Im Gastblog gibt die Sozialpädagogin und Basisbildungstrainerin Helga Anna Kaser Einblick in die Wichtigkeit von Basisbildungsangeboten für Erwachsene.

Die PIAAC-Studie aus den Jahren 2011/12 zeigte ein ernüchterndes Ergebnis über den Status quo von grundlegenden Schlüsselkompetenzen bei jungen Erwachsenen (16 bis 25 Jahre) und Erwachsenen bis 65 Jahren.

Erhoben wurden drei Grundkompetenzen, die entscheidend die Bewältigung alltäglicher Bedarfe ermöglichen: Lesekompetenz, alltägliche mathematische Kompetenz und die technologiebasierte Problemlösungskompetenz.

Bei 860.000 Menschen in Österreich ist die Lesekompetenz für die Bewältigung des Alltags nicht ausreichend vorhanden.
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Von allen drei Schlüsselkompetenzen schnitten die Österreicher bei der Lesekompetenz auffallend unterdurchschnittlich im internationalen Vergleich ab: Ein signifikant großer Anteil an Erwachsenen in Österreich befindet sich in den Lesekompetenzstufen zwei und drei (von fünf) mit je 37,2 Prozent, also über 2,1 Millionen Personen in beiden Stufen. Die Personen können zwei oder mehrere Informationsteile basierend auf bestimmten Kriterien vergleichen und darüber einfache Schlüsse ziehen. Sie können innerhalb digitaler Texte navigieren, um Zugang zu Informationen zu erhalten. Bei längeren Texten mit widersprüchlichen Informationen haben Personen in dieser Kompetenzstufe jedoch Schwierigkeiten.

Fähigkeit des sinnerfassenden Lesens

In der Kompetenzstufe eins befinden sich 12,8 Prozent, das heißt rund 720.000 Menschen in Österreich, die über ein Basisvokabular verfügen und kurze Texte mit wenigen widersprüchlichen Informationen verstehen können. In der Lesekompetenzstufe unter eins befinden sich 2,5 Prozent beziehungsweise rund 140.000 Personen in Österreich. In diesen Kompetenzstufen haben die betreffenden Personen Schwierigkeiten, Verträge zu lesen oder Formulare auszufüllen, aber auch Beipackzettel von Medikamenten zu lesen oder sich an Fahrplänen zu orientieren.

Laut Studie wird die Lesekompetenz zur Bewältigung des Alltags wie folgt definiert und beschrieben: "Damit wird die Fähigkeit des sinnerfassenden Lesens umschrieben, also das Verständnis und die kritische Reflexion von Texten, egal ob diese nun in gedruckter Form wie beispielsweise der Beipackzettel eines Medikaments oder digital als Online-Artikel vorliegen. Die Lesekompetenz spielt sowohl im Beruf als auch im Alltag in den unterschiedlichsten Situationen (beispielsweise beim Einkauf oder beim Ausfüllen von Formularen) eine sehr wichtige Rolle und stellt eine Basiskompetenz dar, auf der weiterführende Kompetenzen aufbauen. Verfügt jemand über diese Fähigkeit nur in geringem Ausmaß, kann dies persönliche, berufliche und soziale Benachteiligungen zur Folge haben."

Somit sprechen wir von 860.000 erfassten benachteiligten Personen in Österreich, deren Lesekompetenz für die Bewältigung des Alltags nicht ausreichend vorhanden ist.
Die Unesco schätzt unter Bezugnahme zu den nicht erfassten Personen den Basisbildungsbedarf in Österreich sogar auf eine Million Menschen. Personen mit Alphabetisierungsbedarf wurden in dieser Studie nicht erfasst.

Heterogene Zielgruppen

Seit 2018 läuft die PIAAC-Studie 2, deren Ergebnisse 2024 veröffentlicht werden. In diesen zwölf Jahren hat sich die Basisbildungslandschaft in der Erwachsenenbildung als Projektarbeit weiterentwickelt und etabliert. Viele kleine regionale Projekte wurden 2012 in der Initiative Erwachsenenbildung gebündelt, deren Kursangebote von Basisbildungskursen bis zum kostenlosen Pflichtschulabschluss in allen Bundesländern umfassen. Der Anspruch, Lerninhalte handlungsorientiert und alltagstauglich zu gestalten, um die Handlungskompetenzen der Teilnehmenden zu stärken und auszubauen, wird an die formal vorgegebenen Lernziele eines anerkannten Schulabschlusses gekoppelt.

In der Programmplanungsperiode 2018 bis 2021 konnten die Österreichischen Volkshochschulen durch die Durchführung des Projektes Initiative Erwachsenenbildung 27,6 Prozent des Basisbildungsbedarfs decken. Um dem restlichen Bedarf jedoch gerecht zu werden, benötigt es noch vieler diverser Projektangebote, die sich an der doch sehr heterogen gestalteten Zielgruppe orientieren.

Die dringlichste Überlegung bei der Planung eines Projekts besteht unter anderem auch darin, wie diese Zielgruppen zu erreichen sind. Welche Motivationen führen Menschen mit einer negativ erlebten Lernbiografie zu Weiterbildungsangeboten? Aus Erfahrung wissen wir, dass unsere Kurse nicht nur lerntechnische Wirkung haben, sondern auch persönlichkeitsstärkende und soziale Komponenten inkludieren. Das Leben der Betroffenen wird von Scham und Angst bestimmt, in ihrer gefühlten Unzulänglichkeit erkannt und abgewertet zu werden. Strategien zu Vermeidungsverhalten werden gelernt und bestimmen den Handlungsradius in der Lebensführung – ihre Rechte wahrzunehmen gestaltet sich als Hürde.

Basiskompetenzen werden vorausgesetzt

Das führt zu verminderten positiven Selbstwerterfahrungen und drängt die Betroffenen meist in Jobs mit geringem Einkommen und in eine höhere Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden. Daher orientieren sich die Betroffenen auch nicht am Weiterbildungsmarkt, da der Begriff Lernen ohnedies mit Versagen assoziiert wird.

Um Betroffene erreichen zu können, bedarf es der Vernetzung und Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, dem AMS und anderen Sozialeinrichtungen. Wir informieren Multiplikatorinnen und Multiplikatoren über Basisbildung und stellen im Zuge dieses Informationsaustausches doch immer wieder fest, dass das Thema Basisbildung in der Mitte der Gesellschaft noch nicht angekommen ist. Basiskompetenzen werden nicht hinterfragt, sondern vorausgesetzt.

Obwohl der Begriff "lebenslanges Lernen" im Informationszeitalter doch bei der Mehrheit der Menschen angekommen ist, wird Lernen im Erwachsenenalter meist assoziiert mit aufbauendem Lernen, aufbauend auf ein bereits vorhandenes Basiswissen, das uns eine autonome Lebensführung ermöglichen kann.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Basisbildung bedeutet auch immer, die eigenen Perspektiven zu hinterfragen und gegebenenfalls einen Korrekturkurs vorzunehmen. Und weil wir auch unsere Sichtweisen und Durchführungsstrategien zu diesem Thema der Zielgruppenerreichung erweitern wollten, hat die Volkshochschule Floridsdorf im November 2021 eine Tagung veranstaltet, bei der wir Referentinnen und Referenten aus Berlin und Hamburg zum Austausch als Gäste geladen haben.

Vernetzung und Sensibilisierung

Ein besonderes Augenmerk fiel dabei auf das Projekt Alphasiegel im Grundbildungszentrum Berlin, das uns dazu inspirierte, die bereits aufgebauten Vernetzungsstrukturen in Österreich, im Sinne einer Weiterentwicklung, kritisch zu hinterfragen. Vernetzungsarbeit in Österreich erfolgt sehr individuell und ist Teil der jeweiligen Projektarbeit. Die Alphaberatung mit Sitz in Linz berät und informiert über Kursangebote österreichweit.

In Berlin wurde die Vernetzungstätigkeit und Sensibilisierungsarbeit in eine ausschließlich dafür gegründete regionale Struktur zusammengefasst. Das Grundbildungszentrum ist nicht nur eine Beratungsstelle mit Überblick über das regionale Kursangebot und kostenlosen Frühstückstreffs für Interessierte, sondern gestaltet auch aktiv Workshops für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren und sensibilisiert die regionalen Unternehmen und systemerhaltenden Einrichtungen für den Bereich Basisbildung mit dem Programm "Alpha-Siegel".

Ehemalige Kursteilnehmende werden als Lerner-Expertinnen und -Experten im Team aufgenommen und unterstützen mit Rat und Tat die Öffentlichkeitsarbeit im Zentrum. Dieses System bietet auch die Möglichkeit, in der breiten Öffentlichkeit permanent präsent zu sein, und führt letztlich zu mehr Bewusstsein in der Bevölkerung. Basisbildung als flächendeckende Realität durch eine Vernetzungsarbeit mit Unternehmen und anderen Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitsbereich wie mit Ämtern und Behörden könnte als Entwicklungspotenzial in Österreich erkannt werden. Expertinnen und Experten der Basisbildung hätten die Möglichkeit, als Beraterinnen und Berater für Ämter und Behörden sowie für Einrichtungen im Gesundheitsbereich unterstützend zu wirken, wenn zum Beispiel Formulare in einfacher Sprache und Handhabung umgestaltet werden. Menschen sollten sich nicht Angeboten anpassen, sondern die Angebote den Menschen. (Helga Anna Kaser, 11.8.2022)