betrachtet werden die Tage auf der Erde ja immer länger. Drehen wir den Kalender um ein paar Milliarden Jahre zurück, dann dauerte damals ein Erdentag rund 19 Stunden. Schuld daran ist vor allem der Mond. Durch dessen Schwerkraft wird die Erde ganz leicht verzerrt, was zu einer sogenannten Gezeitenreibung führt, welche die Erdrotation immer weiter verlangsamt. Auf diese Weise sollte ein Erdentag pro Jahrhundert eigentlich 2,3 Millisekunden länger dauern.

Um unsere Uhren mit der sich ganz langsam einbremsenden Erdrotation in Einklang zu bringen, schlägt der Internationale Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (auch so etwas gibt es) dem Internationalen Büro für Maß und Gewicht in Paris deshalb seit 1972 immer wieder die Einfügung von Schaltsekunden vor, mit denen die Uhren für eine Sekunde angehalten werden, damit die Erde ihren Rückstand aufholen kann. Die erste zusätzliche Schaltsekunde wurde im Juni 1972 eingeführt, die bislang 27. und letzte zum Jahreswechsel 2016/17.

Während die Erde seit Beginn der genauen Messungen im Jahr 1962 kumulativ fast 30 Sekunden "verloren" hat, scheint sich dieser Trend in den letzten sieben Jahren aber umzudrehen. Wie der "Guardian" berichtet, verzeichnete die Erde im Jahr 2020 28 der kürzesten Tage der letzten 50 Jahre, wobei der kürzeste Tag am 19. Juli 1,47 Millisekunden einbüßte.

Abweichungen der Tageslänge vom Normtag seit Beginn der detaillierten Messungen.
Grafik: gemeinfrei/Wikipedia

Der auf dieser Grafik noch nicht verzeichnete Rekord vom 29. Juni 2022 wurde im vergangenen Monat beinahe wieder gebrochen. Der war aber nur um 1,5 Millisekunden kürzer. (Ein legendärer österreichischer Sportreporter hätte an dieser Stelle womöglich "um den Wimpernschlag einer Libelle" geschrieben, wobei im Wissenschaftsressort des STANDARD der odonatologischen Korrektheit wegen darauf hingewiesen werden muss, dass Libellen keine Wimpern besitzen.)

Gründe für die Verkürzung

Warum aber gibt es diese kürzeren Tage, wenn die Erdrotation sich doch ganz langsam abbremst? Kurzfristig betrachtet wird die Sache mit der Erdrotation relativ kompliziert. Das hängt damit zusammen, dass sich im Inneren der Erde ein geschmolzener Kern befindet, während ihre Oberfläche eine Masse aus sich verschiebenden Kontinenten ist, aus Ozeanen mit Ebbe und Flut sowie schwindenden Gletschern. Zudem ist der gesamte Planet in eine dünne Gasschicht gehüllt, und er schwankt leicht, während er sich um seine Achse dreht.

Das sind aber noch lange nicht alle Faktoren: Nach Angaben der Nasa können stärkere Winde in El-Niño-Jahren die Drehung des Planeten verlangsamen und den Tag um den Bruchteil einer Millisekunde verlängern. Erdbeben hingegen können den gegenteiligen Effekt haben. Das Erdbeben von 2004, das einen Tsunami im Indischen Ozean auslöste, verschob genug Gestein, um die Tageslänge um fast sieben Mikrosekunden (also 0,007 Millisekunden) zu verkürzen.

Wie eine Eiskunstläuferin

Etwas allgemeiner formuliert beschleunigt alles, was Masse in Richtung Erdmittelpunkt verschiebt, die Rotation des Planeten – so wie eine sich bei Pirouetten drehende Schlittschuhläuferin schneller wird, wenn sie ihre Arme anzieht. Schmelzen etwa die Gletscher, beschleunigt das die Erdrotation leicht. Geologische Aktivitäten hingegen, die Masse nach außen schieben, haben den gegenteiligen Effekt und verlangsamen die Drehung.

Welche Faktoren am 29. Juni und am 26. Juli zu welchen Anteilen den Ausschlag gaben, dass diese Tage besonders kurz waren, ist ebenso unklar wie der Grund für den Trend, dass die Tage seit 2015 mittelfristig kürzer wurden. Wenn sich dieser Trend fortsetzen sollte, dann ist fraglich, ob es – wie geplant – zum Jahreswechsel 2022/23 zur Einfügung einer weiteren Schaltsekunde kommen muss. Oder ob nicht irgendwann später eher eine Sekunde abgezogen werden sollte. (Klaus Taschwer, 9.8.2022)