James Ellroy, der alte Meister des US-Hard-boiled-Genres, im April 2022 in Madrid. Berühmt wurde er mit Romanen wie "White Jazz" und einem atemlosen Stakkatostil.

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Eines kann man James Ellroy sicher nicht unterstellen, Heiterkeit und Optimismus. Für ein glückliches Ende ist der US-Autor nicht zu haben. Insofern liest sich sein neuester Roman Allgemeine Panik einmal mehr so, als ob Luzifer aufgrund der chronischen Überbuchung der Hölle gewisse Dienstleistungen seiner Organisation nach Los Angeles, die zynischerweise als Stadt der Engel benannte kalifornische Sündenmetropole, ausgelagert hätte.

Der heute 74-jährige US-Autor James Ellroy zählt zu den erfolgreichsten, man darf es kaum sagen, Krimiautoren der letzten 40 Jahre. Die Anfänge mit Blut auf dem Mond, Hügel der Selbstmörder oder dem in Ich-Form geschriebenen Serienkillerroman Stiller Schrecken waren noch eher konventionell angelegt. Ab dem internationalen Durchbruch mit Die Schwarze Dahlie 1987, dem Start des sogenannten L.A.-Quartetts, das 1992 mit White Jazz das Krimigenre endgültig sprengte, begann sich der ehemalige Junkie und Kleinkriminelle aus L. A. auf seine wahre Passion zu verlegen.

Mit schnellen Schnitten, kurz aufblitzenden Schlaglichtern und in atemlosem Tempo entwickelte Ellroy einen zunehmend schwierig zu lesenden, abrupten und jeden Deutschlehrer dank unvollständiger Sätze in den Kuraufenthalt treibenden Stakkato-Stil. Ellroy wollte sein Publikum nun nicht länger mit faden geradlinigen Handlungssträngen langweilen.

Historische Romanstoffe

Mit kiloschweren Ziegeln wie Ein amerikanischer Thriller, Ein amerikanischer Alptraum und Blut will fließen, eine Trilogie, die von der Ermordung John F. Kennedys bis zur Watergate-Affäre reicht, versucht sich Ellroy seither an historischen Romanstoffen. Anhand politischer Intrigen und des organisierten Verbrechens als Drahtzieher im Hintergrund entwirft Ellroy das Sittenbild einer durch und durch verkommenen amerikanischen Gesellschaft.

Die Schattenseiten des amerikanischen Traums – Mord, Totschlag, Erpressung, Korruption – werden überkomplex anhand eines kaum in drei Reisebussen unterzubringenden Personals geschildert. Erstaunlich, dass es mit L.A. Confidential 1997 sogar eine geglückte Hollywood-Verfilmung mit Kim Basinger und Russell Crowe gegeben hat.

SXSW

Als eines der Hauptwerke des Autors gilt My Dark Places, in deutscher Übersetzung als Die Rothaarige vorliegend. Darin gräbt sich Ellroy tief in einen bis heute ungelösten Mordfall. Als Ellroy zehn Jahre alt war, wurde seine Mutter brutal ermordet. Nachdem es in den letzten Jahren etwas still um James Ellroy geworden war, obwohl er nach wie vor bei wechselnden Verlagen veröffentlichte, zuletzt etwa 2019 Jener Sturm, meldet er sich jetzt mit einem etwas schlankeren und leichter handhabbaren Band zurück.

Beispielloser Zynismus

Es ist in düsteren Zeiten auch nicht immer leicht, sich mit diesem beinahe beispiellosen Zynismus und dieser mit großem Furor unternommenen Schwarzseherei auseinanderzusetzen, mit denen Ellroy die Welt in seinen Romanen immer wieder untergehen lässt. In Allgemeine Panik begibt sich der stramme Konservative, der gern auch gegen die Gegenkultur der 1960er- und 1970er-Jahre wettert, Rockmusik hasst und Beethoven liebt, einmal mehr in die Hinterhöfe von Los Angeles. Fakten und Fiktion werden anhand einer historischen Figur, des Ex-Polizisten Fred Otash, durchmischt und während eines als Lebensbeichte durchgezogenen Höllenritts miteinander vernietet.

Der 1992 gestorbene Fred Otash war ein sogenannter "Hollywood Fixer", ein Mann, der nicht nur Probleme für Filmstudios oder mächtige Personen in Los Angeles unbürokratisch löste, sondern zwecks Steigerung der Auflagen durch Erpressung oder auch Gewalt den amerikanischen Skandalblättern zuarbeitete. Ein drogensüchtiger US-Präsident oder die medikamentenabhängige Marilyn Monroe tauchen ebenso auf wie die polygame Elizabeth Taylor. James Dean kommt als bezahlter Gigolo vor, mit dessen heimlich aufgenommenen Fotos, die ihn beim Geschlechtsakt mit reichen grünen Witwen zeigen, Otash den Damen der Gesellschaft Geld abpresste.

Die Illustrierte nennt sich Confidential, ein Vorbote der heutigen Schmuddelabteilung im Internet: "Confidential war der geile Gral unserer geschockten Generation. Desillusionierung heißt Aufklärung. Confidential bot Wahrheiten feil und harpunierte Heuchler. Ein zutiefst moralisches Unterfangen. Die meschuggene Magna Charta unseres überdrehten und kaputten Zeitalters." Harter Stoff, nicht für alle Tage. Paint it black. (Christian Schachinger, 10.8.2022)