Im Büro von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) eilt der Pressesprecher gestresst durch die Gänge. Zahlreiche Interviews stehen an. Zadić will in der Debatte über Hass im Netz daran erinnern, dass Betroffene seit vergangenem Jahr das Recht auf psychologische und rechtliche Beratung haben – kostenlos. Außerdem sollen sich spezialisierte Staatsanwaltschaften mit Internetkriminalität befassen. Einer ganz eigenen Staatsanwaltschaft dafür, wie sie die ÖVP forderte, erteilte Zadić bereits eine Absage. Von Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wünscht Zadić sich, im Fall Telegram tätig zu werden.

Will mit höheren Gehältern Expertinnen und Experten für Hass im Netz in den Justizbereich locken: Justizministerin Alma Zadić (Grüne).
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Der Fall des Suizids der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr hat das Thema Hass im Netz auf tragische Art und Weise wieder entfacht. Halten Sie als Ministerin die Gesetze hier für ausreichend?

Zadić: Es ist schrecklich, wenn man feststellt, dass sich Betroffene, in diesem Fall Frau Kellermayr, nicht gehört und nicht unterstützt fühlen. Da müssen wir an mehreren Stellen ansetzen. Zum einen geht es um die Ausforschung der Täterinnen und Täter. Das ist immens wichtig und Aufgabe der Polizei. Nur so können Täter wirklich verfolgt werden. Zum anderen braucht es dafür aber auch mehr Experten und mehr IT-Kompetenz bei der Polizei sowie bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten. Dafür müssen wir auch die Gehälter für Experten erhöhen. Der Staat hat zunehmend Probleme, diese einzustellen, weil sie von Firmen abgeworben werden, die mehr zahlen. Da müssen wir schauen, wie wir mithalten können.

STANDARD: Die Frage war, ob die bestehenden Gesetze ausreichen. Für die Behörden ist ein großes Problem, dass sich gerade auf verschlüsselten Plattformen wie Telegram anonyme Täter nur sehr schwer ausforschen lassen.

Zadić: Sowohl die Experten als auch die Staatsanwaltschaft haben mir zurückgemeldet, dass die Gesetze ausreichen. Es ist jetzt schon einiges möglich. Was wir brauchen, ist mehr behördliche Kompetenz im Bereich Informationstechnologie.

STANDARD: Ist der seit Jahren heiß diskutierte Bundestrojaner, der eine Überwachung von Geräten ermöglicht, in diesem Zusammenhang innerhalb der Koalition wieder auf dem Tisch?

Zadić: Nein.

STANDARD: Zurück zu Telegram: Die Rechtslage mag ausreichend sein, doch die Plattform entzieht sich einer Durchsetzung, während sich extremistische Gruppierungen dort vernetzen. Deutschland hat es durch politischen Druck geschafft, dass sie einem Austausch eingewilligt hat. Stünde in Österreich eine Sperre im Raum, sollte Telegram nicht kooperieren?

Zadić: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) ist für die Umsetzung des Kommunikationsplattformgesetzes, das die Kooperation von Telegram regeln soll, verantwortlich. Die Plattform reagiert kaum, ich habe aber auch gehört, dass Twitter nur so halb kooperiert. Ich gehe davon aus, dass die Ministerin rasch tätig wird, weil es hier wirklich Probleme gibt.

Die Justizministerin hält die bestehende Gesetzeslage bei Hass im Netz für ausreichend.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Und wäre die letzte Konsequenz eine Sperre?

Zadić: Das liegt in der Zuständigkeit der Bundesministerin, sich das anzuschauen. Aber da gibt es sicherlich verschiedene Möglichkeiten.

STANDARD: Sie haben zuletzt auch eine neue EU-Regelung, die E-Evidence -Verordnung, genannt.

Zadić: Es gibt zwei Instrumente auf EU-Ebene, das eine ist die E-Evidence-Verordnung, das andere der Digital Services Act, der die Gesetze für die Regulierung von Plattformen europaweit vereinheitlichen soll.

STANDARD: Letzteres Gesetz soll Firmen verpflichten, einer EU-Behörde auch Auskunft zu geben, wenn ihr Sitz in einem anderen Mitgliedsland ist. Nur: Warum sollten Firmen, die außerhalb der EU sitzen und Anfragen ignorieren, jetzt plötzlich kooperieren?

Zadić: Ein europäisches, gemeinschaftliches Vorgehen ist immer stärker und greift immer besser als einzelstaatliche Vorgehen. Man sieht ja auch, dass es für kleinere Mitgliedsstaaten schwieriger ist, größere Plattformen zu überzeugen, sich an ihre Regelungen anzupassen. Als Europäische Union hat man eine viel größere Handhabe. Und: Das Internet und Hass im Netz kennen keine Staatsgrenzen. Es wäre hier dringend notwendig, künftig rascher zu ermitteln.

STANDARD: Wie arbeiten Sie den Fall Kellermayr in Ihrem eigenen Ressort auf? Welche Schlüsse ziehen Sie?

Zadić: Es zeigt sich, dass viele Betroffene nicht über ihre rechtlichen Möglichkeiten Bescheid wissen. Sie setzen sich nicht zur Wehr, weil sie die Kosten scheuen und glauben, dass es nichts bringt. Deshalb starten wir jetzt eine Info-Kampagne. Betroffene sollen wissen, dass ihnen eine kostenlose psychosoziale und rechtliche Beratung zusteht. Das reicht von der Frage, ob man Anzeige erstatten soll, bis hin zu einem beigestellten Anwalt, sollte es zu einem Verfahren kommen. Täter dürfen sich nicht länger in Sicherheit wiegen, wenn sie hinter einem Bildschirm eine Morddrohung abschicken.

STANDARD: Aber ist nicht genau der Fall Kellermayr ein abschreckendes Beispiel dafür? Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Wels zwischenzeitlich eingestellt, weil der mutmaßliche Täter, der ihr mit Mord drohte, Deutscher ist. Sie musste für ihren Schutz selbst bezahlen. Zu einer Razzia kam es erst nach ihrem Tod.

Zadić: Menschen, die gefährdet sind, brauchen Schutz. Die Staatsanwaltschaft Wels hat einen Teil des Verfahrens nach München abgetreten, und es kam dort zu Ermittlungsschritten, wie etwa der Hausdurchsuchung. Das ist auch sinnvoll, weil die Ermittlungsbehörden vor Ort rascher reagieren können. In Österreich wurde aber weiter gegen weitere unbekannte Täterinnen und Täter ermittelt. Dass das so lange gedauert hat, liegt aber auch an der Ausforschung der Täter.

STANDARD: Allerdings erst nach ihrem Suizid. Werden Fälle von Hass im Netz aus Ihrer Sicht behördlich wirklich ernst genommen? Der Polizeisprecher unterstellte Kellermayr sinngemäß in einem Radiointerview, sich bloß wichtigmachen zu wollen.

Zadić: Ich kann nur für die Justiz sprechen. Innerhalb dieser gibt es Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen. Es wurden eigene Kompetenzstellen für Cyberkriminalität in Wien und Graz errichtet. Diesen Weg werden wir weitergehen. Spätestens im kommenden Jahr sollen diese speziellen Kompetenzstellen flächendeckend zur Verfügung stehen. Die erste Anlaufstelle ist die Polizei, und die Betroffenen müssen darauf vertrauen können, dass ihr Anliegen ernst genommen wird und die Fälle an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden.

STANDARD: Apropos Polizei: Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat sich im Fall Kellermayr hinter die Polizei gestellt, richtete aus, dass alle möglichen Maßnahmen gesetzt worden seien. Haben Sie mit ihm gesprochen?

Zadić: Ja, und ihm ist das Thema sehr wohl ein Anliegen. Dem Innenminister und mir ist klar: Es braucht mehr Ressourcen, sowohl bei der Polizei wie auch bei den Staatsanwälten, aber auch bei den Gerichten. Es gibt zum Beispiel eine Polizeieinheit zur Transaktionsanalyse bei Bitcoin, die ist ausgezeichnet. Hier braucht es aber jedenfalls mehr Kompetenzausbau. (Muzayen Al-Youssef, Jan Michael Marchart, 9.8.2022)