Wien – Allmählich nähert sich der Herbst, und in Europa werden die Sorgen größer, wie man mit den deutlich verringerten Gasimporten durch den Winter kommt. Am Dienstag ist der Gasnotfallplan der EU in Kraft getreten. Dieser sieht vor, dass die EU-Staaten ihren Gasverbrauch von Anfang August bis März 2023 freiwillig um 15 Prozent senken, verglichen mit dem Durchschnittsverbrauch der letzten fünf Jahre in diesem Zeitraum.

Was passiert, wenn sich Staaten nicht daran halten? Im ersten Moment nicht viel. Falls es weitreichende Versorgungsengpässe gibt, kann ein EU-weiter Alarm mit verbindlichen Einsparzielen ausgelöst werden. Die Hürde dafür ist hoch: Es bräuchte die Zustimmung von mindestens 15 EU-Ländern, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen. Gleichzeitig haben sich mehrere Länder – etwa Spanien und Italien – für diesen Fall Ausnahmen von den verbindlichen Sparzielen ausgehandelt und wollen weniger als 15 Prozent einsparen. Der Notfallplan gilt zunächst für ein Jahr.

Unternehmen in Österreich sollen von Gas auf Erdöl umrüsten, bezahlt vom Staat. Das geht aber nur bei rund zehn Prozent der Firmen.
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Ein Überblick, welche Maßnahmen, die unterschiedlichen Staaten ergreifen, um das 15-Prozent-Ziel zu erreichen.

Österreich

Die Abhängigkeit vom russischen Gas ist in Österreich besonders hoch. Wer wie viel Gas bekommt, sollte Russland den Gashahn wirklich ganz zudrehen, wird (noch) nicht verraten. Was man bisher weiß: Unternehmen und Kraftwerke sollen auf Erdöl umsteigen, die Umrüstung zahlt der Staat. Möglich ist ein derartiger Umbau aber nur bei rund zehn Prozent der Unternehmen. Das stillgelegte Kohlekraftwerk in Mellach wieder zu aktivieren steht ebenfalls im Raum. Unklar ist, woher die Kohle dafür kommen soll, und auch an Personal mangelt es. Man müsste vermutlich 50 speziell ausgebildete Personen aus der Pension zurückholen. Jedenfalls wird im Herbst eine Energiesparkampagne anlaufen, die die Bevölkerung ermutigen soll, den Verbrauch besser zu kontrollieren.

Deutschland

Deutschland will laut Wirtschaftsministerium mehr als die vereinbarten 15 Prozent schaffen. Seit Ende Juli produziert ein in Reserve gehaltenes Steinkohlekraftwerk wieder Strom. Weitere sollen folgen, ebenso Braunkohlekraftwerke. Geplant sind weitere Einsparungen in öffentlichen Gebäuden, in denen Bereiche wie Flure oder Foyers nicht mehr geheizt werden sollen. Für Unternehmen soll die Möglichkeit, ungenutzte Gasmengen in Auktionen zu verkaufen, Anreize zum Energiesparen bieten. Eine Kampagne soll die Menschen zudem zum Energiesparen motivieren.

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Italien

In Italien darf in den öffentlichen Büros nur noch bis auf 25 Grad gekühlt werden, zudem wird die Maximaltemperatur beim Heizen von 20 auf 19 Grad gesenkt. Es wird auch erwogen, die Heizperiode um zwei Wochen zu verkürzen. Für die Industrie sind zunächst keine Einschränkungen des Gasverbrauchs vorgesehen.

Spanien

Spanien spart nicht nur in öffentlichen Einrichtungen. Auch Kaufhäuser, Kinos, Arbeitsstätten, Hotels, Bahnhöfe und Flughäfen dürfen ihre Räumlichkeiten künftig nur noch auf 27 Grad kühlen und auf höchstens 19 Grad heizen. Zudem müssen Läden und Betriebe mit automatischen Systemen ihre Türen geschlossen halten. Die Beleuchtung nicht genutzter Büros, von Schaufenstern und Denkmälern muss nach 22 Uhr ausgeschaltet werden.

In Frankreich bereitet der Klimawandel Probleme, Atomkraftwerke zu betreiben. Im Winter setzen die Franzosen jedoch auf Kernenergie.
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Frankreich

In Frankreich sollen die öffentliche Verwaltung und die Privatwirtschaft vorangehen. Behörden sind dazu angehalten, Geräte nicht auf Standby zu lassen, weniger zu kühlen und zu heizen. Einige Supermärkte wollen Türen konsequenter schließen, wenn die Klimaanlage läuft. Die Regierung will das für alle Geschäfte im Zweifel auch mit Geldstrafen durchsetzen. Gleichzeitig sollen die stark heruntergefahrenen Atomkraftwerke so gut wie möglich für den Winter aufgestellt und die Produktion von erneuerbarer Energie vorangetrieben werden.

Belgien und Niederlande

Die Niederlande und Belgien setzen vor allem auf Sparmaßnahmen der Bevölkerung. Bürger sollen kürzer duschen und die Heizung mindestens ein Grad niedriger stellen. Vorgaben für die Industrie werden in den Niederlanden nicht ausgeschlossen und sollen nach dem Sommer bekanntgegeben werden. Das Land hat bereits seit Beginn der Energiekrise monatlich rund 25 Prozent weniger Gas verbraucht als in den Vorjahren. Auch in Belgien ist der Verbrauch im ersten Halbjahr allein durch die hohen Preise zurückgegangen.

Gaslieferungen aus Russland haben seit der Wartung Mitte Juli stark nachgelassen. Es kommen nur rund 20 Prozent der Kapazität durch die Pipeline Nord Stream 1.

Griechenland

In Griechenland dürfen die Behörden Räume nicht mehr unter 26 Grad kühlen, die Straßenbeleuchtung soll auf das absolut Notwendige reduziert werden. Derzeit läuft zudem ein vom Staat und aus EU-Mitteln finanziertes Programm, bei dem Bürger alte Klimaanlagen und Kühlschränke durch neue, energiesparende Geräte ersetzen können. Manche Kohlekraftwerke sollen wieder hochgefahren, andere Kraftwerke von Gas- auf Erdölbetrieb umgerüstet werden.

Ungarn und Polen verweigern sich

In Polen sieht sich die Regierung nicht an das Einsparziel von 15 Prozent gebunden. Betont wird die Freiwilligkeit der Regelung. In Ungarn schließt die rechte Regierung von Regierungschef Viktor Orbán eine Umsetzung des Ziels kategorisch aus.

Die Ausnahmen

Für Irland, Portugal, Malta und Zypern gelten Ausnahmeregelungen beim Energiesparen, da sie nicht an das Gasverbundnetz eines anderen Landes angeschlossen sind. Sie sind also nicht zum Gassparen verpflichtet. Die irische Regierung empfiehlt den Bürgern derweil, Wohnbereiche maximal auf 20 Grad und Flure sowie Schlafzimmer auf höchstens 18 Grad zu heizen. Zudem rät das Land der Bevölkerung, seltener Wasch- und Spülmaschinen zu verwenden.

Ziele im Norden erreicht

Finnland hat seinen Gasverbrauch in den vergangenen zehn Jahren nach Regierungsangaben bereits halbiert und seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine weiter verringert – der Regierung zufolge gibt es keinen unmittelbaren Bedarf für weitere Maßnahmen. Auch in Dänemark wurde das Energiesparziel bereits erreicht. In Schweden ermuntert die Energiebehörde die Haushalte mit einem umfassenden Online-Ratgeber zum Energiesparen.

Der finnischen Premierministerin Sanna Marin zufolge ist es momentan nicht notwendig, weitere Maßnahmen zum Energiesparen zu ergreifen.
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Keine neuen Maßnahmen im Baltikum

In Estland ist der Verbrauch Regierungsangaben zufolge bereits um 16 Prozent im Vergleich zum fünfjährigen Durchschnitt gesunken. In der kommenden Heizperiode könnte zudem heimischer, aber klimaschädlicher Ölschiefer das Gas zum Teil ersetzen. Litauen wird keine zusätzlichen Maßnahmen ergreifen. Grund dafür seien neben einem preisbedingten Rückgang der Nachfrage auch die Pläne, Erdgas in der kommenden Heizperiode durch Heizöl zu ersetzen. In Lettland arbeitet die Regierung noch an Richtlinien, um die Energiesparmaßnahmen umzusetzen.

Bulgarien und Rumänien

Die Übergangsregierung in Bulgarien hat noch keine Maßnahmen zur Umsetzung des 15-Prozent-Ziels formuliert. Rumänien wird unter anderem seine Kohlekraftwerke wieder hochfahren.

Tschechien, Slowakei und Slowenien

Tschechien setzt weitgehend auf freiwillige Maßnahmen. So haben die Verbraucher in Tschechien ihren Gasverbrauch wegen der hohen Preise bereits zurückgefahren. Die slowakische Regierung kündigte derweil an, genug Gas für die nächste Heizperiode gespart zu haben. Die Gasreserven würden 49 Prozent des jährlichen Gasverbrauchs decken. Damit zählt die Slowakei zu den am besten vorbereiteten EU-Ländern. In Slowenien gibt es noch keine konkreten Pläne, eine Studie ist in Arbeit. (APA, red, 9.8.2022)