NFTs sind tot.

Foto: REUTERS/FLORENCE LO

Eine junge Frau furzt in ein Marmeladenglas, verkauft ihre konservierten Darmwinde und ist damit wohl auch wegen der weltweiten Schlagzeilen höchst erfolgreich. Als sie von ihrer den Meteorismus fördernden Ernährung aus Bohnen und Proteinpulver krank wird, gibt die findige "Fartpreneurin" ihr Geschäft nicht auf. Sie verkauft statt echten Marmeladengläsern mit geruchsintensivem Inhalt sogleich Non-Fungible Tokens (NFTs).

Also einzigartige digitale Abbilder ihres Bestsellers, einen Pixelfurz, eine digitale Stinkbombe. Käufer haben die Gelegenheit, das Bildchen eines Fart-Jars gegen getragene Unterwäsche zu tauschen – immerhin. Das war im Jänner dieses Jahres, die NFT-Seite gibt es mittlerweile nicht mehr.

Post und Belvedere mit NFTs wenig erfolgreich

Mit dem Kryptocrash kam auch der Untergang der Non-Fungible Tokens. Das geht stark vereinfacht so: In der Blockchain scheint der Käufer eines NFTs als dessen Eigentümer auf. Anders als bei "klassischen" Kryptowährungen wie Bitcoin existiert ein NFT aber nur einmal. Damit ist der digitale Besitz nicht austauschbar und für immer dem Besitzer zugeordnet – ob das ein Stück eines Klimt-Bildes ist oder ein Glas mit einem Furz, ist dabei völlig egal.

Aber wie wird das besagte Klimt-Bild zum NFT? Schließlich existiert es ja schon. Ganz einfach, das Wiener Belvedere nahm eine digitale Kopie von Klimts "Kuss", zerlegte es in 10.000 Fuzerln und hoffte, damit 18,5 Millionen Euro einzunehmen. Doch die Aktion ging schief. In vier Monaten wurden nur 2.415 Stück vom "Kuss" zum Einzelpreis von 1.850 Euro verkauft – die Verkaufsaktion läuft bis heute eher schleppend.

Auch die Österreichische Post sprang auf den Zug rund um die neue Technologie auf – als der Hype schon längst am Abebben war. In sogenannten Crypto-Stamp-Art-Mystery-Boxen befinden sich je vier NFTs. 400 Stück wurden bislang verkauft.

Große Hoffnung in der Kunstszene

Dabei versprach die Technologie so viel: Analoge Künstler fanden einen komplett neuen Absatzmarkt für ihre Werke – und das weltweit per Mausklick. Stundenlang standen die Menschen Schlange, um die immersiven NFT-Werke des Künstlers Refik Anadol in Berlin zu sehen. Die renommierte "Art Review" kürte die geschützten Dateien sogar zur einflussreichsten Kraft in der aktuellen Kunst.

Besucherinnen einer Kunstinstallation namens "Machine Hallucinations – Space: Metaverse". Das Kunstwerk wurde in ein NFT umgewandelt und später verkauft.
Foto: Reuters, Tyone Siu

Auch die Gaming-Branche war in Aufruhr: Wie cool wäre einzigartiger Loot in "Diablo 4", der nur der Kreuzritterin gehört und niemandem sonst? Oder eine einzigartige Waffe, die man nicht nur in "The Division 2", sondern auch in "Ghost Recon" einsetzen kann? Oder ein Trading-Card-Game mit einzigartigen Artworks, die man mit anderen Spielern tauschen kann – ganz wie früher die Panini-Pickerln auf dem Schulhof? Das alles klang beinahe zu schön, um wahr zu sein.

Gründe für den Tod – Erstens: Die Gier

Doch was war geschehen, was versetzte NFTs den Todesstoß? Erstens: menschliche Hybris und Gier. Die digitalen Furzgläser stehen für die letzte Ausdünstung einer Technologie, die ansetzte, die Werke von Michelangelo jedermann zugänglich zu machen, und bei Flatulenzen endete.

Der Ruf von NFTs begann schnell zu bröckeln, als der Hype noch groß war. Das ist freilich nicht der Technologie geschuldet, sondern liegt eher an fragwürdigen Aktionen von Influencern und Unternehmen. So verkaufte der Youtuber Logan Paul 44 NFTs, die ihn auf einer einzigartigen "Pokémon"-Karte zeigten. Die Sängerin Azealia Banks verkaufte ein Filmchen, das sie beim Geschlechtsverkehr mit dem Künstler Ryder Ripps zeigte. Kostenpunkt: 22.500 Dollar.

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Der "Bored Ape Yacht Club" waren eines der erfolgreichsten NFT-Projekte überhaupt.
Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/MARIO TAMA

Sogar die digitale Leiche von Donald Trump mit dem Titel "Crossroads" konnte man kaufen. 6,6 Millionen Dollar wurden dafür am Sekundärmarkt ausgegeben. Der Rapper Snoop Dogg verscherbelte in einem Online-Game virtuelle Grundstücke neben seinem Haus für bis zu 450.000 Dollar. Ein stolzer Preis für das Privileg, sich als virtueller Nachbar von Snoop Dogg bezeichnen zu dürfen.

Der US-Verlag Pearson's lamentierte jüngst, dass dessen Schulbücher bis zu sieben Mal weitergegeben werden, aber man nur einmal daran verdiene – nur um im gleichen Atemzug NFTs ins Spiel zu bringen. Um es zuzuspitzen: Man will also eine Gebühr verlangen, wenn ein Vokabelheft an die kleine Schwester weitervererbt wird.

Renderings von Autos, wie etwa eines Nissan GTR, wurden als NFT teurer verkauft als das Auto selbst. Für die 2,3 Millionen Dollar aus dem Verkauf eines Bildes eines Autos hätte man 15 echte Modelle des Supercars kaufen können.

Betrüger und der weggezogene Teppich

Lange dauerte es nicht, bis Betrüger die neue Technologie für sich entdeckten. Da wäre etwa der Fall von "Pixelmon". Der Hype war groß, schließlich sollte es sich um das "Pokémon" der NFT-Welt handeln. 70 Millionen US-Dollar sammelte "Pixelmon" bis zum Tag der Veröffentlichung, also der "Prägung", wie es im Fachjargon heißt, ein. Dann kam die Enttäuschung. Der künstlerische Wert der Pixelmonster blieb deutlich hinter den Erwartungen, um Worte wie "scheußlich" oder "grauenhaft" zu vermeiden.

Bilder von gelangweilten Affen waren von Anfang an in der NFT-Szene heißbegehrt. Daran wollten auch die Betrüger hinter dem "Big Daddy Ape Club" partizipieren. Sie verkauften 2.222 NFTs um insgesamt 9.136 Solana, was vor dem Kryptocrash etwa 1,3 Millionen Dollar entsprach. Als die Affenbildchen im Jänner an die Käufer gehen sollten, zogen die Betrüger den Stecker und verschwanden. Nach den Drahtziehern wird bis heute gefahndet.

Dieses Manöver trat derart häufig auf, dass es in der Kryptoszene sogar einen eigenen Namen bekam. Beim sogenannten "Rug Pull" (also in etwa: den Teppich unter den Füßen wegziehen) wird ein zweifelhaftes Blockchain-Projekt gestartet, nur damit das Gründerteam mit dem Geld der Investoren verschwinden kann.

Kein Wunder, dass der Ruf von NFTs als Mittel der Wahl für schnelle Abzocke und unmoralische Beutelschneiderei schnell zementiert war.

Ein gelangweilter Affe wechselt um 176.000 Dollar den Besitzer.
Foto: Bored Ape Yacht Club, Opensea

Zweitens: Der Crash

Zweitens: der Kryptocrash. Die meisten NFTs werden in Ethereum gehandelt. Die zweitgrößte Kryptowährung stürzte aber von 4.221 Euro auf dem Höchststand Ende letzten Jahres im Juni auf 840 Euro ab. Auch wenn sich die Kurse aktuell wieder leicht erholen: Mit einem Schlag waren Milliardenwerte vernichtet. NFTs waren plötzlich einfach nicht mehr lukrativ genug. Die Wertanlage war dahin.

Drittens: Der "Konstruktionsfehler" von NFTs

Um es noch einmal zu betonen: Für Betrüger und den Kryptocrash kann man nicht die Technologie hinter NFTs verantwortlich machen. Aber für eine andere Schwachstelle schon, was uns zu Punkt drei auf unserer Liste des Untergangs führt: Technologien müssen verständlich sein, um Erfolg in der Breite zu feiern.

Bis heute ist das Konzept hinter den Tokens dem Massenmarkt kaum zu vermitteln. Der Zusammenhang von Blockchain, nicht austauschbaren Tokens und deren Bezahlung in Kryptowährungen ist selbst für Auskenner oft schwer zu begreifen. Die Verankerung in der Blockchain bedeutet den meisten Menschen nichts und ist damit wertlos.

Den Satz "Aber wenn ich einen Screenshot mache, dann gehört mir das Bild ja auch" hat wahrscheinlich jeder schon einmal im Bekanntenkreis gehört. Motto: Man muss nicht Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" besitzen, wenn eine Kopie in Form eines Kunstdruckes in der Wohnung ebenso gut aussieht.

Aufnahme aus dem NFT Lab von "Die Dixons" in Berlin. Die Frage bleibt: Kann man nicht einfach ein Kunstwerk fotografieren und besitzt es dann auch irgendwie? NFTs krankten an einem Verständnisproblem.
Foto: REUTERS/Annegret Hilse

Oder um ein besonders plattes Beispiel zu nennen: Ein Fernseher, der dank einzigartiger Seriennummer in der Blockchain einem Besitzer zugewiesen wurde, nützt niemandem. Selbst wenn er gestohlen wird, ist er zwar noch – ähnlich wie ein Autokennzeichen – seinem Besitzer zugeordnet. Nur kann man eben mit einem Auto, das einem gestohlen wurde, nicht mehr fahren – oder auf einem verschwundenen Fernseher Netflix schauen.

Über die Toten nur Gutes

"Über die Toten nur Gutes", lautet ein altes Sprichwort. Das gilt natürlich ganz besonders für einen Nachruf wie diesen. Deshalb wollen wir zum versöhnlichen Abschluss noch eine Nische erwähnen, in der die Seele von NFTs noch herumspuken und Gutes vollbringen darf. Nämlich bei jungen, unbekannten und unterschätzten Kunstschaffenden.

So wie bei der Kanadierin Lana Denina, die sich als farbige Künstlerin, wie sie selbst sagt, in den Kunstgalerien nie besonders wohlfühlte. Sie tat sich dadurch schwer, in der Szene Fuß zu fassen, und bietet ihre Werke als NFTs an – mit Erfolg. Wie DER STANDARD berichtete, konnte sie binnen kürzester Zeit rund 350.000 Euro verdienen. NFTs machten ihre Karriere erst möglich.

Dennoch: Es war kurz, es war heftig, es war intensiv. Wir werden dich wahrscheinlich nicht vermissen. Ruhe in Frieden, NFT. (Alexander Amon, Peter Zellinger, 12.8.2022)