Durch steigende Wassertemperaturen und invasive Spezies wandeln sich marine Ökosysteme. Die Frage, ob das Mittelmeer zum tropischen Meer wird, beschäftigt die Forschung.

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Mit bis zu 30 Grad Wassertemperatur bietet das Mittelmeer derzeit kaum noch Abkühlung. Die alarmierenden Hitzerekorde sind aber nicht die einzige Veränderung, die dem Gewässer zusetzt. Der Bau des Suezkanals und seine Eröffnung im Jahr 1869 ermöglichten die Einwanderung zahlreicher tropischer Arten vom Roten Meer ins östliche Mittelmeer.

Dieses ist von Natur aus wärmer als der westliche Teil des Gewässers und bietet vielen Neuankömmlingen gute Bedingungen. Man nennt diesen Zuzug nach Ferdinand de Lesseps, dem Erbauer des Suezkanals, Lessepssche Invasion.

Schockierender Tauchgang

Niemand kann heute mehr sagen, wie die Zusammensetzung der Fauna des östlichen Mittelmeers vor 1869 ausgesehen hat. Doch der italienische Meeresbiologe Paolo G. Albano, bis zum Vorjahr an der Universität Wien tätig, machte sich mit finanzieller Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF daran zu rekonstruieren, welche Weichtiere das Meer damals bevölkerten. Beim ersten Tauchgang 2016 im Meer vor Israel, bei dem er sich ein Bild über die herrschenden Bedingungen machen wollte, erlebte er einen Schock.

"Ich tauche seit meinem achten Lebensjahr im westlichen Mittelmeer und hatte entsprechende Erwartungen", erinnert er sich, "aber hier war alles anders: Selbst die alltäglichsten Arten fehlten." Zu diesen Arten gehören zum Beispiel die Purpurschnecken: In der Antike wurden sie zu Millionen für die Purpurgewinnung gesammelt, im westlichen Mittelmeer sind sie nach wie vor sehr häufig anzutreffen.

Vor der Küste Israels hatte Albano hingegen Mühe, auch nur ein Exemplar zu finden. Die mediterrane Stachelauster (Spondylus gaederopus) hingegen ist mittlerweile weitgehend durch eine viel größere, tropische Austernart (Spondylus spinosus) ersetzt worden. "Man würde einen Mix aus tropischen und Mittelmeer-Arten erwarten, aber in Wirklichkeit bestehen viele Gemeinschaften praktisch nur noch aus tropischen Arten", erklärt Albano.

Fortpflanzung oft unmöglich

Um die frühere Artenzusammensetzung an Mollusken mit der heutigen vergleichen zu können, analysierte er die Schalen toter Weichtiere auf dem Meeresboden. Muschel- und Schneckenschalen können bis zu tausend Jahre im Sediment erhalten bleiben. Obwohl die meisten nur noch als winzig kleine Überreste vorliegen, lässt sich noch bestimmen, zu welcher Art sie gehören.

Das erschreckende Fazit: Von der ursprünglichen Molluskenfauna des Mittelmeers waren im sandigen Flachwasserbereich gerade noch zwölf Prozent vorhanden, in felsigem Terrain nur noch fünf Prozent. Zudem erreichen rund 60 Prozent der Flachwasserarten nicht mehr die Größe, die für eine erfolgreiche Fortpflanzung nötig wäre. Es ist jedoch nicht so, dass die Zuwanderer aus dem Roten Meer die ursprünglichen Arten verdrängt hätten, denn der Kollaps liegt noch nicht lange zurück.

Jahrzehntelange Koexistenz

Albano geht davon aus, dass dieser in den vergangenen 20 Jahren passiert ist. Davor dürfte es eine jahrzehntelange Koexistenz von mediterranen und tropischen Arten gegeben haben. Verantwortlich für die erschreckende jüngste Entwicklung sind wohl die extremen Wassertemperaturen der letzten Jahre.

Das östliche Mittelmeer gehört zu jenen Orten, die sich weltweit am schnellsten erwärmen. Vor der Küste Israels etwa steigt die Wassertemperatur im Sommer auf durchschnittlich 32 Grad Celsius. Die meisten Mittelmeer-Arten sind an eher kühles Wasser angepasst. Das liegt daran, dass das Mittelmeer vor fünf bis sechs Millionen Jahren fast ausgetrocknet war – ein Abschnitt der Erdgeschichte, der als Messinische Salinitätskrise bezeichnet wird.

Aufgefüllt wurde es letztendlich mit kaltem Atlantikwasser, das über die sich eintiefende Straße von Gibraltar eindrang. Daher gab es Albano zufolge schon immer ein Biodiversitätsgefälle von Westen nach Osten, wo es vielen Arten auch früher schon zu warm war. Den wärmeliebenden Spezies aus dem Roten Meer standen daher von Anfang an ökologische Nischen offen. Jetzt sind es allerdings ungleich mehr.

Verlorenes Gewässer

Wandelt sich das östliche Mittelmeer in ein tropisches Meer um? Das lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, erklärt Albano: "Das ist ein sehr dynamischer Prozess, und wir wissen nicht, wohin er führt." In jedem Fall sind verschiedene mediterrane Arten, die nur in dieser Meeresregion vorkommen, vom Aussterben bedroht. Gleichzeitig ist unklar, wie weit die neue Artenzusammensetzung jene Ökosystemleistungen erfüllen kann, die wir vom Mittelmeer gewohnt sind. Allen voran die Säuberung des Wassers durch Muscheln und andere Filtrierer.

Gekommen, um zu bleiben: Neue Arten besiedeln das Mittelmeer.
Foto: Paolo G. Albano

Wie auch immer die Geschichte letztlich ausgeht: Für Albano ist klar, dass das östliche Mittelmeer, wie es viele kennen, verloren ist. Einerseits, weil es unmöglich ist, die vielen eingewanderten Arten wieder loszuwerden. Andererseits, weil Meere langsam reagierende Systeme sind, die sich selbst dann noch eine Weile weiter erwärmen würden, wenn wir den Ausstoß von Treibhausgasen sofort stoppen könnten.

Das östliche Mittelmeer gilt als extremes, aber gleichzeitig aufschlussreiches Beispiel dafür, wie stark vom Menschen verursachte Veränderungen der Umwelt auch marine Ökosysteme beeinflussen können, schreiben die Forschenden in dem zugehörigen Paper.

Schritte zum Schutz

Umso wichtiger ist es, so rasch wie möglich wirksame Schritte zum Schutz des restlichen Meeres und der noch nicht so stark betroffenen tieferen Wasserschichten zu ergreifen: "Wir haben eine Krise, und wir sollten gestern handeln", sagt Albano.

In einem FWF-Folgeprojekt arbeitet er mit der Meeresbiologischen Station Neapel zusammen, an der er seit heuer wieder forscht. Anhand der israelischen Umweltverschmutzungsüberwachung, die seit 2005 Daten auch über die im Meer vorkommenden Arten liefert, wollen er und sein Team herausfinden, ob der Biodiversitätskollaps schleichend oder plötzlich erfolgt ist.

Außerdem interessieren sich die Meeresbiologen sehr für das Meer südwestlich von Zypern: Hier herrschen nämlich spezielle Verhältnisse, die das Wasser zwei bis drei Grad kälter machen und das Gebiet zu einem Rückzugsort für viele ursprüngliche mediterrane Arten prädestinieren könnten. (Susanne Strnadl, 15.8.2022)