Fledermäuse, die Winterschlaf halten, können ungewöhnlich lang leben. Die Große Braune Fledermaus, hier im Bild, wird bis zu 19 Jahre alt.
Foto: Brock and Sherri Fenton

"Gut schaust du aus für dein Alter" – ungeschickten Komplimenten wie diesem liegt ein Phänomen zugrunde, für das die Wissenschaft bis vor kurzem keine befriedigende Lösung anbieten konnte: Das wirkliche Alter ist kein besonders gutes Maß für das biologische Alter eines Organismus. Es ist nicht nur das Aussehen, das manchmal täuscht, manche Individuen altern tatsächlich schneller, andere langsamer. Letztere leben auch länger. Die Biologie suchte lange Zeit nach einer Möglichkeit, neben den reinen Lebensjahren auch dieses "wirkliche" biologische Alter zu messen, das mehr darüber aussagt, wie sehr Organismen von Alterserscheinungen betroffen sind und wie lange sie noch zu leben haben.

Eine genetische Altersuhr ...

Die Lösung liegt in den Genen. Es zeigte sich, dass die sogenannte Methylierung der DNA erstaunlich eng mit der verbleibenden Lebenszeit korreliert. Die Methylierung ist keine Veränderung der Gene, sondern zählt zur Epigenetik, also zu den Eigenschaften des Erbguts, die während der Lebenszeit verändert werden können. Der Vorgang bezeichnet das Anbinden bestimmter Moleküle an den DNA-Strang, wodurch die Möglichkeit der Zelle, die DNA abzulesen, verändert wird. Die Bestimmung des Alters durch die Methylierung wird nach ihrem Entdecker "Horvath-Uhr" genannt. Damit gibt es seit knapp zehn Jahren ein verlässliches Maß für das tatsächliche Alter von Lebewesen.

... für Fledermäuse

Einer Forschungsgruppe um Gerald Wilkinson von der Universität Maryland gelang es letztes Jahr, eine solche Altersuhr für Fledermäuse zu etablieren und im Fachjournal "Nature Communications" zu publizieren – Koautor war der eben erwähnte Steve Horvath. Dabei zeigten die Forschenden auch Unterschiede zwischen der Altersuhr von Fledermäusen und jener größerer Lebewesen auf.

Nun legte das Team eine neue Studie in der Fachzeitschrift "Proceedings of the Royal Society B" nach, die von einem Zusammenhang des biologischen Alters von Fledermäusen der Art Eptesicus fuscus, einer in den USA weitverbreiteten und ungewöhnlich langlebigen Art, mit dem Winterschlaf berichtet.

Die Uhr anhalten

"Tiere, die Winterschlaf halten, neigen dazu, viel länger zu leben als andere Tiere. Das wussten wir, doch wir wussten nicht, ob wir auch Veränderungen in der Altersuhr feststellen können", sagt Wilkinson.

Genau das gelang nun. Bei der Analyse von Proben aus den Flügeln von 20 Großen Braunen Fledermäusen während und außerhalb des Winterschlafs wurde ein Anhalten der epigenetischen Altersuhr um ein Dreivierteljahr, also deutlich länger als die Dauer des Winterschlafs. Die epigenetischen Änderungen traten an bestimmten Genen auf, die mit dem Stoffwechsel beim Winterschlaf in Verbindung gebracht werden.

Greise Kleinsäugetiere

Fledermäuse haben eine für die Forschung interessante Fähigkeit, die auch für Mäuse zutrifft: Sie eignen sich durch ihre kurze Lebensspanne sehr gut für die Altersforschung – ihre "eigentlich" kurze Lebensspanne, denn während Hausmäuse nur etwa drei Jahre alt werden, gibt es bei manchen ihrer Verwandten verblüffend lange Lebenserwartungen. So kann etwa der Nacktmull, ein in Afrika heimischer Nager, der unter der Erde lebt und ein wenig aussieht wie ein nackter Maulwurf, geradezu astronomische 30 Jahre alt werden. Wie das Tier, das ganz nebenbei nicht an Krebs erkrankt, dies zuwege bringt, ist nach wie vor Gegenstand von Forschungen.

Nacktmulle werden fast zehnmal so alt wie andere Nagetiere. Sie kennen kein Schmerzempfinden und erkranken nicht an Krebs.
Foto: Thomas Park / UIC

Ähnlich verhält es sich auch mit den nun untersuchten Fledermäusen, die mit 18 Jahren Lebenserwartung auch zu den Greisen unter den Kleinstsäugetieren zählen. Der Einfluss des Winterschlafs auf das biologische Alter konnte nun nachgewiesen werden.

Weitere Forschungen nötig

Wilkinson betont aber, dass weitere Studien nötig seien. Auch wenn bei der Großen Braunen Fledermaus ein direkter Zusammenhang zwischen Altersuhr und Winterschlaf gezeigt werden konnte – das Halten von Winterschlaf sei eine "notwendige" Bedingung für hohes Alter bei Fledermäusen, keine "hinreichende".

Der technisch anmutende Hinweis macht für die Wissenschaft einen entscheidenden Unterschied: Es gibt sehr wohl kleine Säugetiere, die Winterschlaf halten und nicht besonders alt werden. Winterschlaf kann also nicht die alleinige Ursache für die Langlebigkeit sein. Umgekehrt scheinen aber alle ungewöhnlich langlebigen Kleinstsäugetiere Winterschlaf zu halten. Ein Zusammenhang ist also plausibel. Diesen versucht die Gruppe nun mit weiteren Forschungen aufzuspüren. (Reinhard Kleindl, 10.8.2022)