Die deutsche Polizei steht in der Kritik.

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Tödliche Polizeischüsse auf einen 16-Jährigen in der Ruhrgebietsmetropole Dortmund beschäftigen zurzeit Deutschland. Am Montag wurde ein junger Senegalese gegen 16.20 Uhr vor einer Betreuungseinrichtung von fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole des Typs MP5 der Marke Heckler und Koch getroffen, wie der "Stern" berichtet. Ein Betreuer der Einrichtung, in die der Jugendliche erst vor kurzem eingezogen sein soll, hatte demnach kurze Zeit zuvor die Polizei gerufen, weil er den 16-Jährigen im Innenhof einer benachbarten Kirche mit einem Messer hantieren sah.

Nachdem der Einsatz von Reizgas sowie eines Elektroschockers durch die herbeigeeilten Einsatzkräfte ihre Wirkung verfehlt hatte, hätten die Beamten von ihrer – in Nordrhein-Westfalen zur Grundausstattung der Polizeistreifenwagen zählenden – Maschinenpistole Gebrauch gemacht. Insgesamt, so der für Kapitaldelikte zuständige Dortmunder Oberstaatsanwalt Carsten Dombert am Dienstag, seien sechs Patronenhülsen gefunden worden, fünf Schüsse trafen ihr Ziel: Eine Kugel traf den Jugendlichen im Bauch, eine im Kiefer, drei in Schulter und Unterarm. Noch während einer Notoperation im örtlichen Krankenhaus starb der Senegalese an den Schussverletzungen. Was der von Dombert am Dienstag als suizidal beschriebene 16-Jährige mit dem Messer vorhatte, also ob er tatsächlich einen Angriff auf die Beamtinnen und Beamten androhte, war laut Staatsanwaltschaft zunächst noch unklar.

"Bedrohliche" Situation vorab

Die Frage, warum es überhaupt zu dem Polizeieinsatz gekommen ist – und warum er so eskalierte –, ist derzeit nicht zu beantworten. Die Situation habe für den Betreuer, der die Polizei gerufen hatte, jedenfalls "bedrohlich" gewirkt, sei es "für den Jugendlichen selbst oder für andere", wie Oberstaatsanwalt Dombert der "Taz" sagte. Die Dortmunder Polizei meldete am Abend nach der Tat auf Twitter, der Jugendliche, der als unbegleiteter Flüchtling aus seiner westafrikanischen Heimat zuerst ins rheinland-pfälzische Mainz und vor kurzem nach Dortmund gekommen sei, habe die Beamtinnen und Beamten mit einem Messer angegriffen.

Drei Betreuer aus der Jugendeinrichtung, die Zeugen des tödlichen Schusswaffeneinsatzes wurden, werden noch befragt. Der Dortmunder Beamte, der mutmaßlich die Schüsse auf den Jugendlichen abgegeben hat, wird nun "aus Neutralitätsgründen", wie es heißt, von Kolleginnen und Kollegen der Polizei Recklinghausen befragt – laut Staatsanwalt Dombert lautet der Anfangsverdacht wie in diesen Fällen üblich auf Körperverletzung mit Todesfolge.

Kritik an Untersuchung

Kritikerinnen und Kritikern geht diese Neutralität nicht weit genug. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) moniert seit Jahren, dass die deutsche Polizei bei Fällen von Gewalt nicht ausreichend unabhängigen Verfahren unterzogen werde. Auch im aktuellen Fall wird Kritik laut: Der Soziologe Aladin El-Mafaalani kritisiert, dass nun die Polizei Recklinghausen den Fall in Dortmund untersucht, während die Polizei Dortmund nach einem weiteren tödlichen Polizeieinsatz nahe Recklinghausen ermittelt – dort war am Vortag ein Randalierer nach dem Einsatz von Reizgas gestorben.

Allein in der ersten Augustwoche starben in Deutschland drei Menschen durch Polizeikugeln: Neben dem 16-Jährigen in Dortmund wurden zuvor in Frankfurt am Main ein Obdachloser in einem Hotelzimmer sowie ein Straßenmusiker während einer Zwangsdelogierung in Köln erschossen. (flon, 10.8.2022)