Für die Umsetzung des Kommunikationsplattformengesetzes ist das von Karoline Edtstadler (ÖVP) geführte Verfassungsministerium verantwortlich.

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Wien – Seit Jahren ist die Verfolgung von rechtswidrigen Inhalten auf Telegram kaum möglich. Die Plattform hat sich immer mehr zum Hort für radikalen Gruppierungen entwickelt. Wie damit umgegangen werden soll, ist nun wieder Thema: Justizministerin Alma Zadić (Grüne) warb in einem Interview für den Digital Services Act, der eine "wesentlich effizientere" Handhabung auf europäischer Ebene ermöglichen soll.

Eigentlich sollte das bereits im vergangenen Jahr verabschiedete Gesetzespaket gegen Hass im Netz Telegram dazu verpflichten, einen Zustellbevollmächtigten zu nennen, mit dem die Behörden kommunizieren. Das ist aber nicht geschehen, laufende Verfahren wurden bisher ignoriert. Auch Twitter hält sich nicht vollständig an die neuen Vorgaben. "Die zuständige Regulierungsbehörde Komm Austria ist sehr aktiv und nützt alle gesetzlichen Möglichkeiten aus", heißt es dazu aus dem Verfassungsministerium von Karoline Edtstadler (ÖVP).

Aus Sicht des Rechtsinformatikers Nikolaus Forgó von der Universität Wien dürften diese Bestrebungen allerdings ins Leere laufen. "Deswegen ist es wichtig, nicht nur auf nationales ‘hard law’ zu setzen, sondern auf gemeinsame Zugänge", findet er. Eine Sperre des Dienstes sei nicht sinnvoll.

Dutzende bis keine Löschungen

Das 2021 verabschiedete Kommunikationsplattformengesetz verpflichtet soziale Medien dazu, Mechanismen zum Melden von rechtswidrigen Inhalten einzuführen und derartige Meldungen innerhalb von 24 Stunden zu bearbeiten. Laut den Transparenzberichten der sozialen Medien wurden Beiträge bei Facebook im ersten Halbjahr dieses Jahres 89-mal im Zuge der neuen Vorgaben entfernt. Facebook selbst zählt rund 2.600 Löschungen in Österreich, bezieht die restlichen aber rein auf Verstöße gegen die eigenen Community-Richtlinien.

Die KommAustria argumentiert, dass die von dem Unternehmen entfernten Beiträge unter anderem "aufgrund des verbesserten Meldemodus" des Kommunikationsplattformgesetzes geprüft worden seien. Hinzu käme, dass überhaupt die eigenen Richtlinien Facebooks einem Wandel innerhalb des Unternehmens unterliegen würden. Etwa ist Holocaust-Leugnung auf der Plattform erst seit dem Oktober 2020 verboten – und damit kurz vor dem Beschluss des Kommunikationsplattformengesetzes.

Die Bilanz der Löschungen im heurigen Jahr reicht ansonsten von Bearbeitungen im zweistelligen Bereich bei Tiktok bis hin zum einstelligen bei Youtube – und keiner einzigen Löschung. Aus Forgós Sicht würden sich nun die Befürchtungen, die vor der Verabschiedung bestanden, bewahrheiten. "Wie erwartet" seien die Arbeiten am Digital Sevices Act vorangeschritten und würden "das Gesetz zeitnah obsolet machen". Wie prognostiziert, wurde die "EU-Rechtskonformität des Gesetzes bestritten" – derzeit läuft ein Verfahren beim EuGH. Wie erwartet erreiche man viele wichtige Player über das Gesetz überhaupt nicht oder nicht ausreichend, wie erwartet sei das Problem sehr viel vielschichtiger, als man geglaubt habe, und wie erwartet sei die Situation insgesamt schlechter und nicht besser geworden, so Forgó.

Aggressionspotenzial gestiegen

"Was damals vielleicht noch nicht absehbar war, ist das wesentlich krisenbedingt weiter angestiegene Aggressionspotenzial in der Gesellschaft insgesamt", findet der Rechtsinformatiker. Diese sei "freilich auch auf durch die Regulierungspolitik verantwortete Desolidarisierungseffekte mitverursacht" worden. Sein Resümee: "Vor allem wurde die europäische Dimension nicht ausreichend reflektiert, ebenso die angebliche Alternativlosigkeit der Zugänge mitsamt einer gewissen Beratungsresistenz." (muz, 10.8.2022)