Der Fluss Sesia ist die Lebensader der Lomellina – und fast ausgetrocknet. Die Bauern in der Region sind davon massiv betroffen.

Foto: Dominik Straub

Jahrzehntelang war Wasser für uns eine Selbstverständlichkeit gewesen: Es war einfach da", sagt Carlalberto Marchetti. "Und jetzt stellen wir fest: Das Gegenteil ist wahr, das Wasser fehlt, und unsere Kulturen leiden." Der 75-jährige Landwirt kniet in einem vertrockneten Reisfeld, reißt ein verdorrtes Büschel aus dem staubigen, steinharten Boden, zeigt es dem Besucher und sagt: "Da ist nichts mehr zu machen, selbst wenn es jetzt noch regnen würde. Das ganze Feld ist verloren, tot."

Es ist später Nachmittag, die tief stehende Sonne brennt immer noch erbarmungslos vom wolkenlosen Himmel: Im Schatten zeigt das Thermometer 38 Grad. Es habe immer wieder trockene Jahre gegeben, sagt Marchetti. "Aber eine derartige Dürre und Hitze habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt." In der Gegend hat es seit acht Monaten nicht mehr richtig geregnet – und dass sich das ausgerechnet im traditionell trockenen August noch ändern wird, ist wenig wahrscheinlich.

Marchettis Società Agricola Isola befindet sich in der sogenannten Lomellina in der oberen Po-Ebene, zwischen dem piemontesischen Vercelli und den lombardischen Vigevano und Pavia. Es ist eine einzigartige Landschaft, topfeben und durchzogen von unzähligen größeren und kleineren Kanälen und Gräben, die schon zu Zeiten der italienischen Einigung angelegt worden waren. Sie führen das Wasser vom Lago Maggiore und vom Fluss Sesia, der Lebensader der Lomellina, auf die Felder der Reisbauern.

Wichtiges Reisanbaugebiet

Die Lomellina und die umliegenden Gebiete sind eines der wichtigsten Anbaugebiete Italiens und Europas. Rund 4000 Betriebe produzieren jährlich 800.000 Tonnen Reis; mehr als ein Viertel des in der EU produzierten Reises stammt von hier. Die Produzenten werden von der anhaltenden Trockenheit mit voller Wucht getroffen: Paolo Carrà, Präsident der Reisproduzenten von Novara, Biella und Vercelli, rechnet wegen der Dürre mit Ernteausfällen von 50 bis 70 Prozent. Mehrere Regionen der Po-Ebene haben längst den Notstand ausgerufen; es drohen Milliardenschäden. Auch die Gewitter der letzten Tage haben die Situation nicht verbessert – im Gegenteil: Sturmböen und Hagel haben zahlreiche Kulturen zerstört, ohne dass sich an der Wasserknappheit viel geändert hätte.

Auf den Feldern von Carlalberto Marchetti ist die Lage noch nicht ganz so dramatisch: Für seinen 130-Hektar-Betrieb rechnet er bei den Soja-Kulturen zwar mit einem Ausfall von 50 Prozent, doch beim Reis ist er verhalten optimistisch: Die Ernte dürfte wohl um 30 Prozent geringer ausfallen. Einige seiner Felder leuchten trotz der Dürre noch in kräftigem Grün: "Es gibt ja noch Wasser – aber es reicht nicht mehr für alle Felder. Wir müssen jeden Tag von Neuem entscheiden, welchen Feldern wir Wasser geben: Wenn wir dem einen geben, fehlt es dem anderen", erklärt der Landwirt.

Das meiste Wasser leitet Marchetti in die Reisfelder, deren Boden am undurchlässigsten ist – dort versickert es weniger. "Aber selbst diese Felder können wir nur an einem oder zwei Tagen mit Wasser fluten – eigentlich müssten sie in dieser Phase des Wachstums immer im Wasser stehen." Das Wasser dient dem empfindlichen Reis nicht zuletzt zur Regulierung der Temperatur: In der Hitze des Tages kühlt es die Pflanzen, in der Nacht gibt es die am Tag gespeicherte Wärme ab – damit werden die Temperaturschwankungen reduziert. Außerdem gedeiht im stehenden, zwischen fünf und zehn Zentimeter tiefen Wasser kein Unkraut. All dies wird mit der Dürre infrage gestellt: Zwar sterbe der Reis nicht gleich ab, wenn er einmal ein paar Tage kein Wasser bekomme – "aber es beeinträchtigt sowohl den Ertrag als auch die Qualität", betont Marchetti.

Der Pegel des Gardasees und der Kanäle ist zwar bedenklich tief, für Touristinnen und Touristen ist das aber kaum zu sehen.
Foto: Dominik Straub

Streit ums Wasser

Auf den ersten Blick gar nichts von Wassermangel zu sehen ist drei Autostunden östlich der Lomellina, am Gardasee. Das Voralpengewässer leuchtet türkis- bis dunkelblau, in den Städtchen Peschiera del Garda, Salò und allen anderen Touristenorten spazieren die Gäste aus dem In- und Ausland die Seepromenaden entlang, die Badestrände sind voll. Doch der erste Eindruck täuscht: Der Wasserpegel des Sees nähert sich wegen der Trockenheit der historischen Tiefstmarke; laut dem staatlichen Observatorium für die Wassernutzung ist das größte Wasserreservoir Norditaliens bei nur noch 33 Prozent seiner Kapazität angelangt.

Um das Wasser des Gardasees tobt seit Wochen ein regelrechter "Wasserkrieg": Die verzweifelten Bauern südlich des Gewässers rund um Mantua fordern höhere Abflussmengen – eine Forderung, die auch von der Regulierungsbehörde des Po unterstützt wird: Der größte Fluss Italiens führt bei der Messstation Pontelagoscuro bei Ferrara, also kurz vor der Mündung in die Adria, nur noch 114 Kubikmeter pro Sekunde – weniger als ein Zehntel der normalen Menge um diese Jahreszeit. Doch die Anrainergemeinden des Gardasees wehren sich: "Wir tun längst unser Möglichstes, um den Notstand rund um den Po zu lindern, aber wir müssen auch unsere Schifffahrt und die Fische schützen", betont Pierlucio Ceresa, Geschäftsführer des Gemeindeverbands Garda.

Der Streit und die Berichte, wonach der Gardasee demnächst leer sein würde, haben auch den Bürgermeister von Garda, Davide Bendinelli, auf den Plan gerufen: "Die alarmierenden Medienberichte über den sinkenden Seepegel haben bei uns bereits zu den ersten Stornierungen seitens deutscher Touristen geführt", betont Bendinelli – dabei habe der See nichts an seiner Attraktivität eingebüßt. Das Problem der Trockenheit sei zwar ernst – aber bei weitem kein Grund für die Touristen, sich Sorgen zu machen.

Umdenken gefordert

Mit dem Fortschreiten des Klimawandels werden sich Konflikte wie jene am Gardasee in Zukunft noch verschärfen, betont Marco Bezzi. Der Dozent für Wasserwirtschaft und Wassermanagement an der Universität von Trient fordert deshalb generell mehr Kooperation unter den zahlreichen Behörden und Interessengruppen, die mit der Regulierung der Wassermengen und der Nutzung des Wassers zu tun haben. Bei Seen wie dem Lago Maggiore, dessen Einzugsgebiet mehr als ein Land umfasst, sei außerdem mehr Austausch und Zusammenarbeit erforderlich. Vor allem gehe es darum, dass die Politik bei akutem Wassermangel klare Prioritäten setze: "Die Behörden müssen entscheiden, welchen Stellenwert die Stromproduktion respektive die Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft haben", betont Bezzi.

Auf die veränderten klimatischen Bedingungen einstellen müssen sich laut Bezzi aber vor allem auch die Landwirte. "Mit den heute verwendeten Bewässerungsmethoden werden riesige Wassermengen verschwendet. Allein mit der Umstellung auf die Bewässerung mit Tröpfelsystemen könnten enorme Einsparungen erzielt werden", sagt der Forscher, der selbst an der Entwicklung intelligenter Bewässerungssysteme mitgewirkt hat. Die modernen Anlagen werden mit Daten aus dem Boden und dem Wetterbericht gefüttert – und starten die Bewässerung erst dann, wenn es die Pflanzen auch benötigen. Die Installation solcher Anlagen sei zwar mit großen Investitionen verbunden – doch gerade in Italien könnten Landwirte, die ihre Bewässerung auf solche modernen Systeme umstellen wollten, mit Geldern aus dem EU-Wiederaufbaufonds rechnen.

"Der Klimawandel fordert ein Umdenken, einen Kulturwandel, bei allen Beteiligten. Zu sagen, wir haben es immer so gemacht, geht nicht mehr", sagt Bezzi. Bei den Bauern, die von den Folgen des Klimawandels als Erste und am härtesten getroffen werden, hat dieses Umdenken bereits eingesetzt: Carlalberto Marchetti in der Lomellina hat bereits begonnen, den Anteil an anderen Getreidesorten zu erhöhen, zulasten des Reisanbaus. "Es tut zwar weh, aber wir werden die Reisproduktion an die Menge des noch zur Verfügung stehenden Wassers anpassen müssen", sagt Marchetti und blickt auf die verdorrte Reispflanze in seiner Hand. "Aber ich hoffe, dass der Reisanbau bei uns trotzdem noch eine Zukunft haben wird."(Dominik Straub, 11.8.2022)