Der Vorname Egisto ist die italianisierte Fassung des altgriechischen Namens Ägisth. Seinen Sohn Ägisth zu nennen ist ziemlich mutig, denn der mythologische Träger des Namens ist der Mörder des mykenischen Königs Agamemnon aus der Troja-Sage und wird dann selbst von Agamemnons Sohn Orest getötet.

In die österreichische politische Mythologie ist ein gewisser Egisto Ott eingegangen. Die WKStA ermittelt gegen den ehemaligen Mitarbeiter des österreichischen Verfassungsschutzes. Es gibt Hinweise, dass Egisto Ott Informationen an den damaligen FPÖ-Politiker Hans-Jörg Jenewein (aber nicht nur an ihn) weitergegeben hat. Jenewein wiederum ist im Zentrum einer aktuellen internen Affäre zwischen FPÖ-Chef Herbert Kickl und im Wesentlichen der Wiener FPÖ.

Die WKStA ermittelt gegen den ehemaligen Mitarbeiter des österreichischen Verfassungsschutzes.
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Die Sache ist sehr kompliziert, aber das hindert manche, zum Beispiel Martina Salomon, die Chefredakteurin des Kurier, nicht daran, brisante Verschwörungsmutmaßungen anzustellen: "Er (Ott) war Belastungszeuge für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und Informant von Hans-Jörg Jenewein, damals FPÖ-Fraktionsführer im BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz)-Ausschuss. Es wirkt so, als sollten die politischen Karrieren des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache und danach des ÖVP-Chefs Sebastian Kurz ‚gesprengt‘ werden."

Aha! Es war also nicht Strache, der sich selbst in seine Machtrauschfantasien auf Ibiza hineingeredet hat; und es war auch nicht Kurz, der selbst über gefakte, mit Steuergeld bezahlte Umfragen zu seinen Gunsten ("Beinschab-Tool") stürzte; es war der mythologische Mörder Egisto? Das ist ein Plot-Twist, der nicht einmal dem guten alten Homer eingefallen wäre.

Seltsame Spiele

Abseits solcher Theorien ist richtig, dass der Verfassungsschutz unter schwarz-türkisen Innenministern ein unfassbarer Sauhaufen war, in dem ein paar Leute, auch ein Kreis um Egisto Ott, sehr seltsame Spiele trieben. Ein IT-Techniker wird beschuldigt, brisante Postenbesetzungsdaten aus dem Handy des ehemaligen Kabinettschefs im Innenministerium, Michael Kloibmüller, gestohlen zu haben. Das Handy war bei einem lustigen Kanu-Ausflug von NÖ-VPlern in Tulln ins Wasser gefallen. Es wurde dem IT-Techniker zur Rettung übergeben. Wer ganz besondere Verschwörungstheorien liebt, sei darauf hingewiesen, dass das Kanu von der Gattin des nunmehrigen Bundeskanzlers Nehammer, die damals im Kabinett Sobotka war, zum Kentern gebracht wurde.

Die ÖVP war dann so nett (oder so total verantwortungslos), in der türkis-blauen Koalition das Innenministerium dem FPÖler Kickl zu überlassen, der sich vorher mit einer lobenden Rede bei einem rechtsextremen Kongress ("Verteidiger Europas") qualifiziert hatte. Kickl räucherte dann das BVT mit einer Razzia aus. Zweck der Übung war eher, die ÖVP-Dominanz zu beseitigen und nebenbei die Rechtsextremismus-Abteilung kaltzustellen.

Die Egisto-Sage und der ganze Komplex um den (inzwischen neu aufgestellten) Verfassungsschutz sind noch lange nicht aufgearbeitet, das stimmt. Allerdings geht es weniger um absurde Verschwörungstheorien über den Sturz von Strache und Kurz, sondern darum, wie ein Verfassungsschutz derart ruiniert werden konnte. (Hans Rauscher, 10.8.2022)