Deutschlands Finanzminister Christian Lindner (FDP) plant eine Steuerreform.

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Berlin – Deutschlands Finanzminister Christian Lindner (FDP) will 48 Millionen Bürger und Bürgerinnen steuerlich entlasten. Insgesamt sollen sie im kommenden Jahr mehr als zehn Milliarden Euro sparen, wie der FDP-Politiker am Mittwoch in Berlin sagte: "Rentnerinnen und Rentner, sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, Selbstständige: In der ganzen Breite der Gesellschaft sind Menschen davon betroffen."

Zusätzlich zu einer Anpassung des Einkommensteuertarifs sollen auch das Kindergeld und der Kinderfreibetrag erhöht werden. Die Pläne sind in der Berliner Koalition noch nicht abgestimmt und umstritten.

Inflationsrate deutlich gestiegen

Durch den russischen Krieg in der Ukraine ist in Deutschland die Inflationsrate deutlich gestiegen, vor allem durch höhere Preise für Energie. Auch im Juli lag die Inflationsrate weiterhin bei über sieben Prozent, im Juni bei 8,2 Prozent. "Für viele Menschen ist das tägliche Leben sehr viel teurer geworden", sagte Lindner. Zugleich sei auch die wirtschaftliche Perspektive fragiler. "Wir sind also in einer Situation, wo gehandelt werden muss." Durch die Steuerreform will er dafür sorgen, dass der Staat weniger an der Inflation mitverdient.

Denn durch die sogenannte kalte Progression droht vielen laut Lindner eine "heimliche Steuererhöhung": Wegen der hohen Inflation sinkt zwar ihre Kaufkraft, die Steuern bleiben aber hoch. Oder Gehaltserhöhungen, die eigentlich direkt durch die Inflation aufgefressen werden, führen zu einer höheren Besteuerung.

Die Idee des Steuerrechts sei, dass starke Schultern mehr tragen als schmale Schultern, so Lindner. "Durch die Inflationsentwicklung werden aber Menschen, deren Schultern gar nicht breiter geworden sind, trotzdem im Steuertarif nach oben geschoben und belastet." Die Reform sei also dringend geboten, wenn der Staat nicht heimlich für viele die Steuern erhöhen wolle.

Grundfreibetrag soll steigen

Um das aufzufangen, will Lindner an den Stellschrauben des Einkommensteuertarifs drehen. Der Grundfreibetrag, also das Einkommen, bis zu dem keine Steuer gezahlt werden muss, soll steigen. Konkret von derzeit 10.347 Euro auf 10.632 Euro im kommenden und 10.932 Euro im Jahr 2024.

Auch weitere Eckwerte des Steuertarifs werden verschoben. So soll der Spitzensteuersatz von 42 Prozent im kommenden Jahr erst bei einem zu versteuernden Einkommen von 61.972 Euro greifen, 2024 dann erst bei 63.515 Euro.

Die Grenze für den noch höheren Reichensteuersatz von 45 Prozent will Lindner bewusst nicht antasten, weil er in dieser Einkommensklasse keine zusätzliche Entlastung für nötig hält. Damit, so betonte der FDP-Chef, handle er anders als etwa sein Vorgänger, der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz. Der SPD-Politiker habe bei seiner Reform auch die Reichsten entlastet.

Prozentual werden Geringverdiener deutlich stärker entlastet als Topverdiener – in absoluten Zahlen sieht das aber anders aus. So soll ein Bürger mit zu versteuerndem Einkommen von 20.000 Euro im kommenden Jahr 115 Euro weniger Steuern zahlen. Bei einem Einkommen von 60.000 Euro machen die Entlastungen nach Zahlen aus dem Finanzministerium bereits 471 Euro aus. Für noch höhere Einkommen werden sie gedeckelt auf 479 Euro.

Kritik am Plan: Sozial unausgewogen

Grüne und SPD halten das für sozial unausgewogen. Lindner jedoch betonte, der Deckel setze beim 1,5-Fachen des Durchschnittseinkommens an. "Das ist nicht die Spitzenetage der Gesellschaft, sondern das sind die qualifizierten Fach- und Führungskräfte, das ist die Technikerin, das ist der Ingenieur, das sind die Menschen, die noch Tarifentgelte der Gewerkschaften beziehen."

Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch kritisierte dennoch: "Steuersenkungen in Milliardenhöhe, von denen Topverdiener dreimal so stark profitieren wie Menschen mit kleinen Einkommen, gehen an der Realität vorbei." Es müssten nun Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen entlastet werden. Auch SPD-Fraktionsvize Achim Post betonte, Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen müssten noch einmal verstärkt unterstützt werden. Dafür seien Direktzahlungen wie die Energiepreispauschale das beste Mittel der Wahl.

Lindner dagegen betonte: "Ich finde, dass zur Fairness gehört, auf der einen Seite diejenigen zu sehen, die Solidarität bedürfen und von uns empfangen. Auf der anderen Seite dürfen aber auch nicht diejenigen vergessen werden, die von den Ergebnissen ihrer Schaffenskraft viel abgeben, um den sozialen Frieden in unserem Land zu erhalten, den Staat handlungsfähig zu erhalten."

Entlastung für Familien mit Kindern

Zusätzlich zur Steuerreform plant Lindner eine Extraentlastung für Familien mit Kindern. Das Kindergeld soll in zwei Stufen steigen und dabei auch vereinheitlicht werden. Im kommenden Jahr soll es für das erste, zweite und dritte Kind monatlich je 227 Euro geben. Ab dem vierten Kind kommen 250 Euro aufs Konto. Im Jahr 2024 sollen die Sätze für das erste bis dritte Kind noch einmal angehoben werden – auf 233 Euro.

Das Kindergeld beträgt aktuell je 219 Euro im Monat für das erste und zweite Kind. Für das dritte Kind erhalten Familien 225 Euro, ab dem vierten Kind beträgt das Kindergeld 250 Euro im Monat. Nach Lindners Plänen soll auch der steuerliche Kinderfreibetrag steigen.

Der Bund der Steuerzahler begrüßte zwar Lindners Pläne für das kommende Jahr. Es handle sich aber nicht um ein echtes Entlastungspaket. Die Freibeträge für Kinder und Erwachsene bei der Einkommensteuer müssten per Gesetz ohnehin der Preissteigerung angepasst werden. Zudem schlage auch im laufenden Jahr mit hoher Inflation die kalte Progression zu – bei einem Single mit einem Monatsbruttoeinkommen von 2.500 Euro mache das etwa 104 Euro aus, bei einer Doppelverdienerfamilie mit zwei Kindern und Monatsbruttoeinkommen von zusammen 7.000 Euro schon 356 Euro. Das könnten auch das Neun-Euro-Ticket und der Tankrabatt nicht ausgleichen. (APA, 10.8.2022)