Nehmt es, oder lasst es bleiben: Enrique Mora, der EU-Koordinator der Wiener Atomgespräche mit dem Iran, hat im 14. Monat nach Verhandlungsbeginn den Text eines neuen Abkommens vorgelegt, den er als final bezeichnet. Jetzt sind die "Hauptstädte" an der Reihe, um über Ja oder Nein zu entscheiden. Ob es in Teheran wirklich eingesickert ist, dass über den vorliegenden Text nicht mehr verhandelt werden kann, ist nach ersten Reaktionen zweifelhaft. Aber auch die – zu erwartende – Zustimmung aus den USA muss formell erst kommen.
Russland gehört, seit es in der Ukraine Krieg führt, zu den unsicheren Kantonisten, wird jedoch wahrscheinlich keinen Deal ablehnen, den der Iran akzeptieren würde. Auch wenn die Rückkehr von iranischem Öl auf die Märkte eine Preisentspannung bringen wird, die in Moskau nicht unbedingt erwünscht ist. Alle anderen – Großbritannien, Frankreich, Deutschland, China – sind dafür.
Auch im günstigen Fall, dass Teheran jetzt zugreift, steht ein langer Prozess bis zur Rückkehr zu dem Zustand, der mit dem Wiener Abkommen von 2015 erreicht werden sollte, bevor. Die USA können relativ leicht dem von Donald Trump 2018 verlassenen Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), wie das Abkommen offiziell heißt, wieder beitreten. Aber die Abfolge, was welche Seite wann tun muss, damit der JCPOA wieder als erfüllt gilt, ist kompliziert.
Das betrifft vor allem die Rückabwicklung der enormen technischen Schritte, die der Iran bei seinem Urananreicherungsprogramm seit 2019 in Bruch des JCPOA gemacht hat. Manche Themen wurden auch aufgeschoben und sollen in direkten US-iranischen Gesprächen gelöst werden. Bisher – seit April 2021 – haben Washington und Teheran in Wien und kurz in Doha ja nur indirekt miteinander verhandelt.
Die Probleme mit der IAEA
Ein großer Stolperstein, bevor die Vorbereitung, geschweige denn die Umsetzung des neuen Deals beginnen wird, ist auch noch das formal außerhalb des JCPOA angesiedelte Problem, das der Iran mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) bei der Aufklärung seines Atomprogramms vor 2003 hat. Dass die "offenen Fragen" der IAEA an den Iran zu unerklärlichen Uranspuren beerdigt werden, hat Teheran mit der Zustimmung zum eigentlichen JCPOA-Text verknüpft. Dieser Streit hat nicht nur das Potenzial, den neuen JCPOA zu verhindern, sondern kann zu einer neuen Eskalation führen. An ihrem Ende könnte im schlimmsten Fall der Austritt des Iran aus dem Atomwaffensperrvertrag – und ein neuer Krieg im Nahen Osten – stehen. Denn Israel wird sich nicht ansehen, dass der Iran weiter in Richtung Atomwaffenfähigkeit – oder gar Bombe – marschiert.
Genau in dieser neuen akuten nuklearen Verbreitungsgefahr liegt die Daseinsberechtigung des neuen Wiener JCPOA. Dass der Iran enorm wirtschaftlich profitieren wird, alleine schon durch das Auftauen gefrorener Gelder im Ausland und lukrative Ölgeschäfte, erschreckt viele, die unter der iranischen Einflusspolitik mit ihren aggressiven Stellvertretergruppen leiden. Sie hat Teheran allerdings auch nicht unter den härtesten Sanktionen aufgegeben. Donald Trump hatte, als er 2018 aus dem ersten JCPOA austrat, einen neuen Deal versprochen, der das alles abdecken sollte. 2022 ist so viel klar: Es wird ihn nicht geben. Auch für den Westen ist nichts anderes in Reichweite als das, was auf dem Tisch liegt. (Gudrun Harrer, 9.8.2022)