Amazon bringt systematisch smarte Geräte in die Wohn- und Schlafzimmer der Kunden.

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Amazon und iRobot könnten bald verschmelzen. Eine Vorstellung, die nicht nur bei Datenschützern Unbehagen auslöst.

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Colin Angle kauft man den Tüftler und Bastler gerne ab. Der Geschäftsführer und Gründer von iRobot hat laut eigenen Angaben schon in Studentenjahren Roboter gebaut, und er pflegt dieses Image gerne. Sein Schreibtisch ruht auf gigantischen Roboterbeinen, auf seinem Youtube-Kanal spricht er davon, wie froh er ist, sich seit 29 Jahren mit seinem Lieblingsthema auseinandersetzen zu dürfen. Erfinder aus aller Welt schicken ihm Beispiele für ihre robotischen Kreationen, und der Chef von iRobot selbst bewertet sie online. "Ich liebe praktische Roboter, und praktischer als das wird es nicht", sagt Angle, als er sich eine selbstfahrende Mülltonne ansieht.

iRobot

Der Nerd mit der Brille und den ungekämmten Haaren hat in Zukunft mehr Zeit für sein Hobby, denn der US-Riese Amazon könnte Angle und sein Unternehmen schon bald zum Milliardär machen. Amazon möchte das Unternehmen um 1,7 Milliarden US-Dollar kaufen, ein ganz schöner Aufstieg für Colin Angle, dem bisher ein branchenuntypisches und vergleichsweise geringes Vermögen von rund 19 Millionen Dollar nachgesagt wird.

Smarte Roboter

Amazon kauft damit aber nicht nur einen Hersteller von Staubsaugern, Amazon kauft sich mit iRobot einen gigantischen Datensatz von insgesamt 43 Millionen Haushalten, Tendenz steigend. Der Produkte des US-Herstellers gelten als höherwertige Modelle am ständig wachsenden Markt der kleinen Haushaltshelfer. Fuhren und purzelten frühere Staubsaugerroboter noch blind durchs Wohnzimmer, fraßen dabei Handykabel und waren gerade einmal klug genug, nicht die Stiege hinunterzufallen, waren die Geräte von iRobot schon immer eines: smart.

Frühere Modelle richteten ihre Kameras nach oben und filmten die Decke, um zu navigieren. Mit dem Modell j7 hat iRobot jüngst angefangen, Frontkameras an ihren Geräten anzubringen. Diese KI-gestützte Kamera hat laut ersten Analysen bereits rund 43 Millionen Objekte in Wohnungen erkannt und die Information an iRobot geschickt.

Der Roboterbauer Angle sieht darin kein Problem, er lobt die Vorzüge seiner saugenden und wischenden Maschinen. Die alternde Gesellschaft sei auf die Geräte aus seinem Hause angewiesen: "Wir brauchen Roboter, damit die Menschen länger selbstständig leben können", sagte er schon vor einigen Jahren der "SZ".

Von Lautsprecher bis Türklingel

Jedes Tischbein, jede Teppichkante, jedes Fitnessgerät wird also kartiert. Ein Datenschatz, den Amazon nur zu gerne heben möchte. Der US-Riese arbeitet seit Jahren daran, in die Wohn- und Schlafzimmer seiner Kunden vorzudringen. Zuerst waren es die Echo genannten Geräte – praktische Helfer, die etwa beim Kochen per Sprachbefehl den Timer für die Nudeln stellen, an den Zahnarzttermin erinnern oder unsere Lieblingsmusik abspielen.

Richtig "smart" sind die Echo-Geräte mit Sprachassistentin Alexa aber nicht. 2019 wurde bekannt, dass sehr wohl menschliche Mitarbeiter hinter den Sprachbefehlen stehen und Alexa etwa den Namen "Taylor Swift" beibringen müssen. Aber: Amazon hatte einen Fuß in der Tür und sammelt eifrig Daten. Doch es hört nicht bei Mikrofonen und Sprachassistentinnen auf: 2018 kaufte Amazon den Hersteller für smarte Türklingeln und Alarmanlagen Ring um eine Milliarde Dollar. Smarte Sicherheitskameras schicken Videoclips, wenn jemand das Grundstück betritt, an das Smartphone der User – auch wenn es nur der Briefträger ist. Nest-Kameras überwachen Kleinkinder im Schlaf und bemerken, wann die Bewohner außer Haus sind.

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Die Produkte von iRobot waren nie günstig, aber einigermaßen smart.
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Ein Jahr später schlug die Stunde der Übernahme von Routerhersteller Eero. Amazon legte 97 Millionen Dollar auf den Tisch und übernahm den Pionier der Mesh-Technologie. Das bedeutet, dass Amazon nun direkt auf den Netzwerktraffic sowie ein- und ausgehende Verbindungen zugreifen kann.

Sieben Journalisten von Reuters haben den Selbsttest gemacht. Seit 2019 ist Amazon in Kalifornien gezwungen, Kundendaten offenzulegen. Ein Reporter erfuhr, dass es mehr als 90.000 Aufnahmen von Geräten mit Alexa in seiner Familie gab – von allen seinen Familienmitgliedern. Darunter eine Aufnahme, wie seine kleinen Tochter die Sprachassistentin fragt, was eine Vagina ist.

Eine Journalistin musste erfahren, dass Amazon detailliert aufgelistet hatte, was sie auf ihrem Kindle-E-Reader las – inklusive Kochbüchern, woraus die Datensammler bei Amazon Rückschlüsse auf das Ernährungsverhalten der Familie ziehen konnten. Ebenso abgegriffen wurden Kalendereinträge von iPhones.

Der herumschnüffelnde Fremde

Mit den gesammelten Daten der sieben Journalisten konnte Amazon deren Körpergröße, Gewicht und Gesundheitszustand ermitteln. Anhand von Stimmenerkennung wurde sogar die Ethnie der Männer und Frauen erfasst, ebenso wie deren politische Einstellung und deren Sozialkontakte.

"Vielen Konsumenten ist nicht klar, wie viel Information sie mit Technologieunternehmen teilen", sagt David Choffnes, Forscher an der Boston Northeastern University. "Wann haben Sie zuletzt einen Fremden in Ihr Haus gelassen und ihn bei Ihren Gesprächen mithören lassen, ihn vor Ihren Fernseher gesetzt, ihn aufzeichnen lassen, wer ein und aus geht?", fragt der Forscher. "Die Firma ist wie ein Fremder, der Ihnen in Ihrem privaten Bereich überallhin folgt."

Jetzt also iRobot. Doch ist diese Amazon-Übernahme wirklich gefährlicher als jene von Sicherheitssystemen oder Netzwerkinfrastruktur? Ja, sagt der Forscher und Schriftsteller Ron Knox. Das ist die "gefährlichste, bedrohlichste Übernahme in der Amazon-Geschichte". Die Weitergabe von persönlichen Informationen einer Wohnung an einen so großen Online-Händler sei ein datenrechtlicher "Albtraum".

Wie Jurist Ethan Glass gegenüber Reuters betont, ist die Übernahme aber alles andere als fix. Er hält es für sehr wahrscheinlich, dass die FTC, die US-Kartellbehörde, die Übernahme in einem vertieften Verfahren prüft. Das könnte im Extremfall sogar in einem Verbot des Deals münden.

Amazon: Roboter werden zentrale Rolle spielen

Amazon geht es um das große Geschäft. Ein Geschäft, von dem man meint, das "Next Big Thing" in Händen zu halten – ganz wie Mark Zuckerberg mit seinem Metaverse: "Wir glauben", sagt der Leiter der Gerätesparte, Dave Limp, "dass in fünf bis zehn Jahren jeder Haushalt mindestens einen Roboter besitzen wird, der eine zentrale Rolle im täglichen Leben spielt."

Amazon sowie iRobot versprechen die Daten nicht an Dritte zu verkaufen. In den aktuellen Nutzerdaten von iRobot wird das explizit festgehalten. Sollte sich das ändern, müssen die Anwender wohl den geänderten AGB zustimmen oder selbst eine Entscheidung treffen, ob der praktische Helfer im Haus wirklich die Preisgabe höchstpersönlicher Informationen wert ist. (Peter Zellinger, 9.8.2022)