Journalist und Autor Federico Fubini schreibt in seinem Gastkommentar über die kommenden Wahlen in Italien – und wie es wohl dazu gekommen ist.

Bei den jüngsten politischen Entwicklungen in Italien, die im Rücktritt von Ministerpräsident Mario Draghi gipfelten, scheint der russische Präsident Wladimir Putin seine Finger im Spiel gehabt zu haben.

Nach der Invasion in der Ukraine Ende Februar hatte Draghi entschieden reagiert und die massiven Sanktionen gegen Russland unterstützt. Außerdem hatte er der Ukraine politische, finanzielle und militärische Hilfe gewährt. Aber beides geschah gegen den Widerstand der populistischen Parteien seiner eigenen Regierungskoalition der Nationalen Einheit: insbesondere gegen den Willen der Fünf-Sterne-Bewegung unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte und der Lega-Partei Matteo Salvinis. Und im weiteren Kriegsverlauf wurde der Widerstand dieser Putin-freundlichen Kräfte immer größer.

Mario Draghi musste als Ministerpräsident zurücktreten. Ende September stehen vorgezogene Parlamentswahlen an. Italiens Rechte gibt sich dank guter Umfragewerte siegessicher.
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Die russische Botschaft in Rom nutzte die Gelegenheit: Seit Monaten bemüht sie sich um Salvini und hat ihm im Mai sogar ein Flugticket nach Moskau für eine "Friedensmission" spendiert – worüber er Draghi nicht informiert hat. Nach öffentlichen Protesten wurde diese Reise zwar in letzter Minute abgesagt, aber Salvini hatte sich bereits Anfang März – nur eine Woche nach der Invasion – mit dem russischen Botschafter zum Essen getroffen.

Chaotisch und amateurhaft

Auch der ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi, ein alter Freund Putins, hat in den Tagen vor Draghis Rücktritt mindestens einmal mit dem russischen Botschafter telefoniert. Und im Mai haben ein Vertreter von Berlusconis Partei Forza Italia und ein führender russischer Diplomat Berichten zufolge einen Gesandten der Lega gefragt, wann Salvini denn planen würde, die Draghi-Regierung zu verlassen.

Wir wissen all dies, weil das politische System Italiens zu chaotisch und amateurhaft ist, um Geheimnisse für sich behalten zu können. Vielen Parteien und Politikern mangelt es einfach an der nötigen Disziplin für verdeckte Machenschaften. Also werden wohl bald noch weitere Details ans Licht kommen, wie sich Russland um Draghis Sturz bemüht hat.

Solche Aktionen sind nicht neu: Bereits 2018 sind Vertreter der Lega nach Moskau gereist, um sich von Russland finanzieren zu lassen, und Anfang 2020 hat Contes Regierung Putin erlaubt, unter dem Vorwand der humanitären Pandemiehilfe in Italien einen massiven Militäreinsatz durchzuführen. Angesichts dieser zweifelhaften Machenschaften sehen es die politischen Beobachter und Akteure Italiens nun als gegeben an, dass der Kreml seine italienischen Stellvertreter gedrängt hat, die Draghi-Regierung aus dem Weg zu schaffen. Immerhin ist Russland dafür bekannt, sich in die demokratische Politik des Westens einzumischen – von der Beeinflussung des Brexit-Referendums und der US-Präsidentschaftswahlen 2016 bis hin zur Finanzierung der rechtsextremen Nationalen Sammlungsbewegung von Marine Le Pen in Frankreich. Also wird das Land angesichts der Gelegenheit, die Europäische Union spalten zu können, in Italien wohl kaum auf ähnliche Taktiken verzichten.

"Laut aktuellen Meinungsumfragen hat eine rechte Koalition mit der Lega, der Forza Italia und den "postfaschistischen" Brüdern Italiens unter der Leitung von Giorgia Meloni momentan einen klaren Vorsprung."

So fördert angeblich auch die mit dem Kreml verbundene Söldnergruppe Wagner in ihren libyschen Einsatzgebieten die Einreise von Flüchtenden nach Italien, um Salvini vor den Neuwahlen im September einen Vorwand für seine übliche einwanderungsfeindliche Politik zu geben. Auch dies ist nichts Neues: Belarus hat letztes Jahr dieselbe Strategie gegen Polen und Litauen verwendet – sicherlich mit Putins Einwilligung.

Laut aktuellen Meinungsumfragen hat eine rechte Koalition mit der Lega, der Forza Italia und den "postfaschistischen" Brüdern Italiens unter der Leitung von Giorgia Meloni momentan einen klaren Vorsprung. Abzuwarten bleibt noch, ob Russlands offensichtliche Rolle beim Sturz Draghis die italienischen Wahlen beeinflussen wird. Aber obwohl die Enthüllungen zunächst Wellen schlugen, verlor das Thema schnell an Bedeutung.

Natürlich ist Putin laut einer aktuellen Umfrage in Italien sehr unbeliebt: 56 Prozent der Bevölkerung dort geben Russland die Schuld am Krieg. Aber die Italiener sind nicht die Einzigen, die ihre Wahlentscheidungen weniger an internationalen Intrigen ausrichten als eher an innenpolitischen Themen des täglichen Lebens – und hier bietet die rechte Koalition für jeden etwas. Die Russland-Freunde können für die Lega oder für Forza Italia stimmen, und jene, die westlicher und Ukraine-freundlicher eingestellt sind, können den Brüdern Italiens ihre Stimme geben, die in den Umfragen momentan eindeutig vorn liegen.

Zwar sprach sich Meloni bei den Wahlen von 2018 gegen Sanktionen gegen Russland aus, aber dann hat sie ihre Meinung geändert – und nicht nur Draghis Waffenlieferungen an die Ukraine unterstützt, sondern auch davor gewarnt, Italien könne zum "schwächsten Kettenglied des westlichen Bündnisses" werden. Wie die Außenpolitik einer Regierung unter ihrer Führung dann wirklich aussehen würde, ist unklar.

Vages Programm

Meloni verdankt ihren politischen Aufstieg in erster Linie ihrem persönlichen Charisma und einem stets vagen Programm für "Gott, Familie und Vaterland", mit dem sie es bisher vermeiden konnte, detailliert zu erklären, was sie im Amt wirklich zu denken oder tun beabsichtigt. Sie hat fast nichts zu ihrem Wirtschaftsprogramm oder den faschistischen Wurzeln ihrer eigenen Partei gesagt – oder über ihre freundschaftlichen Beziehungen zu Ungarns autoritärem Ministerpräsidenten Viktor Orbán und zur spanischen "neofranquistischen" Partei Vox. Daher haben viele Italiener ihre prowestlichen Loyalitätserklärungen für bare Münze genommen.

Aber würde Meloni wirklich wie Draghi die Sanktionen gegen Russland durchsetzen oder gar verschärfen? Wahrscheinlich würde sie sich viel weniger dafür engagieren als ihr Vorgänger. Im Frühling meinte sie nicht nur, Italien solle von der EU für die Sanktionskosten "entschädigt" werden, sondern auch, die Vereinigten Staaten sollten nicht erwarten, dass Italien als "Arbeitstier des Westens" dient und seine Exporte nach Russland verringert.

Unabhängig davon, was wir noch über die russischen Bemühungen zum Sturz Draghis erfahren, ist eines bereits klar: Der Kreml dürfte auf eine Meloni-Salvini-Berlusconi-Regierung mit Hoffnung und Schadenfreude reagieren. (Federico Fubini, Übersetzung: Harald Eckhoff, Copyright: Project Syndicate, 10.8.2022)