Die Baubranche ist seit jeher besonders von Insolvenzen betroffen. Auffallend ist ein starker Anstieg beim Handel.

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Auf den ersten Blick wirken die Zahlen erschreckend: Laut einer Erhebung, die die Statistik Austria am Dienstag veröffentlicht hat, gab es im zweiten Quartal dieses Jahres 1.284 Insolvenzen – ein Anstieg um rund 123 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Großteil davon lässt sich allerdings auf Nachholeffekte zurückführen: Zahlreiche Unternehmen kamen erst nach Auslaufen der pandemiebedingten Förderungen in finanzielle Schwierigkeiten. Dazu kommt die aktuelle Inflationskrise, die sich mittlerweile ebenfalls bemerkbar macht.

Schwache Wirtschaft

Viele Unternehmen, die aufgrund der Pandemie schwer angeschlagen waren, konnten dank der staatlichen Maßnahmen vorerst weiterbestehen. Mit Auslaufen der Förderungen seien sie aber "klamm" geworden, sagt Thomas Url, Ökonom am Wifo. Jetzt bewegt sich die Zahl der Insolvenzen wieder auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorkrisenjahr 2019. "Insofern erleben wir eine Rückkehr zur Normalität", sagt Url. Der Nachholeffekt werde allerdings noch länger andauern, weil viele Unternehmen nach wie vor von Stundungen profitieren – ihre Schulden also noch nicht zurückzahlen müssen.

Laut Url schlägt sich in der Statistik mittlerweile auch die aktuelle wirtschaftliche Situation nieder. "Wir hatten im zweiten Quartal noch ein leichtes Wirtschaftswachstum, das Bauwesen und der Handel stagnierten aber bereits", erklärt der Ökonom. Das mache sich in der Insolvenzstatistik bemerkbar. Neben dem Dienstleistungssektor sind der Handel und die Baubrachen am stärksten von Firmenpleiten betroffen.

Positive Effekte

Der aktuelle Anstieg an Insolvenzen hat allerdings nicht nur negative Effekte. Für den Wirtschaftsstandort ist es durchaus gut, wenn der Markt bereinigt wird, sagt Url. Durch das Ausscheiden von Unternehmen, die schlecht wirtschaften, wird Platz geschaffen für Unternehmen, die gut aufgestellt sind. "Es werden dadurch Ressourcen frei, die anderswo produktiver eingesetzt werden können", erklärt der Ökonom. Besonders deutlich wird das bei Fachkräften, die für effizientere Unternehmen zur Verfügung stehen.

Gerhard Weinhofer, Geschäftsführer des Gläubigerschutzverbands Creditreform, sieht einen weiteren positiven Aspekt: Während der Pandemie seien Unternehmen sich oft unsicher gewesen, ob Vertragspartner eigentlich schon in Insolvenz wären, wenn es keine staatlichen Unterstützungsleistungen gegeben hätte. "Diese Unsicherheit löst sich nun auf", sagt Weinhofer. "Es findet eine Marktbereinigung statt, weil die Insolvenzen nicht mehr künstlich vermieden werden."

Negativer Ausblick

Ökonom Url geht davon aus, dass die Anzahl der Insolvenzen das Niveau von 2019 überschreiten wird. In den Prognosen sei bereits absehbar, dass sich die Konjunktur weiter abschwächt. Der Umsatz vieler Unternehmen dürfte im zweiten Quartal sinken, dazu komme der enorme Kostendruck bei Energie und Baumaterialien. Betriebe können die gestiegenen Preise jedoch nur zum Teil an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben, sagt Url.

Auch Weinhofer rechnet damit, dass sich die Situation in den nächsten Monaten weiter verschärft. "Zu den Nachholeffekten nach der Pandemie kommen nun Ukraine-Krieg und Gaskrise", sagt der Experte. Selbst wenn die Anzahl der Insolvenzen das Niveau von 2019 erreicht, befinde sich die Zahl in einer Langzeitbetrachtung allerdings vorerst weiter auf einem niedrigen Niveau. (Jakob Pflügl, 9.8.2022)